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       # taz.de -- Die Wahrheit: Paradiesische Pariser Träume
       
       > Seit kurzer Zeit quillt endlich wieder die formlose, leicht klumpige
       > Masse von abertausenden Touristen aus und um den altehrwürdigen
       > Eiffelturm herum.
       
   IMG Bild: Das weltweite Comeback eisessender und eisfotografierender Touristinnen
       
       Jüngst hatte ich einen Traum. Aus dem Pariser Eiffelturm floss ohne
       Unterlass, von oben und von unten und von links und von rechts, eine zähe
       Masse Mensch heraus; wie ein einziger, gar riesiger und klumpiger Koloss
       erschienen die mannigfachen Wesen, deren Gliedmaßen bei genauerem,
       traumverlorenem Hinsehen doch eindeutig zu erkennen waren. Ganz ohne
       jegliches Vertun handelte es sich in meiner ewig langen Traumsequenz um
       Touristen – inklusive Stöcken zum Grinse-Selfies machen und leider auch
       inklusive grellen Motto-Shirts. Doch zu früh gefreut!
       
       Denn hier in der französischen Kapitale, die gerade durchgerüttelt wird von
       der zweiten und entscheidenden Wahlrunde der Präsidentschaftswahl am
       nächsten Sonntag, hier steht nicht nur die unerträglich rechte
       Tresenschlampe Marine Le Pen vor den Toren des Élysée-Palasts, und wenn’s
       schiefgeht, ist Madame drin, nein, hier sind nach gefühlten Jahrzehnten der
       Pandemie auch die Touristen aus aller Welt, außer die aus China und aus
       Russland, wieder sur place, wie die Franzosen sagen, kurzum, die Touristen
       sind wie- der da. Kein Witz, und eben nicht nur ein Traum. Aus dem
       Eiffelturm ergießt sich wahrhaft aufs Neue und täglich und nächtlich und
       sekündlich ein klumpiger Koloss Mensch.
       
       Was waren das noch für Zeiten, als vergangenen Dezember die frisch
       angebackene deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mutterseelenallein
       auf weiter Straßenflur vor dem frühmorgendlich schimmernden Stahlkonstrukt
       herzallerliebste Instagram-Posen einnahm, um sie dann sogleich in die
       gesamte ihr meist wohlgesonnene westliche Welt verschicken zu lassen!
       
       Baerbock honigkuchenpferdete vor der Metallkulisse herum wie für ein
       Casting im Pariser Kitschfilm Nummer eins „Die fabelhafte Welt der Amélie“
       – und fast niemand sah ihr dabei analog auf dem Trottoir zu. Was nicht
       wirklich schade war. Was wirklich schade ist: Niemand sagt heute mehr, dass
       Frau Amélie, nein, Frau Annalena, „Bundesministerin des Auswärtigen“ ist.
       So hatte ich das noch im Politikunterricht gelernt. Der Begriff Auswärtiges
       Amt geht nämlich auf die gleichnamige Institution des Norddeutschen Bundes
       aus dem Jahr 1870 und des Deutschen Reiches von 1871 zurück. Und
       Außenministerium heißt es eigentlich aus historischen Gründen nicht. Tja,
       temps passé, Außenministerin Baerbock dann eben. Es heißt ja auch nicht:
       Christian Lindner, Bundesminister der Penunzen, oder Nancy Faeser,
       Bundesministerin von zu Hause, wo am schönsten ist.
       
       In ihr Land, also zu Hause, wo am schönsten ist, scheinen viele dieser
       Abertausenden Touristen, die am Eiffelturm und in meinen Träumen derzeit
       herumwuseln, nicht so schnell oder gar nicht zurückzukehren wollen. Woher
       ich das weiß? Nun, niemand, der nicht einen fetten und drei auf vier Meter
       großen Todestrieb hat, stellt sich auf die verkehrsumtoste Mittellinie der
       Seine-Brücke, um ein Foto von sich mit Turm zu machen.
       
       21 Apr 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harriet Wolff
       
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