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       # taz.de -- Russophober Brief von Gerichtspräsident: „Marodierende Horden“
       
       > Der Präsident des Leipziger Amtsgerichts hat sich mit einem
       > russenfeindlichen Brief an sein Personal gewandt. Darin ist von
       > „multiplen Bedrohungen“ die Rede.
       
   IMG Bild: Heftige Worte für einen Juristen: Innenaufnahme des Leipziger Amtsgerichts
       
       Leipzig taz | Es ist sind keine normalen Zeiten, dies aber ist dann doch
       noch mal besonders ungewöhnlich: Mit einem als „vertraulich“
       gekennzeichneten Rundschreiben hat sich der Präsident des Amtsgerichts
       Leipzig, Michael Wolting, rund zwei Wochen nach Beginn des russischen
       Krieges gegen die Ukraine an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
       gewandt: „Multiple Bedrohungen von Seele, Leib und Leben“ steht im Betreff.
       Der Brief enthält den pauschalen Verdacht, in Deutschland lebende Russen
       könnten den Konflikt hierzulande austragen.
       
       Das vierseitige Schreiben trägt den offiziellen Briefkopf der Behörde. Es
       liegt der taz vor. Wolting kündigt einen „psychologisch begleiteten
       Austausch“ an, Arbeitstitel: „Angst vor dem Krieg“. Der Gerichtspräsident
       listet Unternehmen auf, die sich noch nicht zum Russland-Boykott
       entschieden haben. Wahrscheinlich kaum jemand wird Wolting verdenken, dass
       er im Konflikt grundsätzlich Partei ergreift und gewiss auch nicht, dass er
       zur Sammlung von Hilfsgütern für Kriegsflüchtlinge aufruft.
       
       Die Diktion überrascht dann aber doch. Fotos des Kriegsgeschehens sind in
       das Rundschreiben eingebettet, eines zeigt Zivilisten mit ukrainischer
       Fahne auf einem Hügel mit Trümmern, Bildunterschrift: „Selbsthilfe:
       Molotow-Cocktails gegen russische Invasoren.“ Im Text verurteilt der
       Behördenchef die Bombardierungen von Schulen und Kindergärten und einer
       Entbindungsstation.
       
       Er zieht den Vergleich des russischen Truppeneinsatzes mit „marodierenden
       Horden“ von Sowjetsoldaten, die am Ende des Zweiten Weltkrieges deutsche
       Frauen vergewaltigt hätten. Und urteilt über damals wie heute: Diese Sünden
       seien der Läuterung im Fegefeuer „nicht zugänglich, sie führen
       unweigerlich, direkt und für die Ewigkeit in die Hölle“.
       
       Es sind heftige Worte für einen Juristen. Bemerkenswert sind zusätzlich die
       Konsequenzen, die Wolting für die täglichen Abläufe im Leipziger Gericht
       ankündigt. Es gebe „vielfältige Versuche Russlands, die westlichen
       Demokratien und ihre Institutionen zu destabilisieren“, argumentiert er,
       deshalb seien „höchste Vorsicht und Aufmerksamkeit geboten“.
       
       Konkret hat der Gerichtspräsident seinem Rundschreiben zufolge die
       Wachtmeister mit verschärften Eingangskontrollen beauftragt. „Alle
       Entscheiderinnen und Entscheider des Amtsgerichts helfen bitte mit, indem
       sie Termine, die Russen oder Weißrussen in das Haus führen würden, einer
       kritischen Prüfung unterziehen.“ Sämtliche Termine mit Staatsangehörigen
       aus Russland, Belarus „oder dieser Herkunft“ seien an die Wachtmeister zu
       melden, „wir werden dann prüfen, was davon unter Sicherheitsaspekten
       möglich ist“.
       
       Die gewiss nicht um Propaganda verlegene Botschaft der Russischen
       Föderation in Berlin behauptet schon seit Ende Februar in den sozialen
       Medien eine „Russophobie“, die immer neue Wellen schlage – unter Hinweis
       beispielsweise auf eine Klinik in München, die russischen und
       weißrussischen Kunden die medizinische Behandlung versage.
       
       Anfang März forderte die russische Botschaft dazu auf, „Fälle von
       Diskriminierung“ zu melden, angeblich sind binnen weniger Tage mehrere
       Hundert Nachrichten eingegangen. Die Details dazu sind zum Teil nicht zu
       überprüfen. Dass es solche Fälle gibt, [1][lässt sich allerdings schwerlich
       bestreiten].
       
       Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock stellte zu diesem Thema [2][auf
       Twitter klar]: „Der Krieg in der Ukraine ist Putins Krieg. Wer
       Belaruss*innen oder Russ*innen in Deutschland anfeindet, der greift
       nicht nur unsere Mitbürger*innen an, sondern auch die Grundprinzipien
       unseres Zusammenlebens.“
       
       Eine Sprecherin des von der Grünen-Politikerin Katja Meier geführten
       sächsischen Justizministeriums sagte, der Vorgang in Leipzig sei in ihrem
       Hause nicht bekannt. „Alle Fragen zu einem etwaigen Schreiben“ seien
       dorthin zu richten.
       
       Immerhin: Wolting hat dem Rundbrief tags darauf bereits eine E-Mail „zur
       Erklärung und Konkretisierung“ hinterhergeschickt – wohl auch, weil es dem
       Vernehmen nach unter Mitarbeitern seiner Behörde deutliches Kopfschütteln
       gegeben hat. Die „Verdächtigung von Bevölkerungsgruppen“ habe er nicht
       beabsichtigt. „Mir ist sehr wohl bewusst, dass es nicht um eine homogene
       Gruppe geht – diese Menschen stehen auch nicht unter einem wie immer
       gemeinten Generalverdacht“, schrieb er.
       
       Als „kritische Termine“ sollen vor dem Amtsgericht Leipzig nun nur noch
       jene gelten, „in denen Bürgerinnen und Bürger aus den am Krieg beteiligten
       Ländern (Russen oder Weißrussen und Ukrainer) in den gleichen Saal kommen
       oder als Besucher aufeinandertreffen“. Ein Gerichtssprecher ergänzte:
       „Weitere Erklärungen zu sicherheitsrelevanten Fragen werden seitens des
       Amtsgerichts Leipzig nicht abgegeben.“
       
       16 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Auswirkungen-des-Ukraine-Kriegs-hier/!5838179
   DIR [2] https://twitter.com/ABaerbock/status/1499406121903271938?s=20&t=dnoMkHupZSuzMARPGGf5AA
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Meisner
       
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