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       # taz.de -- Performance „Das Revier“ in Hamburg: Sorry für die Polizeigewalt
       
       > Die Gruppe SV Szlachta lädt auf dem Hamburger Hansaplatz in die
       > Installation „Revier“. In Workshops werden Vergehen der Polizei
       > aufgearbeitet.
       
   IMG Bild: Überwachen die Abschaffung der Polizei: Officers der „Transformationswache“ auf dem Hansaplatz
       
       Ein merkwürdiger Hybrid aus Infopoint, Jahrmarktbude, Trutzburg und
       Glaspalast steht seit einer Woche auf dem Hansaplatz in Hamburg-St. Georg.
       Drei Container, zwei übereinander, der oberste gläsern, darauf Zinnen und
       Fähnchen, davor eine Terrasse mit drei Fernrohren am Geländer. Unten ein
       gemütlicher Raum mit nach außen offenem Tresen und Donut-Bringmaschine,
       einer Garderobe mit Polizeimützen und gelben Westen, daneben ein kleiner
       Verhörraum.
       
       Und dahinter der dritte Container, ein bisschen unheimlicher: hell
       erleuchtet, zwei Tische, ein Schrank mit Aktenordnern und Kisten – und an
       der Wand eine Pinnwand mit gruseligen Fotos: [1][der für seine harte Linie
       berüchtigte G20-Gesamtpolizeiführer Hartmut Dudde], daneben
       Jetzt-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), hier noch mit aller Lockenpracht aus
       seiner Zeit als Innensenator Hamburgs, als der er 2001 die später vom
       Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Folter verurteilten
       [2][Brechmitteleinsätze verantwortete], die in Hamburg mit Achidi John auch
       ein Todesopfer forderten. Und darüber [3][der Rechtsmediziner Klaus
       Püschel], der die Brechmittelfolter ebenfalls befürwortet hatte.
       
       „Revier“ steht auf dem Schild über der Installation, das „v“ und das
       I-Tüpfelchen in Herzform. Einladend sieht das aus, so schön erleuchtet in
       der Abendsonne. Und zur Eröffnung am 14. April versammelten sich dann auch
       nicht nur alle vor den Containern, die eine Karte erstanden hatten für die
       Teilnahme an der immersiven Installation des Hamburger Kunstkollektivs
       [4][SV Szlachta], sondern auch ein Teil derjenigen, für die der große Platz
       in der Nähe des Hauptbahnhofs mit seinen Lindenbäumen und dem Hansabrunnen
       in der Mitte sowieso ein wichtiger Treffpunkt ist und der aufgebaute
       Container eine willkommene Abwechslung.
       
       Mit der Polizei hat man hier Erfahrung. [5][Seit den 1980ern war der Platz
       immer wieder in den Medien und Gegenstand politischer Debatten und
       kontrollierender Interventionen]: Heroin, Alkohol, Sexarbeit,
       Straßenkriminalität, Schlägereien. Schon einmal, von 2007 bis 2009, gab es
       hier Kameraüberwachung. [6][Seit knapp drei Jahren gibt es sie wieder.] 22
       Objektive überblicken den Platz. Wie die Reeperbahn ist er eine
       Waffenverbotszone, die Polizeipräsenz ist hoch. Vor gut zehn Jahren wurde
       er für zweieinhalb Millionen Euro aufgehübscht, seitdem gibt es dort neben
       Kneipen und Sozialarbeit auch teurere Restaurants und ein paar
       Tourist*innen.
       
       Und so wird es vor bunt gemischtem Publikum schnell lebendig und ein
       bisschen chaotisch, als zum Auftakt der zehntägigen Installation die
       „Blaulichtparty“ beginnt, während gerade ein echter Polizeiwagen im
       Schritttempo vorbeifährt. Die Polizei wolle sich entschuldigen, verkündet
       Conférencière Diana Damm nach einem schief-blechernen Abgesang einer
       zweiköpfigen Polizeikapelle.
       
       Aber so richtig scheint sie nicht zu wollen. Der Polizeipräsident erscheint
       gar nicht, die Polizeisprecherin nur in desolatem Zustand und unwillig, die
       erwartete Entschuldigung für gut 200 Jahre von Skandalen und Misserfolgen
       geprägte Polizeiarbeit in der Stadt auszusprechen. Einen angeblich von
       Innensenator Andy Grote (SPD) gebackenen blauen Kuchen überbringt sie noch.
       Auch der ist eine Enttäuschung.
       
       Dann beginnen die dreistündigen Workshops in der „Transformationswache“.
       Keine andere, bessere Polizei wolle man sein, erklären die „Officers“ vom
       Revier, als wir Mützen, Westen und Badges bekommen, sondern das Kapitel
       abschließen und das Danach organisieren, eine Polizei-Utopie ausloten.
       
       Nach einer kleinen Choreografie auf dem Platz, in der wir lernen, mit der
       Hand an der Gürtelschnalle zu patrouillieren und nach Verdächtigem Ausschau
       zu halten, sollen wir die Arbeit „der Alten“, ihre strukturellen Probleme
       und Verbrechen, aufarbeiten. In Bewerbungsworkshops geht es darum, ein
       Gespür für eine Gesellschaft nach der Polizei, für die Transformation in
       eine polizeilose Gesellschaft zu bekommen. Denn das sei gar nicht so
       leicht, wie wir bald merken würden.
       
       Mit dem „Schein für die betreute Auflösung“ in der Tasche geht es dann in
       kleinen Gruppen nacheinander ins Archiv, auf Streife, ins Verhör oder zum
       Plausch übers kindliche Detektivspielen. Und wer Sorge hatte, dass [7][die
       mit dem Kopenhagener Kunstkollektiv Signa verbandelten Szlachtas] hier
       [8][ein ähnlich beklemmendes immersives Theater einrichten], wird schnell
       beruhigt.
       
       Beklemmend ist hier zwar die Realität, über die man beim Ermitteln im
       Archiv mehr erfährt – der Fall eines in der Elbe ertrunkenen jungen
       Ghanaers am belebten Fischmarkt, dessen Bergung eine ganze Stunde dauerte
       und in dessen Totenschein später als Ursache seines Sterbens „Covid“ stand.
       
       Was ist da schiefgegangen? Was haben die zehn Polizist:innen und die
       Feuerwehr eine Stunde lang getan? Meine Gruppe vermutet, das Problem heißt:
       Rassismus. Es sind Fälle, die die Schwarzen Officers der Wache während der
       Recherche zum „Revier“ zu den Akten genommen haben. Fälle, von denen
       keine*r von uns gehört hatte –, aber überall entwickelt sich bald eine
       offene, freundliche und auf angenehme Weise intime Stimmung, ein Spiel
       zwischen Infotainment, Workshop und Vorabendkrimi-Persiflage.
       
       Im Verhör geht es um unsere kulturellen Vorbelastungen: Wie sind wir groß
       geworden, was haben wir als Kinder gemacht? Kennen wir die uns als Fotos
       vorgelegten Tatortkommissare? Wie oft haben wir derlei im Fernsehen
       gesehen? So entstehen an jeder Station tatsächlich interessante Gespräche
       über die Polizei, die Gesellschaft, die sie poliziert, und aktuelle
       Entwicklungen in der Stadt.
       
       Wie sie konkret aussehen könnte, die polizeilose Gesellschaft, bleibt am
       Ende natürlich offen. Aber die Stimmung ist schon mal gut: Applaus für uns
       alle. Wir haben die Aufnahmeprüfung versemmelt und damit die besten
       Voraussetzungen, die Arbeit ernsthaft beginnen zu lassen, jubeln die
       Officers. Und wir sind ja erst die ersten neuen Unpolizist*innen. Bis
       Sonntag lädt die kleine Polizeiauflösungsschule noch zweimal täglich zum
       Workshop.
       
       21 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Polizeiwissenschaftler-ueber-G20-Proteste/!5516060
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   DIR [3] /Tod-nach-Brechmittelgabe/!5818751
   DIR [4] https://www.svszlachta.com/aktuell
   DIR [5] /!s=hansaplatz+hamburg/
   DIR [6] /!5694728
   DIR [7] https://www.svszlachta.com
   DIR [8] /Kollektiv-Signa-in-Hamburg/!5814119
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Matthies
       
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