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       # taz.de -- Frankreichs Murdoch ist eine Gefahr: Bolloré fördert Rechtsextreme
       
       > Der Milliardär Vincent Bolloré wühlt die französische Medienlandschaft
       > auf. Eine innere Pressefreiheit ist in seinen Medien nicht zu finden.
       
   IMG Bild: Vincent Bolloré feiert das 2oojährige Firmenjübiläum in bretonischer Tracht in der Kapelle in Kerdevot
       
       Bei der französischen Präsidentschaftswahl haben am 10. April 2022 im
       ersten Wahlgang, also wenn am stärksten nach persönlicher Präferenz
       abgestimmt wird, Rechtsradikale fast ein Drittel der Stimmen bekommen:
       [1][Marine Le Pen] mit 23,15 Prozent als Kandidatin einer Partei und
       [2][Eric Zemmour] mit 7,07 Prozent als Kandidat eines Medienkonzerns.
       
       Der nach der Familie Bolloré, seinem Mehrheitsaktionär, benannte und de
       facto von Vincent Bolloré geführte börsennotierte Mischkonzern ist in den
       letzten 15 Jahren einer der wichtigsten Akteure in Frankreichs
       Medienlandschaft geworden und erinnert stark an Rupert Murdoch und dessen
       News Corp.
       
       [3][Bolloré ist seit 2015 Hauptaktionär des Medienkonzerns Vivendi.] Ihm
       unterstehen somit die Gruppe Canal Plus mit Bezahlsendern und den Sendern
       CNews und C8. 2021 hat er Prisma Media, Frankreichs größten
       Zeitschriftenverlag, übernommen.
       
       Als Hauptaktionär der Mediengruppe Lagardère, für die er gerade ein
       Übernahmeangebot machte, hat er seit 2021 das Sagen beim Radiosender Europe
       1, dem auflagenstarken Magazin Paris Match und dem Sonntagsblatt Journal du
       Dimanche (JDD). Dazu kommt eine Werbegruppe.
       
       ## Konzentrationsprozess und Monopolbildung
       
       Über Vivendi kontrolliert er auch Editis, Frankreichs zweitwichtigste
       Verlagsgruppe. Nun soll diese nach der Übernahme von Lagardère eine der
       weltweit wichtigsten Verlagsgruppen, nämlich Hachette, übernehmen.
       
       Der dann entstehende Riese würde 100 Verlage mit einem Marktanteil von 56
       Prozent kontrollieren, dadurch etwa 74 Prozent des französischen
       Schulbuchmarktes und 65 Prozent der Taschenbücher. Dass die Europäische
       Kommission die Fusion in dieser Form durchwinkt, ist jedoch
       unwahrscheinlich.
       
       Inhalt und Diversität des Angebotes sind durch diese horizontale und
       vertikale Konzentration gefährdet. Was genau hat Bolloré mit diesen
       Unternehmen vor? Sollen sie zu Zemmour-kompatiblen Contentproduzenten
       getrimmt werden?
       
       Der Kolumnist und Polemiker Zemmour, verurteilt wegen Aufrufs zum Hass, ist
       ein Star des Low-Cost-Nachrichtensenders CNews, dessen Quote dank ihm
       wächst: Zuweilen erreicht die Talkshow „Face à l’info“ mehr als 5 Prozent.
       
       Da wettert Zemmour gegen seine Lieblingsfeindbilder: Islam,
       „Bevölkerungsaustausch“, angeblich zu einem Bürgerkrieg führende
       (Ausländer-)Kriminalität, vermeintliche Cancel Culture usw. [4][Auf CNews
       hat er die Grenzen des Sagbaren im öffentlichen Diskurs verschoben] – im
       Vergleich zu ihm klingt Le Pen gemäßigt.
       
       ## Was will Boloré?
       
       Auf CNews hat sich Zemmour zum Anführer einer „Rückeroberung“
       („RECONQUÊTE!“, seine 2021 gegründete Partei) stilisiert. Auf CNews hat er
       sein Programm entwickelt. Zu CNews hat ihn Bolloré selbst gerufen.
       
       Geht es Bolloré dabei nur um Quote? Er tritt zwar als rein
       profitorientierter Unternehmer auf und gilt als Kostenkiller. Bekannt ist
       aber auch, dass in den Redaktionen seines Konzerns Terror herrscht. Innere
       Pressefreiheit gibt es in Bollorés Medien nicht, die kleinste Kritik an der
       redaktionellen oder politischen Linie führt zur Entlassung.
       
       Dies hat das Personal von i-Télé erlebt, aus dem 2017 CNews enstand. Der
       Sender wurde somit zum Labor der „méthode Bolloré“. Bei den neulich
       übernommen Medien ging es ganz schnell: Der als Macronist eingestufte
       Redaktionsleiter von Paris Match und des JDD wurde sofort geschasst, beim
       Radio Europe 1 wurden selbst sehr bekannte Moderator*innen durch
       Personal aus CNews ersetzt.
       
       ## Industrielle in Frankreichs Medien
       
       Eine von Reporter ohne Grenzen produzierte Videoreihe gibt Einblicke in das
       „Système B“ und in eine regelrechte Flucht aus seinen Medien. Bolloré
       beteuerte zwar vor einem Ausschuss des Senats, er sei nur von
       wirtschaftlichen Interessen geleitet („Ich habe nie Politik betrieben,
       werde es auch nie tun“).
       
       Doch muss er als politischer Überzeugungstäter betrachtet werden. Mehr als
       in anderen Konzernen sind seine Medien von redaktionellen Eingriffen
       bedroht – dazu noch von einer CNews-ierung in Programm und politischer
       Ausrichtung.
       
       Stärker als andere Industrielle beeinflusst Bolloré die Berichterstattung
       in seinen Medien im eigenen Interesse und wehrt sich juristisch gegen
       Berichterstattung über ihn. Das erzeugt erheblichen Druck auf investigative
       Medien: So stand der Journalist Tristan Waleckx allein wegen einer Doku
       über Bolloré sechsmal vor Gericht.
       
       Nun gibt es in Frankreich eine Reihe branchenfremder Industrieller, die in
       Medien investiert haben, wie Bernard Arnault (Luxuskonzern LVMH), den
       Rüstungskonzern Dassault, Xavier Niel (Telekommunikation) und die weltweit
       tätige Baugesellschaft Bouygues.
       
       Weder ihre Macht noch ihre Verflechtung mit der Staatsmacht und Politik
       dürfen unterschätzt werden. Auch deswegen steht Frankreich in der Rangliste
       der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen nur auf Rang 34.
       
       ## Gefährdung der Qualität der Berichterstattung
       
       All diese in den Medien aktiven Industriellen gefährden jeder für sich und
       alle zusammen die Qualität der Berichterstattung und der
       Informationsfreiheit in Frankreich. Nicht nur Journalist*innen warnen
       schon lange vor dieser Gefahr für die Demokratie und nun noch mehr vor
       Bollorés Eingriffen.
       
       Die Kritik wird immer lauter, etwa seitens des Kollektivs Stoppons
       Bolloré!, von Reporter ohne Grenzen oder von der Ökonomin Julia Cagé, die
       dem Kampf gegen Bolloré ein Buch gewidmet hat. Alle haben Vorschläge zur
       Wahrung des Pluralismus und zur Begrenzung der Medienkonzentration gemacht.
       
       Im Senat befasste sich ein Ausschuss damit und lud die Chefs verschiedener
       Medienkonzerne vor. Doch letztlich wurden nur unverbindliche Maßnahmen zur
       Förderung der Redaktionsfreiheit empfohlen. Von der Legislative ist also
       nichts zu erwarten. Und vom Staatspräsidenten Emmanuel Macron noch weniger.
       
       ## Macron und die Medienmagnate
       
       An Macron lässt sich die schon von Nicolas Sarkozy praktizierte
       Verstrickung von Politik und privaten Medien beobachten, von der beide
       Seiten profitieren. Als früherer Investmentbanker und Wirtschaftsminister
       kennt Macron alle Medienmagnaten. Auf Bernard Arnault oder Xavier Niel kann
       er zählen, und bei manchen schwerwiegenden Deals mischt er auch diskret
       mit.
       
       So soll er 2021 die geplante Megafusion der Fernsehgruppe TF1
       (Hauptaktionär: Bouygues) und der Groupe M6 (einst im Besitz von
       Bertelsmann) hinter den Kulissen unterstützt haben. Von
       Konzentrationsbeschränkung kann keine Rede sein. Der Zweck soll dabei
       gewesen sein, M6 vor einer Übernahme durch Bolloré zu schützen – im
       Hinblick auf den kommenden Wahlkampf. Warum bloß?
       
       Das Verhältnis Macrons zu Bolloré und dessen Medien stand lange unter dem
       Zeichen einer „Koopetition“ und einer Doppelstrategie. Dass CNews
       rechtsextreme Thesen verbreitet, kam Macron nicht ungelegen.
       
       2017 wurde er ja von linken oder gemäßigt rechten Wählern als Damm gegen
       Marine Le Pen und Rechtsextremismus gewählt. Um dieses Image
       aufrechtzuerhalten, brauchte er dieses Feindbild weiterhin. Nun bot CNews
       mit Zemmour eben einem sehr lauten Verfechter rechtsradikaler Thesen eine
       Bühne, von dem sich Macron wenn nötig distanzieren konnte.
       
       ## Bollorés CNews als wichtiger Akteur im Wahlkampf
       
       „En même temps“, wie er gerne sagt, ist Macrons Politik etwa in Sachen
       innere Sicherheit oder des Islams immer mehr nach rechts gedriftet, und
       auch da brauchte er CNews – jetzt, um rechte Wähler anzusprechen und den
       Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen.
       
       Allerdings musste Macron am 24. April in die Stichwahl gegen Marine Le Pen,
       dieses Mal zugleich als Gegner jedes Extremismus und als Verteidiger der
       kleinen Leute. Für Letzteres bot sich CNews erneut an, und da buhlte nun
       auch Innenminister Gérald Darmanin um jene, die im ersten Wahlgang für Le
       Pen gestimmt hatten. So ist CNews zweifellos zu dem wichtigen Akteur des
       Wahlkampfs geworden, der Bolloré offenbar vorschwebte.
       
       Die Autorin ist Dozentin für Deutschland-Studien an der Université Sorbonne
       Nouvelle in Paris, lehrt und forscht zu Mediensystemen in Deutschland und
       Frankreich und leitet den deutsch-französischen Studiengang
       „Transnationaler Journalismus“. 
       
       Dieser Text ist Teil einer Beilage der taz Panter Stiftung und von Reporter
       ohne Grenzen in der taz vom 3. Mai 2022, dem Internationalen Tag der
       Pressefreiheit.
       
       3 May 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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