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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Wenn das B ruft
       
       > Die Filmreihe „Berlin Visionen“ zeigt Berlin samt Subkulturen und
       > No-Future-Lebensgefühl. Und als Stadt des großen Wandels nach der
       > Wiedervereinigung.
       
   IMG Bild: Blick für den Alltag: „Der schöne Tag“ ist der letzte Teil in Thomas Arslans Berlin-Triologie
       
       Berlin im Film zeigt sich immer wieder anders. Als Mauerstadt, in der Herr
       Lehmann lieber in der Kreuzberger Kneipe mit all den anderen Loosern hockt,
       als live vor Ort zu observieren, wie sich die Ossis mit ihren Trabbis
       direkt nach der Wende gerade über den Checkpoint Charlie in Richtung Westen
       aufmachen. Als Club- und Technostadt wie in “Berlin Calling“ (2008), wo
       sogar der Berliner Fernsehturm anmutet wie eine Discokugel und Paul
       Kalkbrenner als DJ Ickarus von der Berliner Nacht und übermäßigem
       Drogenkonsum verschluckt wird. Oder als Stadt der Drifter und ewig
       Suchenden ohne wirkliches Ziel [1][wie in “Oh Boy“] (2012), der nebenbei
       zeigt, wie aufregend bunt Berlin auch in Schwarz-Weiß aussehen kann.
       
       Die beiden Filmwissenschafter Marcus Stiglegger und Stefan Jung haben vor
       kurzem ein Buch mit dem Titel “Berlin Visionen“ herausgegeben, in dem
       [2][diese filmische Vielgestaltigkeit Berlins untersucht] wird. Vor allem
       Werke aus den Achtzigern bis heute interessieren sie, das eingeschlossene
       Berlin samt seinen Subkulturen und dem No-Future-Lebensgefühl, bis hin zur
       Stadt des großen Wandels, zu der sie sich nach der Wiedervereinigung
       wandelte.
       
       Nun wird im Zeughauskino die passende Filmreihe zu dem Werk nachgereicht
       und man bekommt die Möglichkeit, auch so manchen nur noch schwer
       aufzutreibenden Film sogar im Kinosaal zu sehen. Bis zum 13. Mai wird
       Berlin in allen nur erdenklichen Facetten auf der großen Leinwand des Kinos
       beleuchtet.
       
       Darunter sind obligatorische Klassiker wie „Victoria“ (2015) von Sebastian
       Schipper, der Filmgeschichte geschrieben hat, indem er auf Schnitte
       verzichtet und [3][in einer einzigen Kamerafahrt] durch die Stadt führt,
       raus aus dem Club, direkt hinein in eine wilde Kriminalgeschichte. Aber
       auch unbekanntere oder eher vergessene Werke wie RP Kahls ziemlich
       speziellen und wüsten Genrefilm “Angel Express“, den man so neu für sich
       entdecken kann.
       
       ## Im Blick der Berliner Schule
       
       Natürlich dürfen auch diverse Werke der sogenannten “Berliner Schule“ nicht
       fehlen, die sich weltweit den Ruf erarbeitet hat, vor allem auf genaue
       Beobachtungen und langsam voranschreitende Handlungen denn auf Action zu
       setzen. So wie “Gespenster“ (2005) von Christian Petzold, in dem die noch
       sehr junge Julia Hummer in einer der Hauptrollen zu sehen ist. Oder wie in
       “Der schöne Tag“ (2001) von [4][Thomas Arslan], der mit diesem Film seine
       “Berlin Trilogie“ beendete.
       
       Wie schon zuvor interessiert sich Arslan hier für das Leben
       türkischstämmiger junger Menschen in Berlin. Er portraitiert die
       Synchronsprecherin Deniz, die sich gerade von ihrem Freund getrennt hat.
       Nicht im migrantisch geprägten Kreuzberg oder in Neukölln lässt er sie
       umhertreiben, sondern am Schlachtensee im beschaulichen Grunewald. Bloß
       keine Klischees eben. Viel passiert auch hier nicht – Berliner Schule halt
       –, man erlebt sehr viel Alltag, und trotzdem vermag Arslan einen zu fesseln
       mit all dem Unspektakulären, das er auf seine ganz eigene Art aufzuzeigen
       vermag.
       
       Und so wie man sich bei eigentlich all den Filmen der Reihe “Berlin
       Visionen“ ständig denkt, diese Ecke im Prenzlauer Berg oder jene Stelle, an
       der früher mal die Mauer stand, mal wieder oder endlich mal zu besuchen,
       kommt unweigerlich der Gedanke: zum Schlachtensee sollte man auch mal
       wieder fahren.
       
       16 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Ambitionslosigkeit-steht-ihm-gut/!545205/
   DIR [2] https://www.martin-schmitz-verlag.de/Stiglegger/Buch.html
   DIR [3] /Kinofilm-Victoria/!5203189
   DIR [4] /Regisseur-Arslan-ueber-Im-Schatten/!5134458
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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