# taz.de -- Steinmeier-Ausladung: Unangemessene Empörung
> Präsident Selenski und der ukrainische Botschafter Melnyk haben jedes
> Recht, unhöflich, undankbar, undiplomatisch und unverschämt zu sein.
IMG Bild: Steinmeier, hier in Polen, will Frieden schaffen – und das um jeden Preis
Kaum etwas hat die Gemüter diese Woche so sehr in Wallung gebracht, wie die
Ausladung des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Die ukrainische
Regierung wollte ihn nicht dabeihaben, als die Präsidenten von Estland,
Polen, Lettland und Litauen in Kiew zu einem Solidaritätsbesuch
zusammentrafen. Als „ungebührlich“, „Affront“, „diplomatischer Fehler“,
„unangemessen“ und „unhöflich“ wurde die Zurückweisung gegeißelt.
Ernsthaft? Wenn etwas vollkommen unangemessen ist, dann diese deutsche
Empörung. Zunächst einmal ist es eine Beleidigung der Ukraine, dass der
erste hochrangige deutsche Politiker, der nach Beginn des Angriffskriegs
Kiew besucht, ausgerechnet Steinmeier sein soll – der Mann also, der
mitverantwortlich dafür ist, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Dass
er Fehler inzwischen teilweise eingestanden hat, ändert daran ja nichts.
Ein Affront gegen die Ukraine ist es auch, dass weder der Bundeskanzler
noch der Vizekanzler, noch die Verteidigungsministerin, noch ein anderer
Entscheidungsträger nach Kiew aufbricht. Der Bundespräsident mag formal das
höchste Amt im Staate innehaben. Doch man kann wohl kaum bestreiten, dass
er gerade außenpolitisch nicht mehr als ein Grüßaugust ist, der außer
[1][solidarischer Rhetorik] nichts zu bieten hat.
Es ist auch zu bezweifeln, dass es aus ukrainischer Sicht tatsächlich so
unklug ist, Deutschland zu brüskieren. Berlin kann es sich gar nicht
leisten, die bisherige Unterstützung – etwa die so oft hervorgehobene
Finanzhilfe – herunterzufahren. [2][Die Haltung der Bundesregierung ruft
schon jetzt unter den Nato-Verbündeten und den europäischen Partnern
Kopfschütteln hervor]. Deutschland hat sich mit seiner Politik des Zögerns
und Zauderns außenpolitisch isoliert.
## Kein Anspruch auf Lobpreisung
Am peinlichsten an der Empörung über die Missachtung „diplomatischer
Gepflogenheiten“ ist jedoch die Unverhältnismäßigkeit. Die Ukraine erlebt
gerade ihren schlimmsten Albtraum, und einem Präsidenten, der allem
Anschein nach mit einem [3][Völkermord an seinen Leuten] konfrontiert ist,
wird vorgehalten, dass er sich im Ton vergreift? Die Kritiker*innen
sollten sich mal nicht so anstellen.
Angesichts dessen, was die Menschen in der Ukraine erleiden müssen, wird
man hierzulande doch wohl ein paar Unhöflichkeiten aushalten können. Mit
(nicht ausreichenden) Waffenlieferungen und Finanzhilfen hat Deutschland
sich keinen Anspruch auf Lobpreisung verdient.
Präsident Wolodimir Selenski und der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk
haben jedes Recht, unhöflich, undankbar, undiplomatisch und unverschämt zu
sein. Sie – nicht Steinmeier – tragen die Folgen einer verfehlten
Russlandpolitik.
18 Apr 2022
## LINKS
DIR [1] /Bundespraesident-unerwuenscht-in-Kiew/!5844837
DIR [2] https://www.nytimes.com/2022/04/07/opinion/germany-russia-ukraine-energy.html
DIR [3] /Russische-Massaker-in-der-Ukraine/!5843136
## AUTOREN
DIR Silke Mertins
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