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       # taz.de -- Alternativen zur Fußball-WM in Katar: Ratgeber für Boykotteure
       
       > Mit der Auslosung nimmt die Fußball-WM in Katar Gestalt an. Die taz
       > stellt zehn Ideen als Alternative vor.
       
   IMG Bild: Hier wurde das Gewissen vieler Fußballfans untergraben: das al-Bayt-Stadion im Norden von Katar
       
       Es ist zum Davonlaufen. Nichts und niemand mehr wird die
       Fußball-Weltmeisterschaft der Männer, die im November in Katar beginnen
       wird, aufhalten. „Die größte Show der Erde“ hat Gianni Infantino, der
       Präsident des internationalen Fußballverbands, vor der Auslosung der
       Gruppen schon jetzt versprochen. Viele Fußball-Fans waren schon vor der
       [1][skandalumrankten Vergabe des Turniers] in das Emirat angewidert von der
       Versammlung der Korruptionäre mit dem Namen Fifa.
       
       Die Entscheidung für Katar hat ihnen den Rest gegeben. Die immer neuen
       Nachrichten von weiteren Todesfällen auf den Baustellen für Stadien oder
       die WM-Infrastruktur vergällen selbst eingefleischten Fußballfans die Lust
       auf das Turnier. Von Boykott ist die Rede. Wenn schon kein qualifiziertes
       Land absagt, dann wollen sie einen privaten WM-Streik durchführen. Motto:
       Sollen die nur spielen, ich schau mir das nicht an.
       
       Leicht wird es nicht. Man wird sich in den kalten Herbst- und Winterwochen
       dem WM-Geschehen nur schwer entziehen können. Als vor gut einer Woche
       feststand, [2][dass sich Italien wieder nicht für die WM qualifiziert hat],
       schäumten Medien, auch die sozialen, über vor Häme, Mitleid, Entsetzen und
       Analysen. So mancher, der sich vorgenommen hatte, die WM zu boykottieren,
       diskutierte da vielleicht mit. Im November, wenn die WM losgeht, wird der
       Fußball wieder seine unheimliche Macht über Fans und Interessierte
       entfalten. Es wird schwer, sich dem zu entziehen. Ein persönlicher
       WM-Boykott bedarf intensiver Vorbereitung. Was tun, wenn die Welt in News
       von der Fußball-WM versinkt? Das Wegschauen kann harte Arbeit sein. Es kann
       aber auch Spaß machen. Und vom Sport braucht sich dabei niemand zu
       verabschieden.
       
       Die Leibesübungen-Redaktion der taz hat sich ein paar Gedanken dazu gemacht
       und einen kleinen Ratgeber für Boykotteure zusammengestellt. Hier sind die
       10 Top-Alternativen zur Fußball-WM 2022.
       
       ## 1. Schon mal Pok-Ta-Pok gespielt?
       
       Wenn die Weltgeschichte sich nur ein klein bisschen anders entwickelt
       hätte, wäre unser beliebtestes Ballspiel vielleicht eines, das aus dem
       Pok-Ta-Pok käme: mit der Hüfte, dem Ellenbogen, dem Kopf oder den Knien –
       irgendwie muss der Ball in der Luft gehalten werden. Es gehört zu den
       mesoamerikanischen Ballspielen und war gerade im heutigen Mexiko sehr
       populär. Pok-Ta-Pok wäre vielleicht Weltsport, wenn die Konquistadoren
       nicht gekommen wären. Also die Leute, die später auch den Fußball nach
       Katar bringen wollten.
       
       ## 2. Wie wär’s mit Folk Football?
       
       Etwas mehr als 2.000 Orte gibt es in Deutschland, die als Dörfer gelten
       können. Das bietet die Chance für etwa tausend großartige Derbys, die die
       ursprüngliche Schönheit des Fußballs heraufbeschwören. Warum also nicht
       einfach mal die Trottel aus dem Nachbardorf verkloppen? Für den Spaß gibt
       es auch den schönen Namen „Mob-Football“, und der trifft es schon ganz gut
       – wenn nicht gerade die aus dem Nachbardorf getroffen werden. In jedem Dorf
       gab es eine Art Tor, manchmal ist es auch der Balkon der jeweils anderen
       Kirche. Da sollte der Ball hin – mit jedem denkbaren Mittel. Schon 1314
       sollte es erstmals verboten werden, aber gespielt wurde es bis ins 19.
       Jahrhundert. Erst als Rugby auf der einen und Fußball auf der anderen Seite
       populär wurden, verschwand Folk Football. Im 21. Jahrhundert sollte es so
       richtig groß rauskommen.
       
       ## 3. Ganz einfach: Homekicking!
       
       Fußball ist nach Habermas bekanntlich eine Duplizierung der Arbeitswelt,
       aber wem sagen wir das! Und wenn zu Covid-Zeiten weite Teile des
       Broterwerbs zu Hause stattfinden müssen, warum sollte sich dann nicht zum
       Homeoffice das Homekicking gesellen? Wichtig ist, den Lederball sehr prall
       aufzupumpen, sonst gibt es keine zählbaren Ergebnisse. Homekicking ist kein
       Fußball für die Galerie. Nein, hier werden Blumentöppe geholt – und zwar
       direkt vom Fensterbrett. Wer sich den Fernseher als Tor ausguckt, schafft
       sich ein ideales Trainingsumfeld, um kräftig geschossene Elfer zu üben. Wer
       mit der Kugel die Mattscheibe zerschießt, der hat auch im richtigen Leben,
       auf dem Fußballplatz, beste Chancen zu zeigen, was er draufhat.
       
       ## 4. Ganz großes Tennis
       
       Dem Fußball ist seine ungebremste Schönheit abhanden gekommen. Ästhetische
       Highlights wie das Zurschaustellen nackter, im unteren Bereich nach vorn
       gewölbter Oberkörper, gerne mit seitwärts nach oben gestreckten Armen, an
       deren einem Ende ein Plastikbecher ist, aus dem das Bier zurück auf den
       Kopf schwappt – so was gibts doch im scheißmodernen Kommerzfußball nicht
       mehr! Folglich muss der echte Fan dahin gehen, wo der Sport noch
       volkstümlich ist, wo es rau, aber herzlich zugeht und die Stadionwurst noch
       bezahlbar ist: ins Tennisstadion. Der Davis-Cup findet dieses Jahr Ende
       November statt.
       
       ## 5. Ab nach Kontiolahti!
       
       Fußball mag der Deutschen liebster Sport sein, ihr liebster Wintersport ist
       ohne Frage Biathlon. Keine Woche nach dem WM-Eröffnungsspiel findet der
       Saisonauftakt im Weltcup im finnischen Kontiolahti statt. Ob das eine Reise
       wert ist? Wer sich nicht wirklich für Biathlon interessiert, kann ja die
       Landschaft erkunden. Den Höytiäinen zum Beispiel, einen der 20 größten Seen
       Finnlands. Und sportlich? Für die Deutschen beginnt mit dem Weltcup in
       Kontiolahto die Saison, deren Höhepunkt die Heim-WM in Oberhof sein wird.
       Was kann es Schöneres für einen eingefleischten Schlandianer geben? Wer
       Biathlon lieber im Fernsehen verfolgt, kann vom 23. November bis zum Tag
       des WM-Endpiels fast jeden Tag Biathlon schauen. Von Kontiolahti ziehen die
       Skijäger nach Hochfilzen und Annecy.
       
       ## 6. Sport lesen
       
       64 Spiele, die mindestens 90 Minuten dauern, werden bei der Fußball-WM
       gespielt. Das sind 5.760 Minuten. Das sollte selbst für den dicksten Wälzer
       reichen. Ganz viel Zeit also, um endlich „Unendlicher Spaß“, den Großroman
       mit ganz viel Tennis von David Foster Wallace zu lesen. Wer lieber die
       kleine Form bevorzugt, [3][der kann ja noch mal nachlesen, warum er die WM
       eigentlich boykottieren möchte]. „Boykottiert Katar 2022!“, heißt das
       Standardwerk des kritischen Fußballfans, das Bernd-M. Beyer und Dietrich
       Schulze-Marmeling zusammengebastelt haben. Und dann gibt es ja noch die
       ganzen Sportbiografien, die man als Fan so über die Jahre zum Geburtstag
       geschenkt bekommen hat, zu deren Lektüre man aber nie gekommen ist. Zwei
       Werke von wunderbarer Arschlochigkeit seien hier empfohlen: Lothar
       Matthäus’ „Ganz oder gar nicht“ und „Ich hab’s allen gezeigt“ von Stefan
       Effenberg.
       
       ## 7. Die guten, alten Spiele schauen
       
       Das waren noch Zeiten! Franz, Günther und Gerd. Fritz, Uwe und Toni. Rudi
       und Auge. Der Fußball lebt auch von der Erinnerung an alte Zeiten. Für die
       WM-Zeit empfiehlt es sich, rechtzeitig eine Linksammlung zu den großen
       Spielen der Fußballgeschichte zusammenzustellen. Wie hat eigentlich Pele
       bei der WM 1970 in Mexiko gespielt? Die Blüte des Tikitaka kann man sich
       auch noch mal reinziehen. Und wer dem Länderspielfußball nichts abgewinnen
       kann, der besuche den Fanshop seines Herzensvereins. Da findet sich gewiss
       eine mehr oder weniger umfangreiche DVD-Sammlung mit den Top-Spielen der
       Klub-Historie. „Die besten Spiele der Löwen“ heißt so eine Sammlung. Da
       kann man sich noch mal ansehen, wie der TSV 1860 in der Saison 2015/2016
       gegen Paderborn vor über 50.000 Zuschauern den Klassenerhalt sichergestellt
       hat. Was will man mehr?
       
       ## 8. Männerreviere erobern
       
       So eine Männer-Weltmeisterschaft in Katar ist geradezu dafür geschaffen,
       dem Frauenfußball mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das hat man sich ganz
       sicher beim DFB gedacht, als man festlegte, dass die Frauen-Bundesliga
       parallel ihren Spielbetrieb bis zum 11. Dezember fortsetzt. Die Zweite Liga
       darf sogar bis zum Finaltag am 18. Dezember mit der Männer-WM konkurrieren.
       Und gewiss wird man die Klubs noch dazu verpflichten, in der Zeit die
       brachliegenden [4][großen Männerspielstätten zu nutzen]. Es wäre aber gut,
       wenn die Frauen des 1. FC Nürnberg dann nicht gerade gegen Gütersloh
       spielen müssten. Bei aller Wertschätzung ein wenig elektrisierender wäre
       ein anderes Duell. Gegen die Fußballerinnen vom bis dahin aufgestiegenen
       Hamburger SV könnten dann schon 50.000 Fußballfans zusammenkommen. Der
       Anstoß müsste natürlich parallel zum Männer-WM-Finale ausgeführt werden, am
       4. Advent um 20 Uhr. Diesen Termin sollte man sich also tatsächlich
       vormerken.
       
       ## 9. Spektakel in der Fifa-Stadt
       
       Wer liebt den Fußball nicht für seine Dynamik und Ästhetik und seine
       Weltstars wie Messi und Ronaldo? Mehr Dynamik, Ästhetik und
       Weltstarauftritte an einem Tag gibt es allerdings beim Swiss Cup am 27.
       November in Zürich zu sehen, nicht weit weg von der Fifa-Zentrale. Die
       besten Turnerinnen und Turner der Welt, Weltmeister:innen und
       Olympiasieger:innen versammeln sich dort traditionell um diese Zeit.
       Je eine Frau und ein Mann aus einem Land bilden ein Team. Ein Spektakel,
       bei dem sich, anders als bei den WM-Vorrundenpartien in Katar, taktische
       Zurückhaltung verbietet.
       
       ## 10. Fußball selbst backen
       
       Gegen den Klamauk in Katar ist nicht jeder gefeit. Der Kampf gegen
       weltliche Verführungen in der Adventszeit ist gerade für Fußballfans nicht
       einfach. Aber es gibt bewährte Zwischenlösungen. Weihnachtlieder werden
       schon seit einigen Jahren in vollen Bundesliga-Arenen mit kirchlichem
       Beistand gesungen. Und warum nicht auch die Weihnachtsgebäckbestände mit
       Fußballkeksen auffüllen: 50 g Butter, ½ Pck. Vanillezucker, 75 g Mehl, 30 g
       Zucker, 2 Eier, 1 Prise Salz, Puderzucker, Zitronensaft und Milch. Den Rest
       kann jeder nachgoogeln. Schöner Nebeneffekt: So einfach kann man sich
       seinen Fußball selbst backen.
       
       2 Apr 2022
       
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