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       # taz.de -- Zoff bei CSU im bayerischen Landtag: Es grummelt in Söders Truppe
       
       > Die CSU-Fraktion streitet über ihren Vorsitzenden – meint aber vielleicht
       > jemand anderen. Am Mittwoch kommt es zur Aussprache.
       
   IMG Bild: Inszenierung in der Münchner Staatskanzlei: Kaffeetasse mit programmatischer Aufschrift
       
       München taz | Nein, sein jüngster Vorstoß richte sich ganz bestimmt nicht
       gegen Ministerpräsident Markus Söder, dementierte der
       CSU-Landtagsabgeordnete Ernst Weidenbusch vergangene Woche auf Twitter.
       Gut, seine präzisen Worte lauteten etwas anders: „Was posten Sie eigentlich
       für einen Müll“, schrieb er. „Haben Sie gekokst oder glauben Sie das
       wirklich?“ Adressat war Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn, der zuvor auf
       dem Kurznachrichtendienst behauptet hatte, dass Weidenbusch „die Jagd auf
       Markus Söder eröffnet“ habe.
       
       Nun muss man wissen, dass Weidenbusch nicht nur Politiker, sondern auch
       Präsident des Bayerischen Jagdverbands ist, was bei politischen Gegnern und
       Journalisten einen geradezu zwanghaften Reflex zu einschlägigen Metaphern
       auszulösen scheint. Vor allem aber sollte man wissen, dass Weidenbusch in
       der CSU-Landtagsfraktion gerade mächtig für Unruhe sorgt. Oder aber – je
       nach Sichtweise: dass er lediglich öffentlich ausspricht, was viele in der
       Fraktion denken.
       
       Dabei geht es, zumindest vordergründig, zunächst mal um den Fraktionschef,
       den Allgäuer Thomas Kreuzer. „Mit Thomas Kreuzer werden wir die Wahl nicht
       gewinnen“, zitiert der Bayerische Rundfunk Weidenbusch.
       
       Im Herbst nächsten Jahres wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt, und
       CSU-Chef Söder ist längst nicht der einzige, der diese Wahl als
       „Schicksalswahl“ tituliert. Zuletzt lag die Partei, die bei den
       Landtagswahlen 2018 mit 37,2 Prozent der Stimmen bereits auf ein
       historisches Tief gefallen war, in Umfragen bei 35 bis 37 Prozent. Kreuzer
       führt die Fraktion seit achteinhalb Jahren an, vor knapp einem Jahr wurde
       er im Amt bestätigt.
       
       ## „Wer fragt uns eigentlich noch?“
       
       „Meiner Meinung nach bleiben Thomas Kreuzer noch etwa sechs Wochen Zeit,
       von sich aus seine Nachfolge zu organisieren, sonst wird es eine Dynamik in
       der Fraktion geben, die er nicht mehr aufhalten kann“, prophezeit
       Weidenbusch. „Spätestens die Sommerpause wird für die CSU-Fraktion zur
       Zäsur.“ Kreuzers Vize Tobias Reiß fasst das als Ultimatum auf und
       bezeichnet Weidenbuschs Verhalten im Münchner Merkur als „unterirdisch“.
       Andere sind in der Sache zwar bei Weidenbusch, finden aber, es müsse eine
       Lösung gefunden werden, bei der Kreuzer das Gesicht wahren könne. Der hält
       sich bislang bedeckt.
       
       Unmut gibt es tatsächlich. Natürlich würden in einer Fraktion mit über 80
       Mitgliedern nie alle zufrieden sein, sagt ein Abgeordneter. Aber es sei
       schon eine „Grundunzufriedenheit“ mit dem Austausch zwischen Abgeordneten
       und Staatsregierung festzustellen. Oder vielmehr: mit dem fehlenden
       Austausch. „Es sind viele sauer und denken sich: Wer fragt uns eigentlich
       noch?“
       
       Es müssten halt auch ab und zu Themen in den Vordergrund gestellt werden,
       die den Willen der Fraktion dokumentierten, fänden diese. Dem
       Fraktionsvorstand komme dann die Aufgabe zu, Punkte herausarbeiten, wo eine
       Mehrzahl der Abgeordneten vielleicht nicht so ganz auf Linie der
       Staatsregierung liege – etwa bei einzelnen Punkten des Haushalts, wenn
       Söder mal wieder eine seiner milliardenschweren Ankündigungen mache.
       
       Kreuzer gilt jedoch nicht gerade als der Mann, der Initiativen aus der
       Fraktion heraus fördert, sondern eher als loyaler Söder-Vertrauter, der
       versucht, seine Leute auf Kurs des Ministerpräsidenten zu halten – wohin
       auch immer der gerade geht.
       
       ## Streitpunkt Windkraft
       
       Ein Punkt, bei dem nicht alle hinter Söders Kurs stehen, könnte nun das
       Thema Windkraft sein. Aus Berliner Sicht gilt Markus Söder bei deren Ausbau
       als Bremsklotz. Nach Ansicht eines Teils der Fraktion dagegen, verficht der
       Ministerpräsident den Anti-Wind-Kurs viel zu wenig. Unter Druck von
       Klimaminister Robert Habeck, aber auch vom eigenen Koalitionspartner, den
       Freien Wählern, hatte Söder zuletzt weitgehende Ausnahmen der 10-H-Regelung
       in Windkraft-Vorranggebieten in Aussicht gestellt, woraufhin es sofort
       Einspruch aus der Fraktion gab.
       
       Kerstin Schreyer, bis vor wenigen Wochen als Bauministerin noch für die
       10-H-Regel zuständig, nach der Windräder von der nächsten Wohnbebauung das
       Zehnfache ihrer Höhe entfernt sein sollen, sagte laut Bayerischem Rundfunk:
       „Es gibt eine sehr große Klarheit auch in der Fraktion, dass an 10H
       natürlich festgehalten wird.“ Natürlich. Ausnahmen müsse man „wirklich
       offen“ diskutieren, forderte Schreyer, inzwischen Vorsitzende des
       Wirtschaftsausschusses.
       
       Und dann sind da auch noch die persönlichen Befindlichkeiten, die aktuell
       für schlechte Stimmung in der Fraktion sorgen. [1][Nach Söders
       Kabinettsumbildung im Februar] gab es einige Übergangene und Geschasste,
       die nun erst einmal mit ihrer Enttäuschung klarkommen müssen. Schreyer ist
       da nur ein Beispiel. Und auch andere, etwa der nicht namentlich zitierte
       Abgeordnete, halten die Kabinettsumbildung nicht unbedingt für den großen
       Wurf.
       
       An diesem Mittwoch nun soll es in der Fraktionssitzung eine Aussprache
       geben. Ein freiwilliger Rückzug Kreuzers gilt als unwahrscheinlich, mangels
       klarer Alternative rechnet aber auch niemand mit einer Revolte. Es gebe
       keinen Rädelsführer, Weidenbusch selbst, so heißt es, sei lediglich ein
       Krawallmacher, eine „unguided missile“, aber bestimmt kein Mehrheitsführer.
       Es sei auch unklar, ob er in Eigeninitiative gegen Kreuzer vorgehe oder in
       jemandes Auftrag.
       
       ## „Charakterköpfe gänzlich verstummt“
       
       Die Frage, die sich vor allem aber stellt, ist: Geht es überhaupt um
       Kreuzer? Womit wir wieder bei der These von Brunns, dem des
       Rauschgiftkonsums verdächtigten SPD-Chefs, wären, wonach die eigentliche
       Zielscheibe Söder ist. „Kreuzer ist nicht das Thema. Wenn, dann ist Söder
       das Thema“, hört man auch aus der CSU-Fraktion.
       
       Denn als Herzkammer der CSU sieht sich die Fraktion selbst. Dass die
       Abgeordneten dem Parteichef und Ministerpräsidenten blindlings folgen,
       funktioniert erfahrungsgemäß immer nur so lange, wie dieser ein
       Erfolgsgarant ist. Solange ein Wahlerfolg des Ministerpräsidenten und damit
       auch die Wiederwahl der Abgeordneten gesichert erscheint, wagt sich kaum
       einer aus der Deckung, der Amtsinhaber kann sich so ziemlich alles
       erlauben.
       
       Doch mit den schwindenden Zustimmungswerten in der Bevölkerung nimmt auch
       die Begeisterung der Parlamentarier für ihren Anführer und dessen
       Alleingänge ab. Selbst der eher Söder-freundliche Münchner Merkur
       konstatierte jüngst: „Die Partei kreist ausschließlich um ihren
       Vorsitzenden. In der CSU gab es diese Tendenz schon immer: Strauß, Stoiber,
       Seehofer. Aber unter Söder sind Parteiflügel und Charakterköpfe gänzlich
       verstummt.“
       
       Es könnte also eng werden für den Ministerpräsidenten. Es gebe allerdings
       zwei Lager in der Fraktion, erzählt der Abgeordnete, der seinen Namen nicht
       nennen will: Während die einen meinten, man könne mit einem Söder in keinen
       Wahlkampf mehr ziehen, fänden die anderen, es wäre das Gefährlichste, den
       Amtsinhaber noch vor der Wahl zu ersetzen. 2007 und 2017 hat man dies
       versucht – beide Male mit katastrophalen Ergebnissen.
       
       Spätestens aber nach der Wahl, so der CSU-Abgeordnete, habe Söder „ein
       fettes Problem“ – sollte er nicht überraschenderweise ein Superergebnis
       einfahren. Aber danach sehe es momentan nicht aus, und der Glaube an die
       Macht des Amtsbonus habe [2][spätestens seit der Saarland-Wahl] einen
       starken Dämpfer bekommen.
       
       30 Mar 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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