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       # taz.de -- Präsidentenwahl in Frankreich: Macron muss zittern
       
       > In der zweiten Runde trifft der Amtsinhaber, wie 2017, auf die
       > Rechtspopulistin Marine Le Pen. Sie könnte von rechten und linken Stimmen
       > profitieren.
       
   IMG Bild: Rote und blaue Sockenkampagne in einem Laden in Lille
       
       Paris taz | In der Stichwahl um die Präsidentschaft in Frankreich treffen
       [1][Emmanuel Macron] und Marine Le Pen aufeinander. Der amtierende
       Staatspräsident wurde bei der ersten Runde am Sonntag mit seinem ersten
       Platz und 27,8 Prozent der abgegebenen Stimmen seiner Favoritenrolle
       gerecht, die Rechtspopulistin als Zweite mit 23,15 Prozent bekräftigte ihre
       Ansprüche auf einen Machtwechsel. Die Ausgangslage für die entscheidende
       Runde am 24. April ist ein Remake des Wahlduells vor fünf Jahren.
       
       [2][Le Pen] bekommt die Chance zu einer Revanche für ihre damalige krasse
       Niederlage: sie war 2017 mit 34 zu 66 Prozent deutlich von Macron besiegt
       worden. Die Kräfteverhältnisse haben sich seither geändert. Stand Le Pen
       vor der Stichwahl 2017 ziemlich isoliert da, kann sie dieses Mal auf die
       Unterstützung des Rechtsextremen Éric Zemmour rechnen. Er ging aus der
       ersten Runde mit 7 Prozent hervor und rief seine Anhänger*innen auf, in
       zwei Wochen geschlossen für seine einstige Rivalin zu stimmen.
       
       Laut Umfragen sagen 90 Prozent der Zemmour-Wähler*innen der ersten Runde,
       sie würden am 24. April Le Pen wählen. Sie kann aber auch mit rund 30
       Prozent der Stimmen aus dem Lager von Valérie Pécresse rechnen, Kandidatin
       der konservativ-gaullistischen einstigen Regierungspartei „Republikaner“.
       Sie kam auf gerade einmal 4,8 Prozent.
       
       Auf der Linken wollen etwa ein Fünftel der Wähler*innen von Jean-Luc
       Mélenchon ebenfalls der rechtsextremen Finalistin den Vorzug geben,
       angeblich aus unversöhnlicher Wut auf Macron. Der Kandidat der Linkspartei
       „France insoumise“ hatte nach einem Schlussspurt im Wahlkampf mit 21,95
       Prozent Le Pen sogar noch fast eingeholt und so die Qualifizierung für das
       Finale nur knapp verpasst.
       
       ## Nicht motiviert
       
       In seinem Lager herrscht Verbitterung über diese knappe Niederlage, für die
       meistens die anderen Linksparteien, die alle Bestrebungen einer
       Einheitskandidatur vereitelt hatten, verantwortlich gemacht werden. In
       mehreren Reportagen französischer Fernsehsender sagen Anhänger*innen
       des linken Volkstribuns, sie seien nicht motiviert, an der Urne zwischen
       Macron und Le Pen zu wählen.
       
       Das wird für Macron zu einem großen Unsicherheitsfaktor vor der Stichwahl,
       in der er immer noch als Favorit gilt. Erste Umfragen, noch unter dem
       Eindruck des Ausgangs der ersten Wahlrunde, sprechen von einem Sieg für
       Macron in der Größenordnung von 54 zu 46 Prozent. In Wirklichkeit schließen
       viele Kommentare in den französischen Medien es nicht mehr aus, dass Marine
       Le Pen diese Wahlen gewinnen könnte.
       
       Und dies nicht nur, weil auch manche Wähler*innen der rechten Mitte am
       Ende ihr den Vorzug vor Macron geben könnten, sondern vor allem weil ein
       beträchtlicher Teil der linken Wählerschaft dieses Mal nicht mehr Macron
       wählen will und die Stichwahl boykottieren könnte – selbst wenn das zur
       Folge haben könnte, dass das Unfassbare passiert: dass die extreme Rechte
       an die Macht kommt.
       
       Die Warnung, dass Le Pen eine tödliche Gefahr für die Demokratie darstelle,
       zieht als abschreckendes Argument nicht mehr wie früher. Ohnehin haben die
       Losungen der Parteien und Spitzenpolitiker insgesamt an Gewicht verloren.
       Manchmal geben andere Kriterien den Ausschlag: Marine Le Pen wäre die erste
       Frau im Élysée-Palast.
       
       ## Wichtigste politische Weichenstellung
       
       Auch eine wachsende Verdrossenheit ist spürbar. Die Wahl des
       Staatspräsidenten ist angesichts der großen Befugnisse des Staatschefs alle
       fünf Jahre die wichtigste politische Weichenstellung in Frankreich. Dennoch
       war die Beteiligung beim ersten Durchgang an diesem Sonntag mit weniger als
       75 Prozent noch geringer als 2017 und 2012.
       
       Im Fernsehen nannten die Experten als Gründe ein Desinteresse von
       Bevölkerungsgruppen, die sich nicht repräsentiert fühlen, Groll gegen die
       Staatsführung seit der Bewegung der Gelbwesten sowie einen Boykott aus
       politischer Überzeugung. Zudem begannen in einem Teil des Landes die
       Osterferien.
       
       Bei diesen Wahlen zeichnet sich für Frankreichs nächste Jahre eine neue
       politische Landschaft ab, aus der gewisse traditionelle Regierungsparteien,
       namentlich die Sozialisten und die Konservativen, fast verschwunden sind.
       Die Konservative Valérie Pécresse (4,8 Prozent) musste wie ihr Konkurrent
       von den Grünen, Yannick Jadot (4,6 Prozent), bereits am Montag um Spenden
       betteln.
       
       Denn bei einem Resultat unter 5 Prozent werden die Wahlkampfkosten nicht
       aus der Staatskasse vergütet. Besonders dramatisch ist die Krise bei den
       Sozialisten, die mit Kandidatin Anne Hidalgo, der Bürgermeisterin von
       Paris, mit 1,7 Prozent zu einer Splitterpartei deklassiert wurde. Das
       stellt die Zukunft einer historischen Partei in Frage, die noch vor fünf
       Jahren mit François Hollande als Präsident Frankreich regiert hatte.
       Hidalgos persönliche Karriere als Bürgermeisterin von Paris endete am
       Sonntag ebenfalls.
       
       ## Um die Mehrheit bringen
       
       Die Parteien der eliminierten etablierten Kandidaten hoffen nun, dass sie
       bei der Parlamentswahl im Juni besser abschneiden und nicht nur ihre
       Existenzberechtigung und zahlreiche Sitze in der Nationalversammlung
       verteidigen, sondern womöglich sogar Macron um die Mehrheit bringen.
       Mélenchons „France insoumise“ träumt sogar schon davon, den Präsidenten
       nach dessen Wiederwahl durch eine „Kohabitation“ mit einer oppositionellen
       linken Mehrheit im Parlament an die Kandare zu nehmen. Viel eher zu
       erwarten ist indes, dass sich im Juni der politische Rechtsrutsch
       fortsetzt.
       
       Mit der Bekanntgabe der Ergebnisse am Sonntag hat zunächst eine viel
       stärker polarisierte Kampagne begonnen. „Noch ist nichts geklärt und nichts
       gewonnen“, räumte Macron ein. In seiner Rede am Sonntagabend sagte er auch,
       er sei bereit zu einer Öffnung, um „mit Menschen unterschiedlicher
       Überzeugungen und Affinitäten für die kommenden Jahre eine gemeinsame
       Politik im Dienst der Nation zu erfinden“.
       
       Was er damit konkret meint, muss Macron noch erklären. Bereits am Montag
       besuchte er im nordfranzösischen Denain eine Region, die als Hochburg
       seiner rechtsextremen Gegnerin gilt. Am Samstag wird er zu einer
       Großveranstaltung in Marseille erwartet, wo Mélenchon mit Ergebnissen von
       mehr als 50 Prozent in den nördlichen Stadtteilen an erster Stelle lag.
       
       War im Vorfeld der ersten Runde der Eindruck entstanden, Macron habe für
       den Wahlkampf keine Zeit, scheint er sich jetzt kampfentschlossen in die
       Arena stürzen zu wollen. Höhepunkt des Wahlduells wird die für den 20.
       April geplante Fernsehdebatte zwischen ihm und Le Pen.
       
       11 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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