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       # taz.de -- Modrows Relativierung des Ukrainekriegs: Linkspartei geht auf Distanz
       
       > Mit einer Äußerung zum Ukrainekrieg sorgt Hans Modrow für Empörung. Jetzt
       > will die Linkspartei ihn als Vorsitzenden ihres Ältestenrats ablösen.
       
   IMG Bild: Bald kein Teil des Linken-Ältestenrats mehr: Hans Modrow, hier auf dem Parteitag im Jahr 2018
       
       Berlin taz | Hans Modrow wird künftig nicht mehr dem Ältestenrat der
       Linkspartei vorstehen. Das Gremium soll in den kommenden zwei Monaten
       neubesetzt werden. Darauf hat sich der Vorstand der Partei auf seiner
       Sitzung am Samstag verständigt. Er zieht damit die Konsequenzen aus einem
       Papier, in dem der 94-jährige frühere DDR-Ministerpräsident den Überfall
       Russlands auf die Ukraine relativiert hatte.
       
       Die Auslassungen Modrows seien „inakzeptabel und stehen in Widerspruch
       [1][zur gemeinsamen Position von Bundespartei und Bundestagsfraktion]“,
       heißt es in dem ohne Gegenstimmen gefassten Beschluss des Parteivorstands,
       der der taz vorliegt. „Dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg ist durch
       nichts zu rechtfertigen“.
       
       Modrow hatte Mitte vergangener Woche eine von ihm selbst verfasste
       „Mitteilung über die Beratung des Ältestenrates“ an den Parteivorstand und
       weitere Mitglieder der Linkspartei verschickt. In Bezug auf den Krieg in
       der Ukraine war dort zu lesen: „Die Frage, wie weit der Krieg in der
       Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer
       Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen
       Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“
       
       Dieser äußerst eigenwillige Blick auf die russische Aggression sorgte für
       heftige Empörung in der Linkspartei und auch innerhalb des Ältestenrats
       selbst, in dessen Namen Modrow seine „Mitteilung“ verfasst hatte. Nicht nur
       Ulrich Maurer, [2][einst SPD-Präsidiumsmitglied] und später
       [3][parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion] im Bundestag, soll
       einen Wutanfall bekommen haben.
       
       ## Widerspruch aus dem Ältestenrat
       
       Das Papier habe dem 18-köpfigen Berater:innengremium weder
       vorgelegen noch sei es mit ihm abgestimmt worden, teilten die
       Ältestenrat-Mitglieder Anni Seidl, Friederun Fessen und Sybille Stamm in
       einer schriftlichen Erklärung mit. „Wir stellen fest: Wir sind der Meinung,
       es handelt sich um einen verbrecherischen Angriffskrieg Russlands gegen die
       Ukraine“. Das stehe für sie „außer Frage und darf nicht relativiert
       werden“.
       
       Erst nach heftigem Druck aus den Reihen des Ältestenrats und aus der
       Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei soll sich Modrow zur
       Schadensbegrenzung zu einer Neufassung seiner „Mitteilung“ bereit erklärt
       haben. Der fragwürdige Satz wurde ersetzt: „Mit dem völkerrechtswidrigen
       Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sind größte Gefahren für die
       Erweiterung des Krieges verbunden“, heißt es jetzt stattdessen. Inhaltlich
       habe Modrow allerdings keine Einsicht gezeigt, ist aus dem
       Karl-Liebknecht-Haus zu vernehmen.
       
       Die Turbulenzen um den Bericht des Ältestenrates würden zeigen, dass
       Arbeitsweise und -form dieses Gremiums „dysfunktional“ seien, konstatiert
       nun der Linkspartei-Vorstand. Auf seiner nächsten Sitzung im April soll
       zunächst über die künftige Arbeitsweise und Struktur des Ältestenrats
       entschieden werden.
       
       Bei der darauffolgenden Parteivorstandssitzung im Mai soll dann die
       Neuberufung seiner Mitglieder stattfinden. Dass Modrow nicht mehr zu dem
       Kreis gehören werde, darüber habe eine große Einigkeit bestanden, heißt es
       aus Vorstandskreisen.
       
       ## In der Schlusskurve eines langen politischen Lebens
       
       Hans Modrow gehörte von 1958 bis 1990 der Volkskammer der DDR und von 1967
       bis 1989 dem Zentralkomitee der SED an. [4][Damals als „Reformer“ geltend],
       wurde er im Herbst 1989 Vorsitzender des Ministerrats der DDR. Bei der
       Umwandlung der SED zur PDS spielte er neben Gregor Gysi und Lothar Bisky
       eine zentrale Rolle.
       
       Nach der Wiedervereinigung saß Modrow zunächst von 1990 bis 1994 im
       Bundestag und anschließend von 1999 bis 2004 im Europarlament. In der PDS
       Ehrenvorsitzender, wurde er nach der Fusion mit der WASG 2007 zum
       Vorsitzenden des Ältestenrats der Linkspartei berufen.
       
       Innerhalb der Linkspartei sorgt Modrow schon seit einiger Zeit vor allem
       für Kopfschütteln. Er erscheine zunehmend verbittert, seine Ansichten
       würden immer skurriler und befremdlicher, beklagt ein führender Funktionär.
       Das habe etwas Tragisches. Modrow erfasse offenkundig die Realität nur noch
       verzerrt, vor allem die außenpolitische.
       
       Ein Beleg dafür ist ein Schreiben Modrows an Susanne Hennig-Wellsow und
       Janine Wissler von Mitte Januar. Darin attackiert er die Parteivorsitzenden
       und beklagt eine „absurde Äquidistanz zur Außenwelt“: Man könne nicht zu
       allen Staaten „den vermeintlich gleichen ideologischen Abstand halten“,
       kritisiert er – und lässt keinen Zweifel daran, was er damit meint: „Wer in
       das gleiche Horn stößt wie die kapitalistischen Kritiker Russlands und
       Chinas, Kubas, Venezuelas usw., macht sich objektiv mit ihren erklärten
       wirtschaftlichen und politischen Gegnern gemein.“ Im Kampf um den Frieden
       dürfe es „keine Neutralität geben“.
       
       Das war vor dem Einfall der russischen Truppen in die Ukraine. Nun scheinen
       auch Wohlmeinendere in der Linkspartei die Geduld mit ihm verloren zu
       haben. In Zukunft solle es „eine engere Zusammenarbeit zwischen
       Parteivorstand und Ältestenrat geben“, heißt es in dem Beschluss des
       Parteivorstands. Ohne Hans Modrow.
       
       27 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Linkspartei-zur-Russland-Ukraine-Krise/!5837300
   DIR [2] /Krise-der-Sozialdemokratie/!5547792
   DIR [3] https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2013/44957566_wege_aus_politik_maurer-212492
   DIR [4] /Friedliche-Wende-in-der-DDR/!5628564
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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