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       # taz.de -- Die Ampelkoalition in der Krise: Der ohnmächtige Kanzler
       
       > Die Impfpflicht endete für Olaf Scholz in einem Desaster. Das kann sich
       > beim 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr wiederholen. Und dann?
       
   IMG Bild: Erscheint eher als Chaoskanzler, dem alles entgleitet: Olaf Scholz am Mittwoch im Kanzleramt
       
       Kanzler Scholz will keine schweren Waffen an Kiew liefern, Außenministerin
       [1][Annalena Baerbock fordert genau das]. Die Impfpflicht, die die
       Ampelmehrheit wollte, ist kläglich gescheitert. Es knarrt und knirscht, es
       rumpelt und ächzt in der Ampel. Die Zentrifugalkräfte nehmen zu, das
       Machtzentrum scheint gelähmt. Treuherzig, wer das noch für die üblichen
       Startschwierigkeiten einer neuen Regierung hält. Für die Krise gibt es
       einen erwartbaren Grund – und einen sehr verblüffenden.
       
       Wenig überraschend ist, dass die FDP der Problembär in dem Trio ist. Sie
       kann nur Nein sagen – zu [2][Tempolimit], Steuererhöhungen, Impfpflicht.
       Die Liberalen agieren wie eine Oppositionspartei, die ein Zufall an die
       Macht katapuliert hat und die nun nicht weiß, was sie damit anfangen soll.
       Finanzminister Christian Lindner hat sich zwar zu der kreativen Buchführung
       durchgerungen, die nötig ist, um den klimaneutralen Umbau zu stemmen.
       
       Aber das Schulterklopfen von SPD, Grünen und auch der Wirtschaft nutzt der
       FDP nichts auf dem Wählermarkt. Die Spitzen von SPD und Grünen behandeln
       die FDP wie einen neurotischen Jugendlichen, dem man manchmal geben muss,
       was er will – auch wenn es schädlicher Unfug ist. Deshalb durfte die FDP
       [3][die Impfpflicht zerschießen]. Deshalb bekam Lindner den Tankrabatt
       geschenkt, der teuer ist, SUV-Fahrer beglückt und ein Markteingriff ist,
       mit dem die Liberalen den Ordoliberalismus verraten.
       
       Das Grundproblem ist: Die FDP hat kein eigenes, identitätsstiftendes Thema.
       Deshalb muss sie immer lauter Nein sagen. Deshalb ist mit der FDP nur
       betreutes Regieren möglich. Der zweite Grund für die Krise ist
       überraschend: Der Kanzler kann Machtpolitik nicht. Man konnte bei Scholz
       mit erratischen Entscheidungen oder unwirschen Ansagen rechnen. Aber kaum
       mit stolpernder Naivität in Machtfragen.
       
       ## Das beste Angebot auf dem Markt
       
       Scholz hatte die Impfpflicht selbstbewusst angekündigt und den Weg dorthin
       – ohne Fraktionszwang – gewiesen. Bestürzend war nicht nur die Niederlage,
       sondern auch, wie blindlings die SPD-Spitze in sie hineintaumelte. Sie
       hatte keine Ahnung, dass sie die Abstimmung verlieren würde. Baerbock wurde
       eigens vom Nato-Gipfel in den Bundestag beordert, nur um dort
       festzustellen, dass 80 Stimmen fehlten.
       
       Scholz’ Strategie fußte auf dem Irrtum, dass die Union sich am Ende so
       verhalten würde, wie es die SPD tut – im Zweifel staatstragend und gegen
       das eigene Parteiinteresse. Faktisch hatte sich die SPD-Spitze somit
       abhängig von dem politischen Kalkül von Friedrich Merz gemacht – und
       schaute danach hilflos ihrem Untergang zu. Dieses Desaster kann sich bei
       dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr wiederholen.
       
       Auch hier hat der Kanzler weitsichtig die Weichen gestellt – und braucht
       unbedingt eine wohlgesinnte Union. Mag sein, dass der Druck für Merz, Ja zu
       sagen, stärker ist als bei der Impfpflicht. Doch erst mal gab es für das
       [4][100-Milliarden-Paket] im Bundesrat bei einer Testabstimmung keine
       Mehrheit, geschweige denn die für die Grundgesetzänderung nötige
       Zweidrittelmehrheit. Die Ampel ist wieder auf den guten Willen der
       Opposition angewiesen. Ein riskantes Spiel.
       
       Wenn das Krisenmanagement der SPD wieder so „famos“ funktioniert wie bei
       der Impfpflicht, ahnt man, wie es ausgehen wird. Scholz sieht sich als
       Konsenskanzler, der präsidial den Überblick über das große Ganze hat. Jetzt
       erscheint er eher als Chaoskanzler, dem alles entgleitet. Merkel regierte
       mit Macht durch Moderation, bei Scholz sieht das eher wie Ohnmacht durch
       Moderation aus. Machtpolitische Niederlagen sind für Scholz besonders
       gefährlich.
       
       Denn er hat keine Reserven, um Erfolglosigkeit auf diesem Feld zu
       kompensieren. Er ist, so das Image, der Macher, der wortkarg wichtige
       Entscheidungen fällt. Versagt er dort, bleibt nicht viel. Wünschenswert
       wäre ein Ende der Ampel nicht. Sie ist auf dem Markt das beste Angebot. Ob
       die Linkspartei je wieder aufersteht, ist mehr als zweifelhaft. Sozialen
       Ausgleich, ökologischen Elan und liberale Gesellschaftspolitik kann man am
       ehesten von einer SPD-geführten Ampel erwarten. Macht sie so weiter, wird
       sie scheitern.
       
       15 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.zeit.de/video/2022-04/6303586276001/annalena-baerbock-die-ukraine-braucht-schwere-waffen
   DIR [2] /Energiesparen-gegen-Putin/!5836542
   DIR [3] /Nachrichten-in-der-Coronapandemie/!5848090
   DIR [4] /Bundestags-Sondersitzung-zur-Ukraine/!5835039
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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