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       # taz.de -- Mietenwahnsinn in Berlin: Haus für Obdachlose wird abgerissen
       
       > Das bekannte Haus in der Habersaathstraße darf einem Neubau weichen. Es
       > gibt scharfe Kritik an der Einigung zwischen Bezirk und Eigentümer.
       
   IMG Bild: Transparente am im Winter besetzten Haus in der Habersaathstraße 40-48 in Berlin-Mitte
       
       Berlin taz | Nach jahrelangem Rechtsstreit will das Bezirksamt Mitte den
       Abriss der [1][Wohnhäuser Habersaatstraße 46 und 48] unter Auflagen
       genehmigen. Dies geht aus einem von Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel
       (Grüne) unterzeichneten Brief an die Mieter*innen hervor, der der taz in
       Auszügen vorliegt.
       
       Die Initiative „Leerstand hab ich Saath“ kritisierte die Einigung des
       Bezirks mit dem Eigentümer Arcadia Estate GmbH am Montag als „skandalöses
       Vorgehen des Bezirks: Trotz jahrelanger illegaler Zweckentfremdung wird ein
       Abriss genehmigt und somit die Zweckentfremdungsverbotsverordnung
       missachtet“. Ähnlich äußerte sich Niklas Schenker, Sprecher für Mieten und
       Wohnen der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, auf taz-Anfrage: „Die
       bestehende Mietobergrenze aus dem Zweckentfremdungsverbot wird vom Bezirk
       ausgehebelt und damit ein gefährlicher Präzedenzfall für Berlin
       geschaffen.“
       
       Laut von Dassels Brief will der Bezirk den Abriss unter folgenden
       Bedingungen genehmigen: Die verbliebenen Altmieter*innen sollen
       Umsetzwohnungen bekommen und zehn Jahre lang zu ihrer alten Miete wohnen
       können, alternativ können sie 1.000 Euro Abfindung pro Quadratmeter
       erhalten. Der Eigentümer verpflichtet sich, 30 Prozent der neu gebauten
       Wohnungen zu „günstigen“ 6,50 bis 8,50 Euro kalt pro Quadratmeter zur
       Verfügung zu stellen; der Bezirk hat ein „Vorschlagsrecht“ für diese
       Mieter*innen.
       
       Seit Jahren will der Eigentümer die Häuser abreißen und neu bauen lassen.
       Ein Großteil der 120 Wohnungen steht leer, bis auf neun Altmieter*innen
       haben mit der Zeit alle aufgegeben. Nach mehreren gescheiterten Versuchen,
       die Wohnungen für Obdachlose zu besetzen, konnten [2][einige zum
       Jahreswechsel tatsächlich in Wohnungen einziehen] – „übergangsweise“ bis zu
       einer Einigung mit dem Eigentümer hatte der Bezirk dem zugestimmt. Was mit
       diesen 50 Menschen geschehen soll, steht nicht in der Einigung.
       
       ## Eigentümer klagt gegen den Bezirk
       
       Laut [3][Berliner Zweckentfremdungsverbotsverordnung] dürfen Hauseigentümer
       nur abreißen, wenn sie Ersatzwohnungen in gleicher Zahl für maximal 7,92
       Euro Kaltmieter pro Quadratmeter schaffen. Dies will der Besitzer aber
       nicht. Darum hat der Bezirk bislang die Genehmigung zum Abriss verweigert,
       wogegen der Besitzer schon länger juristisch vorgeht.
       
       Dass der Bezirk mit der außergerichtlichen Einigung nun den Anspruch auf
       100 Prozent Ersatzwohnungen im „günstigen“ Preissegment aufgibt, hält
       Linken-Politiker Schenker für falsch. „Das ist ein fatales Signal für die
       Stadtgesellschaft. Der Bezirk hätte das durchfechten sollen“, findet er.
       Wenn nur 30 Prozent der Wohnungen im geregelten Preissegment sind, der Rest
       also frei vermietet werden kann, „wird damit faktisch bezahlbarer Wohnraum
       vernichtet“. So werde mit der Einigung auch die Strategie des jahrelangen
       Leerstands belohnt.
       
       Das Abreißen und Neubauen erfreut sich bei Hausbesitzern aufgrund der hohen
       Neuvermietungspreise zunehmender Beliebtheit. Von 2018 bis 2021 wurden
       1.724 Anträge auf Wohnungsabrisse gestellt, heißt es in der [4][Antwort auf
       eine Anfrage von Schenker] vom Januar, 60 Prozent wurden von den Bezirken
       genehmigt. Allerdings entstehen nur selten die geforderten Ersatzwohnungen
       zum gleichen Preis.
       
       Die müssten die Bezirke einfordern. Allerdings gibt es hier offenbar eine
       gewisse Zurückhaltung, nachdem das Verwaltungsgericht 2019 die Vorgabe,
       Ersatzwohnungen dürften nur 7,92 Euro pro Quadratmeter kosten, gekippt hat.
       Eine obergerichtliche Entscheidung dazu steht noch aus.
       
       25 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Projekt-gegen-spekulativen-Leerstand/!5828915
   DIR [2] /Erfolgreiche-Besetzung-in-Berlin/!5822941
   DIR [3] https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-WoZwEntfrGBEV4P3
   DIR [4] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-10788.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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