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       # taz.de -- Diskussion um NS-Straßennamen: Geehrte Kriegsverbrecher
       
       > In der Tradition der NS-Propaganda würdigen Wilhelmshaven und Varel bis
       > heute Friedrich Bonte für den Überfall auf Norwegen. Nun kommen Debatten
       > auf.
       
   IMG Bild: Deutsche Truppen werden vom Kreuzer „Admiral Hipper“ während des Krieges in Norwegen abgesetzt
       
       Bremen taz | Die Liste der Verdienste des Friedrich Bonte ist kurz. Genau
       genommen sind in den Geschichtsbüchern gar keine vermerkt. Geehrt wird er
       trotzdem. Seit 1941 schon, bis heute – in [1][Wilhelmshaven] gleich zwei
       Mal, aber auch in [2][Varel]: Kommodore Friedrich Bonte war der Anführer
       der Zerstörerflotte, die in der „Operation Weserübung“ am 9. April 1940 in
       Narvik das neutrale Norwegen überfiel. Zugleich wurde das ebenfalls
       neutrale Dänemark angegriffen.
       
       Bonte kam dabei tags darauf zu Tode und verlor zehn Schiffe. „Die
       Nationalsozialisten haben diese Niederlage zu einer Heldentat und ihn zum
       Vorbild stilisiert“, sagt der [3][Regionalhistoriker Hartmut Peters] aus
       Wilhelmshaven. Bonte sei eine vom NS-Regime „konstruierte Propagandafigur“.
       Wenn die Stadt also heute eine Bontestraße hat, vor allem aber einen
       Bontekai, eine mittlerweile sehr schicke Wohnadresse – „dann bewegt man
       sich damit auf dem Niveau der NS-Propaganda“, sagt Peters.
       
       Bonte diente schon im Ersten Weltkrieg in der Marine und gehörte danach
       zeitweilig der Marinebrigade „Ehrhardt“ an, einem rechtsradikalen
       Freikorps, das durch die brutale Niederschlagung der Münchner Räterepublik
       1919 bekannt wurde, aber auch durch seine Beteiligung am Kapp-Putsch 1920.
       „Viel mehr ist über Bonte nicht bekannt, eine wissenschaftliche Biographie
       existiert bis heute nicht“, sagt Stephan Huck, Direktor des [4][Deutschen
       Marinemuseums] in Wilhelmshaven.
       
       „Wir haben es mit einem Leben zu tun, das alle Elemente der damals gültigen
       Vorstellungen von Heldentum aufwies“, sagt Huck. Es stehe aber außer Frage,
       dass das heute „nicht mehr zur Begründung einer Benennung nach Bonte taugen
       würde“. Denn als verantwortlicher Offizier habe er seinen Anteil an dem
       „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ gehabt.
       
       ## Ein Mittel der Propaganda
       
       „Die Benennung des Bontekais war ein Mittel der nationalsozialistischen
       Propaganda, um die Verluste vor Narvik sinnstiftend zu deuten“, sagt Huck.
       „Und immer und immer wird ein Name wie eine Fackel leuchtend brennen, als
       Vorbild und als Richtpunkt, der Name des Kommodore, der Name Bonte“,
       schrieb das Oberkommando der Wehrmacht kurz nach dessen Tod.
       
       „Der deutsche Angriff spielt in der norwegischen Erinnerungskultur eine
       wichtige Rolle“, sagt [5][Leiv Sem, Professor an der Universität in Bodø],
       der zur Kulturgeschichte des Krieges und der populären Erinnerungskultur
       geforscht hat. Das Motiv werde aber meist beschworen, um die mangelnde
       Fähigkeit Norwegens zu beschreiben, seine Grenzen und seine Neutralität zu
       verteidigen. Andererseits werde für die Norweger „der Schock des deutschen
       Überraschungsangriffs wahrscheinlich von der traumatischen Erfahrung der
       anschließenden Besatzungszeit überschattet.“
       
       Wie der Norweger zu der Benennung des Bontekais steht und zu den
       Bontestraßen hierzulande? „Es liegt mir fern, anderen vorzuschreiben, wie
       sie mit ihrer Geschichte umgehen sollen“, sagt Sem. „Allerdings könnte man
       sagen, dass es für einen Norweger etwas überraschend ist, zu erfahren, dass
       der Angreifer von Narvik auf diese Weise geehrt wird.“
       
       Mehr als 80 Jahre nach der „Operation Weserübung“ beginnt nun aber, ganz
       sachte, eine Debatte um die Umbenennung insbesondere des prominenten
       Bontekais in Wilhelmshaven. Stephan Huck vom örtlichen Marinemuseum schlägt
       vor, die zivilgesellschaftliche Diskussion um diese „geschichtspolitische
       Frage“, die unter anderem vom [6][runden Tisch „Dekolonialisierung“]
       ausgeht, nun in die politischen Gremien der Stadt zu verlagern.
       
       Und die Sprecherin der Stadt sagt, man werde sie „im Sommer“ ebenda
       einbringen. Im übrigen will man von offizieller Seite erst Stellung nehmen,
       wenn die Willensbildung „ergebnisoffen“ erfolgt sei. Zwar will die Stadt
       sich neuerdings als Tourismusdestination profilieren. Sorge, Gäste aus
       Skandinavien mit einem Bontekai eher abzuschrecken, hat man aber nicht.
       
       Militärhistoriker Huck bringt ins Gespräch, den Namen des Bontekais zu
       erhalten, aber zu erklären, warum der Name „einst als opportun, heute
       jedoch als belastet angesehen wird“. Er bringt dabei die Anwohner:innen
       ins Spiel: „Man sollte nicht vergessen, dass sie sich diesen Namen nolens
       volens angeeignet haben und mit dieser Adresse gelebt haben“, so Huck.
       Dadurch hätten sich „längst Bedeutungsüberlagerungen gebildet“, die mit
       Bonte nichts mehr zu tun hätten, „deshalb aber keineswegs gering an
       Bedeutung sind“.
       
       ## Neue Aktualität durch den Ukraine-Krieg
       
       Für Regionalhistoriker Peters indes „kommt es nicht in Frage, die Namen zu
       belassen“. Erklärende Schilder „können die fundamentale Negierung zentraler
       Werte unserer Republik nicht kompensieren“, schreibt er in einem bisher
       unveröffentlichten Leserbrief. Er sei aber „zuversichtlich“, dass sich
       jedenfalls in Wilhelmshaven nun etwas tut – auch weil die Frage, inwiefern
       Neutralität ein wirksamer Schutz vor Aggression ist, durch den Krieg in der
       Ukraine sehr aktuell geworden ist.
       
       In Varel wurde 1941 immerhin nur eine kurze Sackgasse nach dem
       Kriegsverbrecher benannt, die Diskussion um eine Umbenennung versandete
       aber immer wieder. Auch derzeit gebe es keine entsprechenden Überlegungen,
       teilt Bürgermeister Gerd-Christian Wagner (SPD) der taz mit. Vor dem
       Hintergrund der Anfrage und der Diskussion in Wilhelmshaven werde die
       Stadtverwaltung dieses Thema den zuständigen Gremien aber „zeitnah zur
       Beratung vorlegen“.
       
       6 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wilhelmshavens-Last-der-Vergangenheit/!5844372
   DIR [2] https://www.nwzonline.de/friesland/politik/varel-strasse-in-varel-namensgeber-mit-zweifelhaftem-ruf_a_50,2,1680078478.html
   DIR [3] https://friesenblog.com/menschen/hartmut-peters/
   DIR [4] https://www.marinemuseum.de/
   DIR [5] https://www.nord.no/en/employees/leiv-heming-sem#&acd=accAboutMe
   DIR [6] https://www.groeschlerhaus.eu/wp-content/uploads/2021/09/2021-07-14-WZ-Kolonialisierung-Runder-Tisch-min.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Zier
       
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