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       # taz.de -- Libyen kommt nicht zur Ruhe: Ein neuer Stellvertreterkrieg droht
       
       > General Haftar unterhält in Ostlibyen mit Unterstützung Moskaus erneut
       > eine rivalisierende Regierung. Nun legt er den Ölexport lahm.
       
   IMG Bild: Es geht auch um die Kontrolle des Öls: Libyens größte Raffinerie Azzawia (Archivaufnahme von 2011)
       
       Berlin taz | In Libyen droht der Konflikt zwischen den rivalisierenden
       Premierministern in einen neuen Krieg zu eskalieren. Nachdem Bewaffnete am
       Montag zwei Ölhäfen besetzt hatten, verfügte die staatliche Ölgesellschaft
       NOC einen Exportstopp wegen „Force majeure“ (höhere Gewalt).
       
       Viele Libyer sehen darin das erste Anzeichen für den nächsten
       internationalen Stellvertreterkrieg in Afrikas ölreichstem Land. Seit dem
       Wochenende ist die Ölförderung in immer mehr Orten unter dem Druck von
       Bewaffneten eingestellt worden.
       
       Es handelt sich um Ölquellen im Machtbereich des ostlibyschen Generals
       Chalifa Haftar, der bereits 2019 bis 2020 Krieg gegen die Regierung in
       Tripolis geführt hatte und nun erneut den Regierenden in der Hauptstadt den
       Kampf ansagt. Er wird von Russland unterstützt.
       
       Die Ausrufung von Force majeure entbindet nach internationalem
       Wirtschaftsrecht Vertragspartner von der Einhaltung der Verträge. „Das gilt
       bereits in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens und der Politik in
       Libyen“, sagt Analyst Ayoob Sufian aus Zuwara und warnt: „Ich sehe derzeit
       keine friedliche Lösung der Situation.“
       
       ## Jetzt wieder zwei Premierminister
       
       Seit Mitte Januar halten sich sowohl der Geschäftsmann Abdulhamid Dbaiba
       als auch der ehemalige Innenminister Fathi Bashaga für die legitimen
       Regierungschefs Libyens. Dbaiba wurde im Januar 2021 im Rahmen eines
       UN-Verhandlungsprozesses in Genf für ein Jahr zum Übergangspremier ernannt.
       
       Der 63-jährige Millionär sollte Wahlen vorbereiten, um Libyen eine neue,
       vom vorherigen Bürgerkrieg unbeleckte Regierung zu geben. Doch nach der
       Kandidatur von Warlord Haftar und Gaddafi-Sohn Seif al-Islam drohten
       westlibysche Milizen mit der Stürmung der Wahlbüros. Wenige Tage vor dem
       Wahltag 24. Dezember wurden die [1][Wahlen auf unbestimmte Zeit
       verschoben].
       
       Dass Dbaiba dann als Übergangspremier im Amt blieb, lehnte das Haftar-Lager
       im Osten des Landes ab und fand mit dem ehemaligen Innenminister Fathi
       Bashaga einen Gegenpremier. Der Reifenhändler hatte sich als Minister mit
       dem Milizenkartell in Tripolis angelegt und musste nach Drohungen fliehen.
       
       Im Januar 2022 wählten ihn die Parlamentarier in Ostlibyen zum neuen
       Premierminister. Die Umstände glichen einer Force majeure der
       demokratischen Regeln: Bashagas Gegenkandidat wurde bei der Einreise
       festgesetzt, nach kurzem Heben der Arme der nicht vollzähligen
       Parlamentarier erklärte Parlamentspräsident Saleh kurzerhand die
       einstimmige Wahl Bashagas, ohne die Stimmen zu zählen.
       
       ## Will der Kreml über Libyens Öl Europa unter Druck setzen?
       
       „Ich werde diese Farce nicht anerkennen und mein Amt nur an einen vom Volk
       gewählten Regierungschef abgeben“, kommentierte in Tripolis Dbaiba den Coup
       in Ostlibyen.
       
       So findet sich Libyen mit zwei konkurrierenden Regierungen wieder.
       Beobachter wie Ayoob Sufyan glauben, dass der Kreml nun auf das Triumvirat
       Haftar, Bashaga und Saleh setzt.
       
       Mit deren Machtübernahme in Tripolis würde Russland gegenüber Europa ein
       effektives energiepolitisches Druckmittel in die Hand bekommen – aus Libyen
       wurde in den letzten Wochen vermehrt Rohöl nach Italien und in andere
       europäische Länder verladen, die auf der Suche nach Alternativen zu
       russischem Öl und Gas sind.
       
       In Tripolis hat man den 18-monatigen Belagerungskrieg Haftars mit
       zahlreichen Toten nicht vergessen und nimmt Bashaga übel, mit einem
       Kriegsverbrecher zu paktieren. Offiziere Haftars bestätigten am Mittwoch
       der taz, dass die Befehlszentrale des Generals in Gaddafis ehemaliger
       Heimatstadt Sirte reaktiviert worden sei.
       
       ## Patrouillen russischer Wagner-Söldner
       
       Von dort hatte Haftar 2019 seine Offensive auf Tripolis organisiert. Jetzt
       berichten Bewohner der Stadt erneut von verstärkten Patrouillen
       osteuropäischer [2][Wagner-Söldner]. Auf die Scharfschützen und
       Sprengstoffexperten der russischen Wagner-Gruppe konnte sich Haftar bereits
       während des Krieges verlassen.
       
       Eigentlich wird der in Libyen geltende Waffenstillstand von der „5 plus
       5“-Kommission überwacht, in der jeweils fünf Offiziere der beiden
       Kriegsgegner Eskalationen bisher erfolgreich verhindern konnten.
       
       Doch Mitte April verließen die Vertreter Haftars das von der UNO
       geschaffene Format. Sie protestierten damit gegen die Weigerung der Milizen
       in Tripolis, Bashaga in die Stadt zu lassen.
       
       21 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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