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       # taz.de -- Korruption in Bulgarien: Ex-Premier in Polizeigewahrsam
       
       > Der frühere Regierungschef Bojko Borissow wird bei einer landesweiten
       > Razzia festgenommen. Im Raum steht der Verdacht auf Erpressung.
       
   IMG Bild: Bulgariens Ex-Premierminister Bojko Borissow am Donnerstag in einem Polizeifahrzeug
       
       Berlin taz | Ausgerechnet Iwan Geschew: Bulgariens Generalstaatsanwalt hat
       sich am Freitag darüber beschwert, dass er nicht vorab über die Festnahme
       des [1][früheren Ministerpräsidenten Bojko Borissow] informiert worden sei.
       Der Festnahme in der Nacht zu Freitag war eine mehrstündiger landesweiter
       Polizeieinsatz voraus gegangen. Außer Borisow wurden auch der
       Ex-Finanzminister Wladislaw Goranow sowie Borissows ehemalige
       Medienberaterin Sewdalina Arnaudowa festgenommen.
       
       Dem Vernehmen nach geht es um über 556 Millionen Lewa (umgerechnet rund 285
       Millionen Euro), die unter der Ägide Borissows aus dem Staatshaushalt
       verschwunden sein sollen.
       
       Am vergangenen Mittwoch hatte [2][der bulgarische Ministerpräsident Kiril
       Petkow] die Chefin der Europäischen Staatsanwaltschaft, Laura Kövesi, zu
       Gesprächen in Sofia empfangen. Laut Kövesi würden in Brüssel derzeit rund
       120 Fälle von Misswirtschaft in Bulgarien untersucht.
       
       Dabei gehe es vor allem um die betrügerische Verwendung von EU-Mitteln und
       öffentlichen Geldern, Agrarsubventionen, Mitteln für einen Ausbau der
       Infrastruktur sowie Entschädigungs- und Wiederaufbauhilfepakete nach der
       COVID-19-Pandemie. Bulgarien ist seit 2007 Mitglied der Europäischen Union.
       Am Freitag teilte die Staatsanwaltschaft von Sofia mit, die vorgerichtliche
       Ermittlung laufe wegen des Verdachts auf Erpressung und schließe die
       Zuständigkeit der EU-Staatsanwaltschaft aus.
       
       ## Großzügig bedient
       
       Vorwürfe, dass sich Bojko Borissow, auch mit Hilfe seiner Seilschaften und
       Kenntnis Brüssels, großzügig bedient haben soll, stehen schon länger im
       Raum. Der 62jährige und seine Partei „Bürger für eine europäische
       Entwicklung Bulgariens (GERB) waren, von einigen kurzen Unterbrechungen
       abgesehen, von 2009 bis 2021 an der Macht. Im Sommer 2020 waren
       zehntausende Bulgar*innen gegen Korruption und Machtmissbrauch
       wochenlang auf die Straße gegangen und hatten auch Borissows Rücktritt
       gefordert.
       
       Im vergangenen Jahr brauchte Bulgarien drei Parlamentswahlen, um endlich
       eine tragfähige Regierung bilden zu können. Deren Ministerpräsident Kiril
       Petow hatte der Korruption den Kampf angesagt und auch kein Hehl daraus
       gemacht, sich der Generalstaatsanwaltschaft und dabei allem voran des
       Generalstaatsanwalts Iwan Geschews entledigen zu wollen. Geschew gilt als
       enger Vertrauter von Borissow, der stets die Hand über die Machenschaft des
       Ex-Regierungschefs gehalten haben soll.
       
       Das bestätigte nun auch erneut Wirtschaftsminister Assen Wassilew. Die
       Staatsanwaltschaft unter Geschew habe von den Anschuldigungen gegen
       Borissow gewusst, sei ihnen aber nicht nachgegangen, sagte er am Freitag.
       
       Borissows Anwältin, Menko Menkow, teilte mit, dass ihr Mandant zu den
       Vorwürfen noch nicht befragt worden sei, jedoch die Nacht in einer Zelle
       haben verbringen müssen. Auch am Freitag befand sich Borissow immer noch in
       Polizeigewahrsam.
       
       ## „Politisch motiviert“
       
       Dessen Parteigenossen verurteilten die Festnahme als „politisch motiviert“
       und sprachen vom einen „Akt der Repression“. „Wir haben Informationen über
       weitere Festnahmen ehemaliger Minister, wir sind Opfer einer Junta“, sagte
       der frühere Gesundheitsminister und Parlamentsabgeordnete der GERB Kostadin
       Angelow. Demgegenüber bezeichnete Wassilew die zahlreichen Festnahmen und
       Misshandlungen durch Polizeikräfte bei den Protesten 202 als „wahren Akt“
       der Repression.
       
       Bereits im vergangenen Jahr war eine Untersuchungskommission eingerichtet
       worden, um Vorwürfen nachzugehen, die der Besitzer eines
       landwirtschaftlichen Betriebes gegen den Ex-Regierungschef erhoben hatte.
       Danach soll Borissow 2020 und 2021 Landbesitzer und Geschäftsleute im große
       Stil erpresst haben. Borissow hatte diese Anschuldigungen zurück gewiesen.
       
       Unterdessen hat Sofia am Freitag zehn russische Diplomaten zu unerwünschten
       Personen erklärt. Sie müssen das Land innerhalb von 72 Stunden verlassen.
       „Nach Angaben der zuständigen Behörden haben die genannten Mitarbeiter der
       Botschaft der Russischen Föderation auf dem Territorium der Republik
       Bulgarien Aktivitäten durchgeführt, die mit dem Wiener Übereinkommen über
       diplomatische Beziehungen unvereinbar sind“, heißt es in einer mündlichen
       Note des stellvertretenden Außenministers Wasil Georgiew an Russlands
       Botschafterin Eleonora Mitrofanowa. „
       
       Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Man hoffe, dass das
       bulgarische Außenministerium alle Risiken einer solchen Pirouette mit
       kühlem Kopf abgewogen habe. Auf dieses feindliche Vorgehen werde es alsbald
       eine angemessene Reaktion geben, die dem neuen Geist der bilateralen
       Beziehungen angemessen sei, teilte die russische Botschaft über Facebook
       mit.Seit 2019 hat Bulgarien bereits insgesamt elf Mitarbeiter der
       russischen Botschaft zu unerwünschten Personen erklärt.
       
       18 Mar 2022
       
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   DIR Barbara Oertel
       
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