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       # taz.de -- Journalist:innen in Russland: „Permanente Anspannung“
       
       > Wegen des Ukrainekriegs verschärft Russland die Unterdrückung der freien
       > Presse. Einige Journalist*innen verlassen deswegen ihre Heimat.
       
   IMG Bild: Mutiger Protest im TV: Journalistin Maria Ovsiannikova mit Antikriegsplakat am 14. März
       
       Berlin taz | Ein Gericht in Moskau hat am Montag Facebook und Instagram
       verboten, [1][weil der Konzern Meta, zu dem beide Plattformen gehören,
       „extremistisch“ sei]. Ebenfalls am Montag meldete die Nachrichtenagentur
       Interfax: Russlands Medien-Regulierer hätten 20 VPN-Dienste blockiert und
       arbeiteten daran, weitere zu sperren. VPN-Dienste (kurz für „Virtual
       Private Network“) erlauben es Nutzern, ihren Standort zu verbergen – und so
       etwa Webseiten aufzurufen, die in einem bestimmten Land gesperrt sind. Seit
       Beginn der Ukraine-Invasion hat Moskau immer mehr ausländische, aber auch
       kritische inländische Medien gesperrt. [2][Bisher nutzen viele Russ:innen
       VPN, um sie trotzdem zu besuchen]. Der Staat macht es immer schwieriger,
       Informationen über das Netz zu beschaffen und zu teilen.
       
       Unabhängige journalistische Medien sollen derweil in die
       Propaganda-Berichterstattung gezwungen werden: Besonders drastisch ist der
       Erlass des russischen Parlaments vom vierten März. Er verbietet Medien, die
       Invasion in der Ukraine als „Krieg“ zu bezeichnen.
       
       Kirill Martynow ist stellvertretender Chefredakteur der Nowaja Gazeta,
       einer bisher unabhängig und kritisch berichtenden russischen Zeitung. Bei
       [3][einem Panel des International Press Institute (IPI)] sprach er kürzlich
       über die Konsequenzen eines solchen Gesetzes. Entweder verwende man die vom
       Staat publizierten Berichte, „was Propaganda ist“, oder man verwende selbst
       recherchierte Informationen – was der Staat dann als „Fake“ bezeichne. Die
       Nowaja Gazeta schreibe seither nicht mehr über den Krieg selbst, nur noch
       über seine Folgen.
       
       Ein freier Journalist, der anonym bleiben will und nur über Signal
       kommuniziert, sagte: „Wir haben permanent ein Gefühl von Gefahr und
       Anspannung“. Die Regierung zwinge Journalist*innen, sich öffentlich
       kenntlich zu machen, berichtet er. Sie müssten gelb-grüne Warnwesten tragen
       – großflächige Presseausweise. Es sei nun geplant, dass
       Journalist*innen QR-Codes tragen müssten, die sofort ihre persönlichen
       Daten anzeigen. Der Staat argumentiere, das helfe der Polizei, schnell zu
       wissen, wer ein „echter“ und wer ein „falscher“ Pressevertreter sei.
       
       ## Immer häufiger Festnahmen
       
       Er sei bisher dreimal aufgrund seiner Arbeit festgenommen worden, erzählt
       der freie Journalist, der hier „Mikhail“ heißen soll, das letzte Mal bei
       einem der Proteste gegen den Ukrainekrieg. Er sei in eine zehn Kilometer
       entfernte Polizeistation verschleppt und für sieben Stunden festgehalten
       worden. Obwohl er wie gefordert gekleidet war, wurde ihm vorgeworfen, „kein
       richtiger Journalist“ zu sein und eine „illegale Veranstaltung“ organisiert
       zu haben. Sogar dem Kreml positiv gesinnte Journalisten würden mittlerweile
       festgenommen, sagt Mikhail.
       
       Wie die russische Gewerkschaft der Journalist*innen und
       Medienschaffenden auf Twitter mitteilt, wurde am vergangenen Freitag der
       Chefredakteur einer Pskover Regionalzeitung festgenommen sowie fünf
       Journalisten des unabhängigen Mediums SotaVision. Die staatliche
       Medienregulierungsbehörde Roskomnadzor blockiert seit einer Woche die
       Webseiten von dreißig unabhängigen Medien im Rand. [4][Regelmäßige
       Neuigkeiten dieser Art meldet auch das IPI in einem regelmäßigen
       Newsticker].
       
       Die Repression gegen Medien in Russland spitzt sich zu. Begonnen hat sie
       schon lange vor dem Krieg. [5][Anastasia Kirilenko] ist Journalistin, lebt
       mittlerweile in Frankreich. Bevor sie Russland 2014 nach der Annexion der
       Krim verließ, arbeitete sie für Radio Free Europe, einem Sender, der von
       den USA finanziert wird und sich an Hörer:innen in osteuropäischen und
       zentralasiatischen Ländern richtet, in denen die Pressefreiheit staatlich
       eingeschränkt wird.
       
       Immer wieder habe der Staat Rügen und Warnungen gegen den Sender
       ausgesprochen, erzählt Kirilenko. Zwei ihrer Berichte hätten Putin direkt
       betroffen, deshalb habe sie 2011 einen Besuch von der Polizei bekommen.
       „Für viele Journalist*innen ist es wahrscheinlich schon Druck, wenn man
       fünf Stunden polizeilich befragt wird“, sagt sie, „aber viele meiner
       Kolleg:innen haben Schlimmeres erlebt.“ [6][Im Jahr 2019 veröffentlichte
       das russische Fernsehen einen Beitrag über Kirilenko, der sie als Feindin
       Russlands denunziert].
       
       ## „Sie wissen nicht, was sie denken sollen“
       
       Selbst Kirilenkos Familie glaubt eher den Staatsmedien als ihr. „Sie sehen
       fern zur Hauptsendezeit“, sagt sie. Und dort gehe es nur darum, wie
       großartig Putin sei – „Propaganda-Klischees“. Ihre Familie störe das nicht.
       „Sie haben immer noch sowjetische Reflexe“, sagt sie. „Sie wissen nicht,
       was sie denken sollen“.
       
       Für manche wird der Druck zu groß. Der anonyme „Mikhail“ sagt: „Ich liebe
       dieses Land und meine Heimatstadt“. Aber aufgrund der Situation werde er
       sie in den nächsten Tagen verlassen. „Ich weiß nicht, wann ich
       wiederkomme.“ Durch die [7][SWIFT-Sanktionen] funktionieren russische
       Bankkarten im Ausland nicht mehr, das erschwert ihm die Flucht zusätzlich.
       
       Anastasia Kirilenko erzählt, ehe sie Russland verließ, habe sie eine
       Entscheidung getroffen: „Ich werde nie zur russischen Staatspropaganda
       beitragen – vorher wechsle ich den Job.“ Sie sagt: „Einen Beitrag zur
       Propaganda zu leisten, ist ein Beitrag dazu, das Land nicht in die Zukunft,
       sondern in die Vergangenheit zu führen.“
       
       22 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /-Nachrichten-zum-Ukrainekrieg-/!5842732
   DIR [2] https://www.cnbc.com/2022/03/11/vpn-use-in-russia-is-surging-as-government-tightens-internet-control.html
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=arafyh-he9Q
   DIR [4] https://ipi.media/alerts/?topic=russia-ukraine-war&search=&alert_type=0&country=0&years=0
   DIR [5] https://twitter.com/anastasiaki?lang=de
   DIR [6] https://www.vesti.ru/videos/show/vid/794482/cid/1/#/video/https://player.vgtrk.com/iframe/video/id/1890347/start_zoom/true/showZoomBtn/false/sid/vesti/isPlay/true/?acc_video_id=794482
   DIR [7] /Norbert-Roettgen-zum-Ukraine-Krieg/!5842273
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lisa Schneider
       
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