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       # taz.de -- Ukrainische Sängerin Mariana Sadovska: Kapitulation bedeutet Tod
       
       > Die Musik von Mariana Sadovska ist inspiriert von den Liedern aus
       > ukrainischen Dörfern. Jetzt sammelt sie Spenden für Militärausrüstung der
       > Ukraine.
       
   IMG Bild: Die ukrainische Sängerin Mariana Sadovska auf der Bühne bei der Friedensdemo in Köln am 28.2
       
       Als Erstes zeigt [1][Mariana Sadovska] auf ihrem Handy das Z, auf eine
       Düsseldorfer Haustür gesprüht. Eine Freundin, Ukraine-Aktivistin wie sie
       selbst, hat es ihr geschickt. Einer anderen Freundin, aus dem belgischen
       Antwerpen, wurde das Auto mit dem Z beschmiert. [2][Die russischen
       Putin-Unterstützer werden lauter], sagt Sadovska. In Bonn hatten sie
       zuletzt offen für den russischen Tyrannen demonstriert.
       
       Eben ist sie aus Hamburg zurück nach Köln gekommen. Morgen fährt sie nach
       Tschechien, das Gespräch findet zwischen dem Umpacken der Koffer statt.
       Anfang der Woche trat sie auch in Berlin auf, prominent bei der „Reihe
       Kultur im Kanzleramt“. Im April wird sie in den USA sein, in Paris, aber
       auch im Stadtgarten Köln oder am Schauspiel Köln. Fast täglich kommen neue
       Anfragen hinzu.
       
       Gerade hat Bernhard Hanneke, Leiter des größten deutschen Folkfestivals,
       sie gebeten, im Juli ihr Programm im thüringischen Rudolstadt zu spielen.
       Mariana Sadovkas Musik ist kraftvoll, ihre dunkle Stimme wühlt Emotionen
       auf, scheut kein Pathos.
       
       Sie bedient, fast sieht es aus wie körperliche Arbeit, dabei mehrere
       traditionelle Instrumente zugleich, etwa ein rotes indisches Harmonium, das
       auf dem Tisch liegt und bauchtiefe, wehmütig ziehende Klänge hervorbringt.
       Auch Kleider und Tücher, die Mariana Sadovska auf der Bühne trägt, wirken
       altertümlich und stylisch zugleich.
       
       ## Traditionelle Musik aus der Ukraine
       
       Ihre Kompositionen sind inspiriert von traditioneller Musik aus der
       Ukraine. Sie arrangiert sie zu gewaltigen Klangwelten, die rituell,
       magisch, irgendwie allumfassend klingen. „Transtraditionell“ nennt
       Mariana Sadovska, die sich auch als Musikethnologin begreift, ihre Musik.
       
       Einst ist sie mit ihrer israelischen Freundin Viktoria Hanna und ihrem
       Mann, dem Kölner Regisseur André Erlen, durch ukrainische Dörfer gefahren,
       um alte Lieder zu finden und jüdische Orte zu besuchen. Jede Region hat
       andere Melodien, die kaum je aufgezeichnet, aber mündlich weitergegeben
       wurden – es gibt einen wunderschönen ukrainischen Dokumentarfilm darüber.
       Darauf beruhen ihre heutigen Kompositionen.
       
       „Mein Programm spielen? Nein“, lacht Sadovska, „ich möchte im Juli in
       Rudolstadt mit 15 geflüchteten ukrainischen Künstler*innen auf der Bühne
       stehen“. Etwa mit ihrer Freundin aus Donezk, der Sängerin Julia Kulinenko,
       die gerade in Köln ankam. „Wenn ich sie einbinde, gelingt es uns während
       der Konzerte noch schneller, Spenden zu sammeln“, sagt sie. Über 100.000
       Euro seien so schon zusammengekommen. Mariana Sadovska wurde in Lviv,
       Lemberg, geboren und hat an der Ludkevycz-Musikhochschule studiert. Seit
       2002 lebt sie in Köln.
       
       ## Auf der Suche nach Wohnungen
       
       Da klingelt während unseres Gespräches wieder das Telefon, der evangelische
       Pfarrer Hans Mörtter ist dran. Sie suchen eine barrierefreie Wohnung für
       Andrej Mai, Regisseur des Kiewer Nationaltheaters, der gestern mit seiner
       Mutter im Rollstuhl und seinem Sohn im Kleinkindalter aus dem russisch
       besetzten Cherson gekommen ist. Geflohen mithilfe einer israelischen NGO.
       „Eigentlich hatte ich eine Wohnung für ihn, aber der Vermieter wollte eine
       ukrainische Frau als Mieterin – als ob ein Mann mit Mutter und Kind nicht
       genauso Schutz braucht“, schnaubt sie vor Wut.
       
       Unermüdlich Solidaritätsauftritte zu absolvieren, Wohnungen in Köln zu
       suchen und ihren geflüchteten Künstlerfreunden auf der Bühne Raum zu geben,
       ist für sie dennoch nicht das Allerwichtigste. Die Künstlerin mit der
       sanften Stimme redet nicht nur von humanitärer Hilfe, sondern auch von
       militärischen Geräten, Dingen, die ein ziviler Verein wie das
       [3][Gelb-Blaue Kreuz] Köln per Gesetz nicht sammeln darf.
       
       ## Nachtsichtgeräte und Schutzwesten
       
       Nachtsichtgeräte, Schutzwesten, Militärschlafsäcke. Sadovska will der
       Territorialverteidigung ihres Heimatlandes helfen: „Meine Freunde in der
       Ukraine, Musiker, unfassbar viele Künstler kämpfen freiwillig mit Waffen –
       dass sie das schutzlos tun müssen, macht mich verrückt.“ Wie auch ihr
       Bassist Mark Tokar, mit dem sie bis vor Kurzem noch auf der Bühne stand.
       
       Seit 2014 gibt sie bereits regelmäßig Solidaritätskonzerte für die Ukraine,
       seit dem jetzigen Kriegsausbruch schläft Mariana Sadovska kaum noch, stellt
       nie das Handy ab. „Ich hätte ein schlechtes Gewissen, [4][weil meine
       Freunde in der Ukraine nicht abschalten können]. Ausruhen tue ich nach dem
       Sieg. Wenn ich militärische Schutzausrüstung schicke, habe ich das Gefühl,
       mit an der Front zu sein, so pathetisch das auch klingt“.
       
       ## Schutzwesten für den Krieg
       
       Sonne scheint auf das begrünte Dach vor ihrem Balkon in Köln, Bücher und
       Familiendinge liegen in der Wohnung herum, in einer Ecke stehen Kartons mit
       olivgrüner Uniform. Ein Vater hat gerade das ausrangierte
       Bundeswehr-Material seines Sohnes vorbeigebracht. Als Erstes hat sie
       persönlich 20 Schutzwesten gekauft, im Bundeswehr-Online-Shop, rund 40
       Funkgeräte und schneefeste Schlafsäcke dazu.
       
       Zunächst hat sie mit Freund*innen in Secondhandläden oder auf Ebay
       gesucht, dann in Polizei-Zubehör-Läden. Sie kaufte günstige Westen für 200
       Euro, „aber die reichen nicht“, sagt Mariana. Nur die für 800 Euro seien
       wirklich schusssicher, lernte sie. Nacht- und Wärmesichtgeräte kommen aus
       Läden für Jagdzubehör.
       
       „Die Funkgeräte habe ich während des Soundchecks im Hamburger
       Thalia-Theater mit ein paar Clicks bezahlt“, sagt sie, deren Leben sich in
       Multitasking-Wahnsinn verwandelt hat. Wenn das Gerät angekommen ist, wird
       es in Lkws verladen, von Grenze zu Grenze gefahren, eine Kette, die
       ebenfalls organisiert werden muss – mithilfe einer ukrainischen NGO.
       
       Und, da es ihr vor allem um den Schutz von kämpfenden Künstlern geht, ist
       der andere wichtige Kontakt ins Land die Ex-Kulturdezernentin von Lviv,
       Iryna Podolyak, frühere Abgeordnete im ukrainischen Parlament, die für die
       Verteilung sorgt. Und die unermüdlich dafür eintrat, die ukrainische
       Kulturszene, die nach der Maidan-Revolution aufblühte, bekannter zu machen.
       
       ## Alles wird zerstört
       
       „Mit 2014 gab es einen kulturellen Boom in der Ukraine“, sagt Sadovska,
       „Theaterstücke, Bücher, Musik – es ist unfassbar was in acht Jahren alles
       entstanden ist – und jetzt zerstört wird.“
       
       Zu den Frauen, deren Lieder sie auf den Dörfern gesammelt hat, ist seit dem
       Krieg der Kontakt abgebrochen. Auf die Frage, was sie dem Kölner
       Salonphilosophen Richard David Precht entgegnen würde, der letztens
       öffentlich Waffenlieferungen an die Ukraine kritisierte, reagiert sie
       fassungslos und wünscht ihm einen Besuch in Mariupol.
       
       Sie ist selbstverständlich für den kompletten Bann von russischem Gas und
       die Einrichtung einer Flugverbotszonen. „Wenn wir Putin erlauben, zu
       gewinnen, dann wird der Dritte Weltkrieg kommen, aber so richtig. Es geht
       um den Kampf von Demokratie gegen Diktatur, Freiheit gegen Versklavung.
       Eine Kapitulation würde für uns den Tod bedeuten“, sagt sie.
       
       Und deshalb muss auch sie selbst immer und immer weitermachen. „Etwas
       anderes würde ich mir nie verzeihen“, sagt sie – und eilt aus ihrer
       Wohnung, zum nächsten Zug.
       
       2 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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