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       # taz.de -- Nehammers Putin-Besuch: Irritierendes Storytelling
       
       > Österreichischs Kanzler hat Putin besucht. Den Trip soll ihm sein
       > Berater, Ex-Springer-Mann Kai Diekmann, eingeflüstert haben. Schlau war
       > das nicht.
       
   IMG Bild: Dieses Bild soll den österreichischen Kanzler Nehammer in Moskau zeigen
       
       Karl Nehammer, der Name wird Ihnen nichts sagen, ist österreichischer
       Bundeskanzler. Nach dem Abgang der [1][Skandalnudel Sebastian Kurz]
       verbraucht das Land ja einen Regierungschef nach dem anderen. Vorher war
       Nehammer ÖVP-Generalsekretär, dann Innenminister.
       
       Mit internationaler Politik hat er noch nie zu tun gehabt. Jetzt hatte
       Nehammer eine Idee: Nachdem er Wolodimir Selenski in Kiew besuchte, fuhr er
       überraschend zu Wladimir Putin nach Moskau. Das Gespräch scheint eher
       schroff gewesen zu sein. Freilich: Ob die Idee zu Nehammers „Hoppla, jetzt
       komm ich“-Diplomatie tatsächlich von ihm selbst stammte, ist nicht sicher.
       
       Schließlich hat er seit Neuestem den abgewrackten Kai Diekmann, ehemals
       Gesamtherausgeber der Bild-Gruppe, im Schlepptau. Man munkelt, der habe ihm
       diesen Trip eingeredet. Diekmann war in Kiew mit, Diekmann war in Moskau
       mit, dessen [2][Agentur Storymachine] ist neuerdings im Solde der ÖVP,
       die, vollends zerrüttet, in etwa so dasteht wie ein Wohnblock in
       [3][Mariupol nach fünf Wochen Beschuss]. Da hofft man darauf, mithilfe
       einer Märchenmaschine vermitteln zu können, die Ruine sei ein prächtiges
       Schloss.
       
       Nehammer, etwas naiv und neu im Geschäft, hat leider ein paar
       Grundweisheiten der Politik-PR noch nicht drauf. Etwa: Mache nie den
       Berater zur Story. Nehammer und seine Leute sind mächtig stolz, einen
       berühmten Deutschen im Team zu haben („deutsch“ ist in Österreich ein
       Synonym für „kompetent“).
       
       Diekmann wiederum ist offenbar energetisiert von der neuen Wichtigkeit und
       davon, dass er mittendrin ist im Wogen der Welthistorie. Aber seien wir
       froh, dass Nehammer nicht den geschassten Ex-Bild-Chefredakteur Julian
       Reichelt engagiert hat – wer weiß, zu wem ihn der geschickt hätte.
       
       Nun ist gegen so einen Trip nicht unbedingt etwas einzuwenden. Vorbereitet
       sollte er natürlich sein. Keineswegs schaden würde, dass man ein paar
       Minuten durchdenkt, was man eigentlich damit bezwecken möchte. Ich bin
       durchaus dafür, auch mit dem Teufel oder dessen Großmutter zu reden, wenn
       sich damit Menschenleben retten lassen. Dazu braucht man Geschick und
       perfekte Vorbereitung, zumal bei einem Mann wie Putin, der einmal auf die
       Frage nach seiner exakten Profession im KGB sagte: „Ich bin ein Experte für
       zwischenmenschliche Beziehungen.“
       
       Dass man mit einer „Storymachine“ den Menschen alles einreden kann, dieser
       Auffassung ist man ja auch in Moskau. Putins Truppe hat das perfektioniert.
       Über Jahre hat man große Expertise im Verwirren und Täuschen erlangt und so
       eine Art postmoderne Diktatur etabliert. Sie versprühen einen Nebel,
       trommeln für eine Staatsideologie, versehen sie aber regelmäßig mit einer
       Form von Augenzwinkern.
       
       Eine Schlüsselrolle nahm darin jahrelang Wladislaw Surkow ein, ein
       verkrachter Künstler und Theatermann, aber auch ein genialer Kreativer, der
       als „Erfinder der russischen PR“ und als „graue Eminenz“ des Kreml
       bezeichnet wurde. Surkow hört Punkmusik und Gangsta-Rap, schreibt
       Songtexte, verehrt Allen Ginsberg und modellierte das Image von Putin. Über
       lange Jahre war er Vizechef der Kremlverwaltung und ist ganz begeistert von
       der Idee, man könne mit Spinnennetzen aus Narrativen die Öffentlichkeit
       völlig manipulieren.
       
       ## Die Diktatur ist real
       
       „Verwirren ist die Methode, Täuschung ist Wahrheit“, schreibt er. Er
       etabliert eine Wirklichkeit, in der sich niemand mehr auskennt, treibt das
       Land „aus der Dekadenz weiter in Richtung Wahnsinn“, so Peter Pomerantsev,
       einer der besten Kenner dieses Systems der Meinungsmanipulation.
       Oppositionelle werden vergiftet und erschossen, der Anführer als „guter
       Diktator“ inszeniert, zugleich herrschen die Illusion von Freiheit und die
       Fiktion von Wahlen.
       
       Die Diktatur ist real, tut aber so, als wäre sie eine Soap-Opera. Über die
       Staatsmedien laufen nur mehr Fake News, bis einfach die totale Lüge
       herrscht, was zur Folge hat, dass jeder zynisch wird. Nichts ist ernst, am
       Ende aber tödlich.Wir ahnten es schon: Das Untergraben der Idee von
       Wirklichkeit ist der Weg in die Apokalypse.
       
       16 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Das-politische-Ende-von-Sebastian-Kurz/!5816003
   DIR [2] https://www.storymachine.de/
   DIR [3] /Belagerte-Stadt-in-der-Ukraine/!5842898
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Misik
       
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