URI: 
       # taz.de -- Ukrainischer Kettenbrief: Der Wert von 44 Millionen Leben
       
       > Ein manifestartiger Brandbrief beschäftigt die Ukraine. Ob ein
       > Menschenleben in einem NATO-Mitgliedsland mehr wert ist, ist zentrales
       > Thema.
       
   IMG Bild: Szene in Kiew am 16. März 2022
       
       Mitten in der Öffentlichkeit der um ihre Existenz kämpfenden Ukraine bringt
       jemand seine Meinung zur Haltung des Westens auf den Punkt. Es ist eine
       bittere Analyse, die zu dem Schluss kommt, dass augenscheinlich aus Sicht
       der Nato Menschenleben in der Ukraine weniger wert sind als solche in
       Nato-Mitgliedstaaten.
       
       Dieser Brandbrief erreicht meine Freundin Halyna in Lviv als Kettenmail.
       Sie schickt ihn weiter und schreibt: „Er spricht mir aus der Seele.“ Auch
       Sofija, 2008 aus Lviv nach Berlin gezogen, befürwortet die Argumentation.
       Von Halynas Tochter ins Deutsche gebracht, drucken wir ihn hier leicht
       gekürzt ab:
       
       „In Europa, in der Ukraine, im Vorhof der Nato, sollen 44 Millionen
       Menschenleben ausgelöscht werden. Und die bittere Wahrheit ist, dass alle
       Verbündeten der Ukraine die Rolle eines externen Beobachters gewählt haben.
       Sie zeigen Sympathie. Sie unterstützen uns finanziell. Sie stellen uns auch
       Waffen zur Verfügung. Sie verhängen auch Sanktionen. Das alles konnte der
       Gewalt bisher keinen Einhalt gebieten. Kein einziges verbündetes Land aber
       hat Maßnahmen ergriffen, um an der Seite der Ukrainer zu kämpfen.
       
       Warum? ‚So wird ein Weltkrieg ausgelöst‘, wird argumentiert. Ich aber
       frage: Wenn also die Länder Europas, die USA und alle anderen Länder dieser
       Welt zuzusehen bereit sind, wie 44 Millionen Menschenleben ausgelöscht
       werden, aus Angst, sonst einen Weltkrieg zu entfesseln – warum wäre das
       anders, wenn ein Nato-Mitgliedstaat angegriffen würde?
       
       ## Unterschied zwischen der Ukraine und Estland
       
       Wenn das Nato-Mitglied Estland mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern
       angegriffen würde, wäre die Angst vor einem Weltkrieg dann plötzlich nicht
       mehr da? Warum ist ein Menschenleben in der Ukraine weniger wert als ein
       Menschenleben in einem Nato-Mitgliedstaat, wenn es um die Verteidigung
       derselben geht?
       
       Inwiefern unterscheidet sich das Papier, auf dem das Abkommen der Nato
       unterzeichnet wurde, von dem Papier des Budapester Memorandums – in dem der
       Ukraine Sicherheitsgarantien gegeben wurden als Gegenleistung für den
       vollständigen Verzicht auf das weltweit drittgrößte Atomwaffenarsenal?
       
       [1][Die Ukraine hat sich damals geopfert, um der ganzen Welt mit der
       Aufgabe ihrer Atomwaffen ein Geschenk zu machen.] Jetzt opfert sie sich
       erneut für die Werte, die vom Westen proklamiert werden. Der aber ist nicht
       bereit, den vollen Preis für die Verteidigung der Ukraine zu zahlen. Wenn
       also der Westen von der Logik der Angst beherrscht wird, dann wird jedes
       verbindliche Abkommen im Handumdrehen der Zweckmäßigkeit geopfert.
       
       Dann ist jegliches Eindämmungsversprechen wertlos! Wenn sich aber die Logik
       der menschlichen Grundwerte durchsetzt, dann genügt schon ein einfaches
       Versprechen, um effektiv zu handeln und die fortgesetzten Kriegsverbrechen
       Russlands zu verhindern. Denn das Einzige, was für den Triumph des Bösen
       notwendig ist, sind gute Menschen, die nicht handeln.“
       
       16 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /US-Historiker-ueber-Putins-Atomdrohungen/!5838165
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katja Kollmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Ukraine
   DIR Nato
   DIR Russland
   DIR Punk
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Wladimir Putin
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Punkband Pornofilmy über Russland: „Schlimmer als bergab“
       
       Vladimir Kotlyarov und Alexandr Rusakov von der Punkband Pornofilmy über
       gesellschaftliche Agonie in Russland, Repression und eine Farce vor
       Gericht.
       
   DIR Antikriegslied von russischer Sängerin: Seufzen gegen den Krieg
       
       Popstar Zemfira veröffentlicht das Lied „Ne Strelayte“ erneut. Es wird zur
       Hymne der russischen Antikriegsbewegung.
       
   DIR Interview Russen gegen den Krieg: „Viele in Russland denken wie wir“
       
       Olga Fishkis hat mit anderen Russen in Deutschland eine Stellungnahme gegen
       den Krieg in der Ukraine veröffentlicht.
       
   DIR Krieg in der Ukraine: Die Zeit läuft gegen Putin
       
       Bei den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine ist die
       Deutungshoheit umkämpft. Wer wem die Bedingungen diktiert, wird unklarer.
       
   DIR Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine: Albträume und Tatkraft
       
       Unsere Autorin wohnt nahe dem Berliner Hauptbahnhof. Täglich kommen
       Tausende Schutzsuchende mit Sonderzügen aus der Ukraine.
       
   DIR Regisseur über Westen im Ukrainekrieg: „Das ist absolut diabolisch“
       
       Der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa fordert eine Beteiligung des
       Westens am Ukraine-Krieg. Dieser habe Russland zu lange tatenlos zugesehen.
       
   DIR Tagebuch eines Schriftstellers: „Denk mit einem Lächeln an mich“
       
       Andrej Kurkow schreibt Romane über die Ukraine und Russland. In seinem
       Tagebuch erzählt er nun von einer Flucht durch den Westen des Landes.