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       # taz.de -- Klara Geywitz zur Wohnungsnot: „Wer billig baut, baut zweimal“
       
       > 400.000 Wohnungen sollen pro Jahr gebaut werden, sozial und ökologisch.
       > Bauministerin Geywitz über hohe Mieten und ihr Haus aus Holz und Lehm.
       
   IMG Bild: Klara Geywitz will den Wohnungsbau nach oben bringen
       
       taz am wochenende: Frau Geywitz, wohnen Sie zur Miete oder im Eigentum? 
       
       Klara Geywitz: Weder noch. Ich wohne bei meinem Freund. In einem Haus mit
       kleinem Garten.
       
       Ist das Eigenheim mit Garten eine [1][unökologische Wohnform] von gestern? 
       
       Das Haus, in dem ich wohne, ist von 1735, zweite barocke Stadterweiterung
       in Potsdam. Wenn man die Lebenszyklusbetrachtung des gebundenen CO2 dieses
       Gebäudes nimmt, hat das eine anständige Bilanz. Das eigene Haus ist für
       viele Familien immer noch ein großer Traum. Während der Pandemie hat man
       gesehen, wie wichtig es ist, Zugang zu Grünflächen zu haben. Aber es ist
       ökonomisch und ökologisch unsinnig, wenn jede Generation neue
       Einfamilienhäuser baut und anfangs auf 150 Quadratmetern zu fünft lebt,
       aber dann ziehen die Kinder aus und das Haus schrumpft in dem Moment nicht.
       Seit den 1950er Jahren wurden hier Hunderttausende Einfamilienhäuser
       gebaut. In denen leben meist keine Familien mehr, sondern ein oder zwei
       Senioren.
       
       Und nun? 
       
       Wir brauchen einen anderen Nutzungszyklus. Gut wäre, wenn die nächste
       Generation von jungen Familien alte Häuser erwirbt und saniert. Dafür
       müssen wir staatliche Anreize setzen. Dann kann man beides vereinbaren:
       Fläche sparen und den Wunsch vom eigenen Haus ermöglichen.
       
       Brauchen wir, was Wohnen angeht, eine Debatte über Verzicht? 
       
       Wir brauchen eine Debatte über gutes Wohnen. In den letzten Jahrzehnten ist
       die Wohnfläche pro Person immer weiter gestiegen. Wir reden zwar darüber,
       wie das eigene Ess- oder Mobilitätsverhalten das Klima beeinflusst, beim
       Wohnen aber noch nicht.
       
       Was folgt daraus? 
       
       Gerade in den urbanen Zentren sind über die Hälfte der Haushalte
       Singlehaushalte. Einsamkeit, egal ob im Alter oder in anderen Lebensphasen,
       ist ein zunehmendes Thema. Es gibt moderne Gemeinschaftsprojekte, die zum
       Beispiel kleinere Grundrisse für die einzelne Wohnung anbieten, aber große
       multifunktionale Räume haben, die am Anfang, wenn die Kinder klein sind,
       als große Spielzimmer genutzt werden können. Danach wird da Party gefeiert.
       Und wenn das Haus dann 40 Jahre steht, kann man dort zusammen Bingo
       spielen.
       
       Wir müssten anders bauen? kleinere Wohnflächen, aber größere
       Gemeinschaftsflächen? 
       
       Genau. Aber wir werden keine Vorschriften machen, wie viel Quadratmeter
       eine Wohnung haben darf. In anderen Bereichen setzen wir auf reparieren
       statt wegwerfen oder teilen statt besitzen. Wenn wir die Klimaschutzziele
       erreichen wollen, brauchen wir auch ein Umdenken im Wohnbereich, also mehr
       gemeinsam statt alles meins.
       
       Heute herrscht vielerorts Wohnungsnot. Ein bundesweiter Mietendeckel ist
       vom Tisch, [2][weil die FDP nicht will.] Wie lassen sich Mieten nun
       effektiv begrenzen? 
       
       Im Koalitionsvertrag sind die Verlängerung der Mietpreisbremse und die
       Kappungsgrenze vereinbart. Gleichzeitig arbeiten wir im Ministerium an
       einem Gesetzentwurf, um das kommunale Vorkaufsrecht wieder herzustellen.
       Das ist aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts im letzten
       November jetzt nicht anwendbar. Aber für Städte wie Berlin, München und
       Hamburg ist das ein wichtiges Steuerungselement.
       
       Sieht das die FDP auch so? 
       
       Die Koalition besteht aus drei Parteien mit unterschiedlichen
       Schwerpunkten. Als Bauministerin von der SPD sage ich: Das ist ein
       wichtiges Mittel für die Kommunen, um Einfluss auf die Entwicklung gerade
       in Milieuschutzgebieten zu haben. Jetzt bereiten wir einen gerichtsfesten
       Gesetzentwurf vor. Diesen werden wir dann mit den Ressorts abstimmen.
       
       Mit dem Justizminister Marco Buschmann von der FDP? 
       
       Das ist das normale Abstimmungsverfahren.
       
       Betrachtet Herr Buschmann den Gesetzentwurf zum kommunalen Vorkaufsrecht
       mit offenem Herzen? 
       
       Da es ihn noch nicht gibt, hat Herr Buschmann bestimmt noch keine Emotion
       dazu entwickeln können. Wir werden bald miteinander sprechen.
       
       Das Bauministerium ist erstmals seit 1998 wieder ein eigenständiges Haus.
       Laut Opposition haben Sie nicht viel zu sagen: Das Mietrecht ist beim
       Justizministerium, die Gebäudedämmung beim Wirtschaftsministerium … 
       
       … solche Schnittstellen gibt es immer. Robert Habeck muss sich beim Thema
       Windenergie auch eng mit mir abstimmen, weil ich für Raumordnung zuständig
       bin. Niemand sieht ihn deshalb nur als halben Minister. Für die CO2-Umlage
       zwischen Vermietern und Mietern muss ein Bündel an Gesetzen geändert
       werden: Die Heizkostenverordnung ist bei mir, die
       Brennstoffemissionshandelsverordnung bei Herrn Habeck und noch was Schickes
       bei Herrn Buschmann. Ich kann die Opposition beruhigen: Die Regierung ist
       vom Geist der Kooperation getragen.
       
       Ihr Ministerium braucht nicht mehr Kompetenzen? 
       
       Wir starten das Bündnis für bezahlbares Wohnen und sind das erste
       Ministerium in der Geschichte der Republik, das verantwortlich für die
       Bekämpfung der Obdachlosigkeit ist. Das sind nur zwei Beispiele neben
       weiteren im Bereich des Bauwesens, der Raumordnung und der
       Stadtentwicklung. Insofern: Danke, wir haben genug zu tun.
       
       Jetzt kommen noch die Immobilien russischer Oligarchen dazu. Scholz hat vor
       zwei Wochen eine Taskforce eingesetzt, um Sanktionen gegen Oligarchen
       durchzusetzen. Sind Sie beteiligt? 
       
       Ja. Viele ausländische Investoren erwerben hier Grundstücke, um Geld zu
       parken. Wir sind nicht in der Lage zu sagen, wo russische Oligarchen
       Grundstücke besitzen. Das ist ein Unding.
       
       In Deutschland wurden etwa 100 Millionen an Vermögen eingefroren. In
       Italien, Belgien, den USA sind die Beträge viel höher. Warum ist es so
       schwierig, mehr Transparenz zu schaffen? 
       
       Im Koalitionsvertrag gibt es drei Verabredungen: Der Immobilienkauf mit
       Bargeld wird verboten. Ausländische Käufer von Immobilien müssen einen
       Versteuerungsnachweis vorweisen. Und außerdem sollen Grundbücher
       transparenter werden.
       
       Wo wollen Sie weitere Schwerpunkte setzen? 
       
       Wir müssen den sozialen Wohnungsbau wieder ankurbeln. Wir hatten mal 2
       Millionen Sozialwohnungen in diesem Land, wegen fehlender Förderung sind
       wir heute bei 1 Million. Wir wollen nun bis 2026 rund 14,5 Milliarden Euro
       zur Verfügung stellen. Das sind 8,5 Milliarden mehr, als mein Vorgänger
       vorgesehen hatte. Damit haben wir gute Voraussetzungen, 100.000
       Sozialwohnungen pro Jahr zu schaffen.
       
       Aber es fallen immer noch mehr Wohnungen aus Sozialbindungen raus, als neue
       entstehen. 
       
       Das stimmt. Aber mein Ziel ist: Wenn man sich in 10 Jahren die Entwicklung
       anschaut, dann soll man ganz klar sehen: 2022 war das Jahr, wo es wieder
       nach oben ging mit dem sozialen Wohnungsbau.
       
       [3][400.000 neue Wohnungen pro Jahr] ist das Ziel. Bezahlbar und ökologisch
       – widerspricht sich das nicht? 
       
       Wer billig baut, baut zweimal. Dann müssen Sie die Häuser in 20 Jahren
       wegen der Erderwärmung noch mal anpacken. Zudem kann man bei der
       Entwicklung der CO2-Preise nicht sagen: Für Leute mit weniger Geld baue ich
       jetzt Wohnraum mit niedrigem ökologischem Standard, bei dem später die
       Nebenkosten exorbitant sein werden.
       
       Aber je energieeffizienter wir bauen, desto teurer ist der Bau, und dann
       auch die Mieten. Und davor haben Leute Angst. 
       
       Deshalb brauchen wir den Staat. Wenn wir Wohnungen mit einer Miete von 6,50
       Euro pro Quadratmeter anbieten wollen, dann müssen wir bei den heutigen
       Baukosten als Staat subventionieren. Dafür gibt es eine BEG-Förderung des
       Wirtschaftsministers und viele Gelder für den sozialen Wohnungsbau aus dem
       Bauministerium.
       
       Ab 2023 soll das Effizienzhaus 55 Neubaustandard werden, ab 2025 die noch
       ökologischere Variante. Warum nicht gleich das Effizienteste? 
       
       Dann müssten wir ja alle in Passivhäusern wohnen.
       
       Ja, warum denn nicht? 
       
       Man muss die Wirtschaftlichkeit im Auge haben. Ein Effizienzhaus 55
       rentiert sich fast, wenn sich die Energiepreise so weiterentwickeln. Wenn
       ich Vorgaben mache, haben die Bauherren nicht automatisch mehr Geld.
       Deshalb müssen wir abwägen: Nehmen wir Effizienzhaus 55 oder einen noch
       strengeren Standard? Es geht nicht nur darum, wie viel Energie ein Haus im
       Betrieb verbraucht, sondern auch, wie viel CO2 entsteht, um etwa die
       Technik herzustellen. Sonst dämmen wir zum Beispiel, ohne auf nachhaltige
       Baustoffe zu achten.
       
       Wir sollen besser gleich mit Holz und Lehm bauen?
       
       Das wäre mein Wunsch. Für die Verbesserung der CO2-Bilanz des
       Gebäudesektors ist Holz eine super Möglichkeit, man kann auch
       mehrgeschossig damit bauen. Und nachhaltige Materialien einzusetzen, ist
       übrigens sehr schön. Das Haus, in dem ich wohne, ist weitestgehend aus Holz
       und Lehm gebaut.
       
       15 Apr 2022
       
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