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       # taz.de -- Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Wahlkampfauftakt ohne Gegner
       
       > Sechs Wochen vor der NRW-Wahl ist die SPD bereits mit Spitzenpersonal auf
       > dem Platz. Und die CDU? Überlegt noch, wann sie einsteigt.
       
   IMG Bild: Essen am Samstag: Thomas Kutschaty und Olaf Scholz geben sich gutgelaunt auf der Wahlkampfbühne
       
       Essen/Bochum taz | [1][Spitzenkandidat Thomas Kutschaty] steht
       Samstagvormittag auf einem Platz in der Essener Innenstadt vor rund 500
       SPD-Anhängern. Berater würden ihn davor warnen, mit Bildung Wahlkampf zu
       machen. Aber das schrecke ihn nicht, sagt der 53-Jährige und ruft: „Zukunft
       statt Herkunft!“ Die Bildungskarriere dürfte nicht mehr von der
       Postleitzahl abhängen. Es ist der Versuch, den alten, vielfach durch die
       Realität dementierten sozialdemokratischen Traum von Chancengleichheit
       wieder zu beleben. Dafür will der SPD-Mann viel Geld locker machen,
       besonders für Kinder in ärmeren Vierteln.
       
       In den Umfragen der vergangenen Monate liegen CDU und SPD in etwa
       gleichauf. Für beide geht es am 15. Mai in NRW um viel. Wenn die Union nach
       dem Saarland auch NRW verliert, dazwischen vielleicht auch noch
       Schleswig-Holstein, hat Friedrich Merz in Berlin ein Problem – die gerade
       beendeten Machtkämpfe können wieder aufflammen. Wenn die SPD dagegen
       verliert, wäre sie in Düsseldorf das erste Mal seit mehr als 60 Jahren
       länger als fünf Jahre in der Opposition. In Berlin würde Kanzler Scholz ein
       schärferer Wind entgegen wehen.
       
       Beim SPD-Wahlkampfauftakt am Samstag verströmt alles die Botschaft: Die SPD
       will gewinnen. Der Kanzler und die Parteispitze sind aus Berlin angereist.
       Der Wahlkampf ist ganz und gar auf den SPD-Landes- und
       Landtagsfraktionsvorsitzenden Kutschaty zugeschnitten, so wie es der
       Bundestagswahlkampf auf Olaf Scholz war. Vor dem Auftritt des
       Spitzenkandidaten ist ein flott und professionell gemachter Werbeclip zu
       sehen, der den Aufstieg des Essener Arbeiterkindes bebildert („mit 12
       Jahren erstmals Willy Brandt getroffen“).
       
       Wie Scholz ist der NRW-Mann, der sieben Jahre Justizminister in Düsseldorf
       war, ein wenig mitreißender Redner, Rechtsanwalt und Pragmatiker, der
       [2][mit einem für SPD-Verhältnisse linken Programm] antritt. Neben der
       Abschaffung aller Kitagebühren und andere Bildungsthemen stehen der Ausbau
       der Erneuerbaren und Wohnen im Fokus.
       
       Die NRW-SPD hat sich in der in der Opposition sanft modernisiert und etwas
       Kohlekumpel-Nostalgie abgestreift. Kulturell ist aber noch Luft nach oben.
       In den Pausen zwischen den Reden spielt eine Rockband 80er Jahre-Hits wie
       „Tausendmal berührt“ von Klaus Lage.
       
       ## 100 Impfgegner:innen nerven
       
       Olaf Scholz hält eine knapp 30-minütige Programmrede, wie um das Bild des
       erklärungsschwachen Kanzlers Lügen zu strafen. Er bescheinigt Putin eine
       „imperialistischen Vision früherer Jahrhunderte“, die auch Russland selbst
       zerstöre. Scholz ballt mal die Faust, wird laut und redet frei.
       
       Die perfekt choreographierte Show stören rund 100 Impfgegner:innen, die
       zwei Stunden lang mit Trillerpfeifen nerven und „Scholz muss weg“
       skandieren. Der Kanzler kontert, es sei ein Vorteil der Demokratie, dass
       „man seine Meinung lautstark äußern darf, ohne Angst haben zu müssen“. Das
       Gerede von der Corona-Diktatur sei „böser Zynismus“, die Störer sollten es
       lieber mit Argumenten versuchen.
       
       Über dem Platz ist in luftiger Höhe ein Dach gegen den Regen gespannt.
       Allerdings hat es nachts geschneit. So geht alle paar Minuten eine Ladung
       nasser Schnee misslicherweise auf das Publikum nieder. Als ein Schneebrett
       direkt vor der Bühne landet, schaut Kutschaty verdutzt und sagt dann:
       „Jetzt ist fast alles unten. Jetzt kann es nur noch besser werden.“
       
       Kutschaty wird diesen Optimismus in den nächsten Wochen brauchen. Er muss
       noch bekannter werden. Nur 63 Prozent in NRW kennen ihn, seinen
       Konkurrenten Wüst hingegen 89 Prozent. Es geht für Kutschaty auch
       persönlich um viel: Ministerpräsident oder das politische Aus.
       
       ## CDU im Stadion, aber noch nicht auf dem Platz
       
       Widrig ist das Wetter auch beim Wahlkampfauftakt von Nordrhein-Westfalens
       Christlich-Demokratischer Arbeitnehmerschaft CDA in Bochum. Der
       Arbeitnehmer:innenflügel hat am Samstag ins Lohrheidestadion von
       Wattenscheid 09 eingeladen. Eine tolle Kulisse für
       Arbeitnehmervertreter:innen: In Sichtweite sind die noch immer brennende
       Abraumhalde der Zeche Rheinelbe und ein Förderturm der Zeche Holland.
       
       Am Samstag pfeift ein eisiger Wind durchs Stadion. 200 Leute, viele
       grauhaarig, fast alle CDA-Mitglieder, sind vor Ort. [3][Ministerpräsident
       Hendrik Wüst] nicht. Er lässt sich entschuldigen. Hauptredner ist nun der
       CDA-Bundesvorsitzende und NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann. Es ist
       sein 44. Wahlkampf, sagt die Moderatorin. Laumann verspricht vollen Einsatz
       für Industriearbeiter und Stahlwerker, protzt mit der angeblich geringen
       Arbeitslosigkeit in NRW – dabei liegt die mit 6,7 Punkten über dem
       Bundesdurchschnitt von 5,1 Prozent.
       
       Am allerwichtigsten aber, mahnt der 64-Jährige, sei Geschlossenheit. Kein
       kritisches Wort über den Spitzenkandidaten. Dabei ist [4][der erst seit
       Oktober als Nachfolger des glücklosen Armin Laschet amtierende Wüst] als
       Chef der wirtschaftsnahen CDU-Mittelstandsvereinigung eigentlich der erste
       innerparteiliche Gegenspieler Laumanns. Egal: „Alles richtig gemacht“ habe
       Wüst bisher, so der CDA-Chef.
       
       Auch Spekulationen über mögliche Koalitionen seien wenig hilfreich.
       „Partner werden sich schon finden“, ruft Laumann: „Wenn wir überhaupt
       welche brauchen.“ Heiterkeit im Publikum. Denn die Christdemokraten dürften
       eher zwei als einen Koalitionspartner benötigen – falls sie weiter
       regieren. Umso irritierender ist die Abwesenheit von Regierungschef Wüst im
       Wahlkampf.
       
       Die Landes-CDU hat sechs Wochen vor der Wahl noch nicht mal geklärt, wann
       sie als Gesamtpartei offiziell in den Wahlkampf einsteigen will. Laut
       Gerüchten kann es der 21. oder 22. April werden.
       
       Doch selbst der Ort des Wahlkampfauftakts der NRW-CDU scheint noch nicht
       endgültig festzustehen, räumen CDA-Leute mit verdruckst-beschämten Lächeln
       ein. In Wattenscheid bleibt der Eindruck: Die CDU ist im Stadion, aber
       nicht auf dem Platz. Warum das so ist, weiß bei der CDA niemand.
       „Hoffentlich“, sagen einige, „ist da nicht so etwas wie das Team Laschet am
       Werk, das nichts hinkriegt.“
       
       Im aktuellen NRW-Trend von Infratest dimap im Auftrag des WDR-Magazins
       Westpol liegt die CDU in der Sonntagsfrage mit 31 Prozent knapp vor der SPD
       mit 30 Prozent. Die Grünen kommen auf 15 Prozent, die FDP rangiert bei 8
       Prozent und die AfD bei 7 Prozent. Die Linkspartei liegt in der Umfrage bei
       außerparlamentarischen 4 Prozent. Alles ist noch offen.
       
       3 Apr 2022
       
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