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       # taz.de -- Schutzräume im Ukrainekrieg: Der beste Keller der Welt
       
       > Im westukrainischen Lwiw ist es noch verhältnismäßig ruhig. Aber
       > Bombenalarm und Luftschutzräume gibt es auch hier.
       
   IMG Bild: Rauch über Lwiw nach einer Explosion in der Nähe des Flughafens am 18. März
       
       Was wissen Sie über Keller? Haben Sie irgendwann schon mal versucht, Ihren
       Keller auf einer 5-Punkte-Skala zu bewerten? Wie viele Sterne bekäme er
       zusätzlich für Wasser und Belüftung? Ich zum Beispiel sitze gerade in einem
       5-Sterne-Keller, obwohl weder das Hilton noch das Hyatt irgendwas von ihm
       wissen.
       
       Es ist hier warm und gemütlich, es gibt Wasser und auch eine Steckdose. An
       manchen Stellen kommt man sogar ins Internet, was ihn wirklich
       ausgesprochen angenehm macht. Das einzige Problem an ihm ist, dass ich
       heute bereits zum sechsten Mal hinuntergegangen bin – und dieses Mal zum
       letzten Mal. Denken Sie nichts Schlimmes. Es ist bloß absolut sinnlos, sich
       im Zimmer zum Schlafen hinzulegen, wenn man schon nach ein oder zwei
       Stunden wieder in den Keller muss.
       
       Heute hat es im Hinterland von Lwiw fünfmal Luftalarm gegeben. Insgesamt
       habe ich heute mehr als fünf Stunden unter der Erde verbracht. Aber das ist
       ein guter Deal – ein Viertel des Tages unter der Erde zu verbringen, um
       nicht für immer dort zu landen. An den Tagen davor war alles viel besser –
       „der russische Kriegswecker“, wie ich ihn nenne, arbeitete kurz nach fünf
       Uhr morgens und sicherte scharfes, zuverlässiges Aufwachen.
       
       Mein Keller hat nur ein technisches Manko – ich kann ihn nicht mit anderen
       teilen. Er wäre gerade sehr nützlich für meine Freundin aus Mariupol, eine
       junge Journalistin, von der ich seit über drei Wochen nichts mehr gehört
       habe. [1][In ihrer Stadt ist der Keller der einzige Ort, an dem man den
       Beschuss durch die russische Armee überleben kann.] Von vielen früheren
       Wohnhäusern sind dort nur noch Ruinen übrig, und darunter sind Keller
       voller Menschen.
       
       Vielleicht haben Sie von der Bombardierung des Mariupoler Theaters gehört?
       Der sowjetische Schutzbunker unter dem Theater war offensichtlich für den
       Kalten Krieg gebaut, zum Schutz vor dem „Westen“. Jetzt hat er viele
       Einwohner der Ukraine gerettet, die von den Russen bombardiert werden unter
       dem ausgedachten Vorwand der „Entnazifizierung“.
       
       Ach übrigens, zum Thema „Entnazifizierung“. Ich würde auch sehr gern
       [2][Boris Romantschenko in meinen Keller aufnehmen, den ehemaligen Häftling
       der nationalsozialistischen Konzentrationslager] Buchenwald, Peenemünde,
       Dora und Bergen-Belsen. Er hat den Holocaust überlebt, er war 96 Jahre alt
       und starb jetzt in seiner eigenen Wohnung (in Charkiw; Anm. der Redaktion)
       durch eine russische Granate. Derjenige, der an der Waffe stand, feiert
       höchstwahrscheinlich gern den Tag des Sieges. Aber am 18. März hat er einen
       Menschen umgebracht, der die Nazis aus eigenem Willen besiegt hat.
       
       [3][In Lwiw ist es jetzt fast still], und wenn die Sirene nicht ertönt,
       kann ich die erdrückenden Wände meines zum Luftschutzbunker gewordenen
       Kellers verlassen und mich ein bisschen erholen. Aber Millionen Menschen in
       unserem Land können sich das nicht erlauben, denn manchem fällt es leichter
       zu bombardieren, als zu denken. Wir hingegen haben Zeit zum Nachdenken,
       während wir uns vor den russischen Bomben verstecken. Glauben Sie mir, das
       alles werden wir niemals vergessen.
       
       Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey] 
       
       Finanziert wird das Projekt durch die [5][taz Panter Stiftung].
       
       26 Mar 2022
       
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