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       # taz.de -- Die Wahrheit: Berggeist in Hochform
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (142): Schneeleoparden
       > sind sagenumwoben und zur Zeit auch im Kino zu bewundern.
       
   IMG Bild: Gestatten, ich bin Askai und ein zehn Wochen alter Schneeleopard
       
       Dem Schneeleoparden wird als charismatisches Tier große Sympathie
       entgegengebracht, meint Wikipedia. In den Hochgebirgen Zentralasiens leben
       noch etwa 5.000 „Pantherae unciae“. Man befürchtet, dass sie im Himalaja
       bald aussterben könnten, ebenso die in der Mongolei und Kasachstan lebenden
       – wenn ihre Beutetiere wegen der Klima- und Landschaftsveränderung
       verschwinden und sie verstärkt auf Nutztiere angewiesen sind. Außerdem
       nimmt die Wilderei zu, Schneeleopardenfelle sind begehrt.
       
       Im russischen Altai-Gebirge wurden Schutzgebiete für sie ausgewiesen. Jedem
       Schneeleoparden soll dort eine Art Ausweis mit Informationen über ihn
       zugeordnet werden. Ein automatisiertes System soll in der Lage sein, einen
       Schneeleoparden von einem anderen zu unterscheiden mithilfe von Aufnahmen
       aus Foto- und Videofallen.
       
       „Dieses System wird zuverlässig geschützt vor Hacker-Angriffen, weil nur
       die Spezialisten einen Zugriff bekommen, die zum Programm des
       Schneeleoparden-Schutzes gehören“, erklärte Natalja Ponomarjowa auf
       interfax-russia.ru. Unterdes fanden ehemalige Wilderer neue
       Vorkommensgebiete des Schneeleoparden in der mongolischen Altai-Region.
       
       Die Erforschung der letzten frei lebenden Schneeleoparden nimmt im Quadrat
       ihres Seltener-Werdens zu. Im pakistanischen Himalaja-Teil suchte der
       US-Raubkatzenforscher George Schaller vergeblich nach ihnen. Anschließend
       bezichtigte er Wilderer, sie dort ausgerottet zu haben, schreibt Rodney
       Jackson in seinem Bericht „Searching for the Snow Leopard“ (2020).
       
       ## Freundschaftliches Zusammenleben
       
       Er und Darla Hillard veröffentlichten mehrere Bücher über sie, nachdem sie
       in vier Jahren fünf Schneeleoparden in Fallen gefangen, betäubt und mit
       „Radio-Halsbändern“ versehen hatten, um ihnen auf ihren Streifzügen folgen
       zu können. In „ihrer Lebensweise ähneln sie den Pumas im Westen der USA“,
       meinen die beiden, aber anders als dort „leben im indischen Ladakh Menschen
       und Schneeleoparden erstaunlich freundschaftlich zusammen, trotz der
       starken Neigung der Schneeleoparden, Vieh zu töten“.
       
       Schaller unternahm noch eine zweite Expedition in den Himalaja, begleitet
       vom US-Schriftsteller Peter Matthiessen. Der erwähnt in seinem Reisebericht
       „Auf der Spur des Schneeleoparden“ (1997), dass sie eine Bewegungskamera
       aufstellten und ein Schneeleopard auch in ihre Richtung ging, 200 Meter vor
       dem Stolperdraht der Kamera änderte er jedoch seinen Weg. „Aber als
       Schaller auf dem Rückweg nach Katmandu war, sprang ein Schneeleopard vor
       ihm im fleckigen Schnee auf, der einzige, den er auf dieser Expedition zu
       Gesicht bekam.“
       
       Ähnliches passierte quasi im Vorübergehen der Reiseschriftstellerin Erika
       Fatland in Nepal, nur dass dieser Leopard sie dann lange von einem
       Felsvorsprung aus beobachtete, bevor er verschwand, berichtete sie in ihrem
       Buch „Hoch oben. Eine Reise durch den Himalaya“ (2021).
       
       ## Lauerjäger allerorten
       
       In Tibet hat der Tierfilmer Vincent Munier einige Schneeleoparden
       fotografiert – indem er wie sie zu einem Lauerjäger wurde. Sein Mitlauerer,
       Sylvain Tesson, veröffentlichte dazu einen Bericht: „Der Schneeleopard“
       (2021). Und eine Filmerin, Marie Amiguet, hat daraus die vielgelobte
       Dokumentation „Der Schneeleopard“ gemacht, die gerade überall in den Kinos
       läuft.
       
       Hierzulande berichtet die Süddeutsche Zeitung gern über diese scheuen
       Tiere: „Wandern im Himalaja. Auf dem Pfad des Schneeleoparden“ oder
       „Australische Skifahrer treffen auf Schneeleoparden“ oder „Der
       Schneeleopard greift an“, lauten dann die Schlagzeilen. Im Görlitzer
       Tierpark können „SZ-Card-Besitzer gleich kostenlos die beiden
       Schneeleoparden beobachten“.
       
       Viele Zoos versuchen sich an einer „Erhaltungszucht“. Im Berliner Tierpark
       leben drei Schneeleoparden, kürzlich wurde ein vierter dort geboren. Im
       Wuppertaler Zoo konnte ein Schneeleopard aus seinem Gehege entkommen, wurde
       aber umzingelt, betäubt und in seinen Käfig zurückgebracht. Der Leipziger
       Zoo erwarb vier Schneeleoparden für seine neue Anlage „Himalaja“.
       
       Umgekehrt wurden die im Karlsruher Zoo lebenden Schneeleoparden ins
       Himalaja-Gebirge gebracht und dort freigelassen. Im Baseler Zoo sind die
       Schneeleoparden derzeit „in Hochform“, heißt es. Und die Schneeleoparden im
       Central Park Zoo von New York lassen angeblich „so manches Herz höher
       schlagen“. Nachdem im Zoo Dresden zwei Schneeleoparden-Babys eingeschläfert
       worden waren, wurde die Zooleitung scharf kritisiert.
       
       Zwischen 2008 und 2014 starben auch sechs Schneeleoparden im Zoo von
       Almaty, was von der Zooleitung zunächst geheimgehalten wurde. Ihre Felle
       wurden wahrscheinlich verkauft. In der Nähe der kasachischen Großstadt
       wurde ein Schneeleopard gesehen, und in den Bergen des Gebiets Almaty wurde
       ein Schneeleopard gefilmt: In dem Moment, als das Tier über die Schneedecke
       ging, jagten ihm Menschen auf Schneemobilen nach.
       
       ## Zwei leben heute noch gesund im Reha-Zentrum
       
       Ihre Bilder wurden auf Facebook gepostet. In Kommentaren verurteilten
       Internetnutzer sie, weil sie das Tier vor sich hertrieben. „Es ist auf dem
       Video zu sehen, dass der Schneeleopard immer langsamer wird, er will zwar
       weiterlaufen, aber kann nicht. Das abgehetzte Tier hatte keine Kraft mehr.“
       In solchen Situationen könne der Schneeleopard sterben. Deshalb sei das
       Verhalten dieser jungen Leute zu verurteilen, teilte der Biologe Sergej
       Skljarenko der Presse mit.
       
       Im Roman des kirgisischen Schriftstellers Tschingis Aitmatow „Der
       Schneeleopard“ (2006) geht es um eine Schneeleopardenjagd von zwei reichen
       Arabern, die einem kirgisischen Geschäftsmann viel Geld dafür bezahlen. Als
       ihr Dolmetscher fungiert ein alter Journalist, der sich vor allem mit
       Reaktionären und Oligarchen befasst hat.
       
       Als sie einen alten Schneeleoparden fast eingekreist haben, versucht der
       Journalist das Tier über Megafon zu verscheuchen. Das gelingt ihm auch,
       aber in dem daraufhin einsetzenden Kugelhagel werden sowohl er als auch der
       Schneeleopard angeschossen. Sie schleppen sich in eine Berghöhle, wo sie
       zusammen sterben. „Für beide scheint es keinen Platz mehr zu geben“,
       vermutet Aitmatow.
       
       Die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens veranstalten desungeachtet
       einen wahren Symbolrummel um „ihre“ Schneeleoparden. Die Kirgisen nennen
       ihn „Geist der Berge“, den Tataren und Kasachen gilt er als Nationaltier,
       und Präsidenten wie Putin lassen sich mit dem Tier fotografieren.
       
       Der Naturschutzbund (Nabu) eröffnete am kirgisischen See Issyk-Kul eine
       Schutzstation. 2011 wurden dort zwei Schneeleoparden aus den Fangeisen von
       Wilderern gerettet. Ihre Pfoten waren so verstümmelt, dass sie nicht mehr
       in Freiheit leben konnten. Es kam aber zu einem „versehentlichen
       Zuchterfolg“.
       
       Zwei der jungen Weibchen leben heute noch gesund im Reha-Zentrum, bei den
       zwei jungen Männchen machte sich jedoch eine Augenkrankheit bemerkbar. 2012
       operierte ein Augenarzt die beiden. Er konnte ihr Sehvermögen zu 40 Prozent
       wieder herstellen.
       
       4 Apr 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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