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       # taz.de -- Die juristische Corona-Bilanz: Demokratie in der Pandemie
       
       > Die Bekämpfung der Pandemie folgte nicht nur den Inzidenzwerten. Immer
       > wieder stellte die Politik gezielt die Weichen.
       
   IMG Bild: Im ersten Jahr der Pandemie hat sich der Bundestag mit Corona-Maßnahmen zurückgehalten
       
       Karlsruhe taz | Es ist ein Einschnitt, den vor allem die FDP erzwungen hat.
       Ab Sonntag dürfen die Länder kaum noch Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung
       anordnen. Zeit für einen Rückblick auf die Wechselwirkung von
       Infektionszahlen, politischen Stimmungen und immer wieder neuen Rechtslagen
       seit Beginn der Pandemie.
       
       ## Unheil in der Ferne (ab Februar 2020)
       
       In China, wo die Corona-Pandemie ihren Ursprung hatte, gibt es
       Ausgangssperren und ganze Städte werden dichtgemacht. Die erstaunte
       deutsche Öffentlichkeit erfährt: So etwas wäre auch bei uns möglich. Für
       die Bekämpfung von Pandemien gibt es das Infektionsschutzgesetz (IfSG), das
       [1][bis dahin kaum jemand kannte].
       
       ## Erste Welle (ab März 2020)
       
       Ausgehend vom Apres-Ski in Ischgl (Österreich) und vom Karneval in
       Heinsberg (NRW) breitet sich die erste Corona-Welle in Deutschland aus. Die
       Bundesländer beschließen, das öffentliche Leben herunterzufahren. Das
       [2][IfSG erlaubt ihnen, die „notwendigen Schutzmaßnahmen“] zu treffen. Die
       Länder sprechen sich in Bund-Länder-Runden ab, die von Kanzlerin Angela
       Merkel moderiert werden.
       
       Der Bundestag stellt zwar das Vorliegen einer „epidemischen Lage nationaler
       Tragweite“ fest, das hat zunächst aber nur Bedeutung für eher
       nebensächliche Kompetenzen der Bundesregierung. Die Verwaltungsgerichtshöfe
       der Länder erklären die Shutdown-Verordnungen der Landesregierungen für
       rechtmäßig. Die maximale 7-Tage-Inzidenz (Fälle pro 100.000 Einwohner in
       einer Woche) beträgt Anfang April 44. Dann ist die exponentielle
       Ausbreitung gestoppt und die Werte fallen wieder.
       
       ## Zweite Welle (ab Oktober 2020)
       
       Nach einem ruhigen Sommer baut sich die zweite Welle auf und erreicht am
       Heiligabend mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 197 ihren Höhepunkt. Die
       Länder reagieren ab November mit neuen Shutdown-Verordnungen, die später
       noch verschärft werden. Ende November 2020 konkretisiert der Bundestag das
       IfSG und listet 17 Grundrechtseingriffe auf, die zur Bekämpfung von Corona
       zulässig sind: von der Maskenpflicht bis zur Schließung von Restaurants.
       
       Zwar sprechen [3][Maßnahmen-Kritiker] von einem Ermächtigungsgesetz, es
       werden aber nur die bisherigen Maßnahmen der Länder auf eine solide
       gesetzliche Grundlage gestellt. Ab jetzt sind die Länder-Verordnungen zudem
       an die Feststellung einer „epidemischen Lage“ durch den Bundestag geknüpft.
       Diese besteht aber bereits seit März 2020.
       
       ## Dritte Welle (ab Februar 2021)
       
       Nach einer leichten Erholung kommt die dritte Welle, die von der
       ansteckenderen Alpha-Variante geprägt ist. Der Bundestag ändert im März das
       IfSG: Ab nun muss der Bundestag die „epidemische Lage“ alle drei Monate neu
       feststellen, was zunächst aber ein Routine-Akt ist. Die Länder können sich
       im März nicht mehr auf eine gemeinsame Linie einigen: Manche wollen
       lockern, andere verschärfen. Kanzlerin Merkel kündigt deshalb eine
       Bundesnotbremse an, die der Bundestag im April dann auch beschließt.
       
       Nun gelten [4][bundesgesetzlich strenge Maßnahmen] inklusive nächtlicher
       Ausgangssperre, sobald die 7-Tage-Inzidenz in einem Landkreis drei Tage
       hintereinander über 100 liegt. Die bundesweite Inzidenz liegt Ende April
       bei maximal 174. Bis Mitte Juni sinken aber alle Landkreise wieder unter
       die Schwelle von 100. Die Maßnahmen haben ebenso gewirkt, wie das wärmere
       Wetter.
       
       ## Vierte Welle (ab August 2021)
       
       Die vierte Welle ist geprägt von der Delta-Variante. Zwar ist inzwischen
       die Mehrzahl der Bevölkerung geimpft, da aber die Delta-Variante noch
       ansteckender ist als die Alpha-Variante, genügt der Impfgrad nicht für eine
       Eindämmung. Trotz steigender Inzidenzwerte setzt die FDP in der neuen
       Ampel-Koalition durch, dass die Feststellung der „epidemischen Lage“ Ende
       November nicht verlängert wird. Im IfSG wird den Ländern zugleich nur noch
       ein reduzierter Werkzeugkasten zur Verfügung gestellt.
       
       So sind [5][Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte möglich, aber nicht mehr
       das Schließen ganzer Branchen]. Wegen der hohen Inzidenzwerte wird im IfSG
       nun aber bundeseinheitlich 3G (Geimpft, genesen oder getestet) in Betrieben
       sowie in Bussen und Bahnen vorgeschrieben. Die Befugnisse der Länder und
       die bundeseinheitlichen Vorgaben werden bereits jetzt bis zum 20. März 2022
       befristet.
       
       Im [6][November billigt das Bundesverfassungsgericht die Bundesnotbremse]
       der dritten Welle und gibt dem Gesetzgeber einen weiten
       Einschätzungsspielraum für die notwendigen Maßnahmen gegen die Pandemie.
       Die höchste Sieben-Tage-Inzidenz wird Ende November mit 482 erreicht. Im
       Dezember sinken die Werte wieder etwas.
       
       ## Fünfte Welle (ab Januar 2022)
       
       Nun bestimmt die Omikron-Variante das Geschehen. Diese ist zwar besonders
       ansteckend und erfasst auch viele Geimpfte, sie verläuft in der Regel aber
       milder (insbesondere für Geimpfte). Am 23. März erreicht die
       Sieben-Tage-Inzidenz den Wert von 1932. Die Krankenhäuser sind vor allem
       belastet, weil Teile des Personals infiziert ausfallen. Noch sind die
       staatlichen Maßnahmen der vierten Welle in Kraft. Aufgrund einer
       Übergangsregelung bleiben sie bis 2. April anwendbar.
       
       Für die Zeit danach ermöglicht die Ampel-Koalition den Ländern nur noch
       einen Basis-Schutz, etwa eine Maskenpflicht in Pflegeheimen. Etwas
       weitergehende Maßnahmen, zum Beispiel eine Maskenpflicht im Einzelhandel,
       sind nur in Hotspots mit gefährdetem Gesundheitswesen möglich. In
       Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg erklären die Landesparlamente jeweils
       das ganze Bundesland zu Hotspots.
       
       ## Was sagt das über die Demokratie?
       
       Im ersten Jahr der Pandemie hat sich der Bundestag zurückgehalten und die
       Bestimmung der Maßnahmen ganz den Bundesländern überlassen. Mit Einführung
       der Bundesnotbremse im Frühjahr 2021 hat der Bundestag dann das Heft in die
       Hand genommen und besonders strenge Regeln beschlossen.
       
       Seit die FDP an der Regierungskoalition beteiligt ist, sieht der Bundestag
       seine Aufgabe vor allem darin, die Befugnisse der Länder bei der
       Corona-Bekämpfung zu beschränken. Die deutsche Corona-Politik ist also
       nicht nur von Inzidenzwerten, Klinik-Belastungen und Impf-Fortschritten
       bestimmt, sondern in hohem Maße auch durch innenpolitische Entscheidungen.
       Man könnte auch sagen, die Demokratie war intakt. Ob man die jeweiligen
       Entscheidungen für richtig hält, ist eine andere Frage.
       
       2 Apr 2022
       
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