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       # taz.de -- Gehörlose Geflüchtete sollen nach Köln: Diese Gruppe muss zusammenbleiben
       
       > Der Umgang mit 180 gehörlosen Geflüchteten wirft Fragen auf. In Berlin
       > gut angekommen, sollen sie nach Köln. Ein schlechtes Vorbild für
       > Integration.
       
   IMG Bild: Gehörlose ukrainische Geflüchtete sind auf Schriftsprache oder russische Gebärdensprache angewiesen
       
       Berlin taz | Zugegeben: Es wird kaum möglich sein, dass alle ukrainischen
       Geflüchteten, die dies möchten, in Berlin bleiben können. 44.000 haben
       schon einen Aufenthaltstitel für Berlin beantragt, täglich kommen mehr
       Flüchtlinge an. Angesichts fehlender Wohnungen und Jobs ist es darum
       richtig, dass ein Großteil der Menschen weitergeleitet wird in andere Teile
       Deutschlands. Gut ist auch, dass der Senat Kriterien für eine Zuweisung
       nach Berlin festgelegt hat: Hier bleiben darf, wer in Berlin Verwandte hat,
       eine Wohnungszusage für mindestens 6 Monate, wegen Krankheit nicht
       reisefähig ist oder einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz
       nachweist.
       
       Allerdings dürfen diese Bedingungen nicht das Einzige sein, was zählt. Wer
       nachweislich spezielle Bedürfnisse hat, für die es nur in Berlin Hilfe
       gibt, muss bleiben können. Der aktuelle Umgang der Sozialverwaltung und des
       Landesflüchtlingsamts (LAF) mit einer Gruppe gehörloser Ukrainer*innen
       ist daher nicht anders als herzlos zu nennen.
       
       [1][Seit über sieben Wochen sind die knapp 180 Menschen hier,] die hiesige
       Gehörlosen-Community kümmert sich hingebungsvoll, hilft bei Schulanmeldung,
       Arbeitsplatz- und Wohnungssuche, beim Kontakte knüpfen, berät und
       übersetzt.
       
       Für den Berliner Gehörlosenverband ist darum klar: Diese Gruppe muss nicht
       nur zusammenbleiben – weil sie nur russische Gebärdensprache sprechen, sind
       sie aufeinander angewiesen –, sie sollte auch in Berlin bleiben. Denn die
       Bemühungen der Community sind erfolgreich: Einige Geflüchtete haben bereits
       Arbeit gefunden, einige Wohnungen, es gibt Schulplätze. Die hiesige
       Gehörlosenschule will sogar Lehrer*innen für russische Gebärdensprache
       einstellen.
       
       ## Ohne Rücksprache mit den Betroffenen
       
       Doch die Sozialverwaltung bleibt stur: Wer obige Bedingungen nicht erfüllt,
       müsse gehen. Dies gelte auch für Behinderte, stellte sie am Mittwoch erneut
       klar, andernfalls seien die Berliner Inklusionsstrukturen bald völlig
       überlastet. Außerdem habe das LAF für die Gruppe ein Angebot in Köln
       organisiert, wo es ebenfalls eine Community und Infrastruktur für Gehörlose
       gebe.
       
       Dazu ist zu sagen: Das Köln-„Angebot“ hat das LAF ohne Rücksprache mit den
       Betroffenen entwickelt. Der [2][Berliner Gehörlosenverband], der die
       Bedürfnisse der Leute am besten kennt, war nicht eingebunden – eine klare
       Verletzung des Grundsatzes „Nicht über uns ohne uns“ der
       UN-Behindertenkonvention.
       
       Woher will das LAF wissen, was die Betroffenen brauchen? Warum bringt man
       zu Gesprächen nicht einmal einen Gebärdendolmetscher mit? Warum hat man den
       Menschen bis heute nicht die Kriterien für eine Berlin-Zuweisung in ihrer
       Gebärdensprache erklärt? Kein Wunder, dass die meisten Ukrainer*innen
       dem „Angebot“ misstrauten: Zu wenig Informationen gab es dazu. Und nicht
       einmal eine schriftliche Zusage, dass die Gruppe in Köln zusammenbleiben
       kann.
       
       Diese paternalistische Haltung (wir wissen am besten, was gut für euch ist)
       steht Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) schlecht zu Gesicht. Gute
       Politik heißt nicht, Regeln blind zu exekutieren aus Angst vor
       überfordernden Partikularinteressen. Gute Politik macht, wer erst zuhört –
       und dann entscheidet, ob das Interesse berechtigt ist.
       
       15 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ukraine-Fluechtlinge-in-Berlin/!5845083
   DIR [2] https://deafberlin.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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