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       # taz.de -- Aufwertung der Europa League: Aufstand der Mittelklasse
       
       > Die Europa League ist etwas für Nostalgiker. Traditionsklubs wie West Ham
       > United, Eintracht Frankfurt und Glasgow Rangers können gewinnen.
       
   IMG Bild: Traditionsverbundene Eintracht-Fans gedenken in der Europa League an Ex-Spieler Jürgen Grabowski
       
       Im Archiv von Eintracht Frankfurt finden sich eine Menge detaillierter
       Beschreibungen zu jenem Europapokal-Halbfinale, in dem der hessische
       Bundesligist am 14. April 1976 bei West Ham United den Einzug ins Endspiel
       im Europapokal der Pokalsieger verspielte. Von einer „dramatischen und
       kräftezehrenden Regen- und Schlammschlacht“ ist die Rede, nach der der
       kürzlich verstorbene Eintracht-Kapitän Jürgen Grabowski sagen sollte: „Von
       einer englischen Fußballmannschaft kann sich bei uns noch mancher eine
       Scheibe abschneiden.“
       
       Eine Halbzeit hatte der deutsche Pokalsieger dem englischen Powerplay
       widerstanden, ehe im Upton Park bei der 1:3-Niederlage die Dämme brachen.
       Eintracht-Rekordspieler Karl-Heinz Körbel erinnert sich, dass er gefühlt
       „keine acht Ballkontakte“ hatte, weil durch das typische Kick and Rush „die
       Bälle wie beim Pingpong“ über ihn hin- und hergeflogen seien. Es waren
       Zeiten, in denen die Vereine noch die Fußballkulturen ihrer Länder
       abbildeten.
       
       Wer sich nun die Zusammensetzung des Halbfinales der Europa League
       anschaut, der fühlt sich ein halbes Jahrhundert zurückversetzt. West Ham
       United, Eintracht Frankfurt und Glasgow Rangers: drei bekannte Namen aus
       den Gründerzeiten der Europapokalwettbewerbe, die in ihrer bewegten
       Geschichte je einen Europapokalsieg – West Ham 1965, Glasgow Rangers 1972,
       Eintracht Frankfurt 1980 – davontrugen. Gegenpol ist Glasgows Gegner RB
       Leipzig; der aus Österreich dirigierte Konzernverein.
       
       Nostalgiker erfreuen sich am Halbfinale zwischen West Ham United und
       Eintracht Frankfurt (Donnerstag 21 Uhr/RTL). So wie Frankfurt die Lücke zu
       Bayern, Dortmund und auch Leipzig auf absehbare Zeit nicht schließen wird,
       sind West Ham eben Manchester City, Liverpool oder Chelsea weit enteilt.
       Klubs aus dem gehobenen Mittelstand – der Tabellenneunte der Bundesliga und
       Tabellensiebte der Premier League – [1][proben den Aufstand].
       
       ## Nur 3.000 Karten für Eintracht-Fans
       
       Endlich kommen mal nicht die gleichen Neureichen und Superreichen so weit,
       wird die Sehnsucht nach Unberechenbarkeit wieder bedient. Ansonsten hat das
       viele Geld mitsamt der einseitigen Verteilung speziell in der Champions
       League zu immer weniger Überraschungen geführt.
       
       Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann spricht sich vehement für eine
       stärkere finanzielle Balance zwischen den Wettbewerben aus. „Die andere
       Alternative ist klar. Wenn wir dies nicht bis zu einem bestimmten Ausmaß
       tun, kreieren wir unser eigenes Monster. Die Klubs der Champions League
       werden immer mehr Geld generieren und eines Tages werden sie versuchen, in
       eine Super League einzutreten, weil dies die einzige Möglichkeit ist, um
       ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Deshalb arbeitet er in
       einer Initiative mit, „um die Interessen der europäischen
       Mittelklasse-Klubs zu stärken“.
       
       Denn hier ist die Leidenschaft für internationalen Fußball besonders groß.
       Zum Leidwesen der Eintracht wollen die „Hammers“ bloß 3.000 Karten fürs
       Gästekontingent hergeben und jeden Anhänger, der sich abseits des
       Gästeblocks als Adlerträger zu erkennen gibt, aus dem Stadion verweisen.
       „Das ist der größte Dreck“, schimpfte Präsident Peter Fischer im
       „ZDF-Sportstudio“.
       
       Frankfurt konnte die Viertelfinalsensation [2][mit epochaler
       Fanunterstützung] beim FC Barcelona nur vollbringen, weil die einen den
       Wettbewerb geringschätzen und die anderen ihren Wert fast überhöhen.
       Hauptsache Europa heißt es in Frankfurt.
       
       Aufsichtsratschef Philip Holzer hat im Kicker hochgerechnet: „Eine
       Halbfinal-Teilnahme in der Europa League ist aus unserer Perspektive so
       wertvoll wie der Einzug in die Champions-League-Gruppenphase.“ Der frühere
       Investmentbanker blickt genauso erfreut auf die Conference League: „Wenn
       man da jetzt aufs Halbfinale schaut mit AS Rom, Olympique Marseille,
       Leicester City und Feyenoord Rotterdam – das ist Tradition pur.“
       
       In einem seiner vielen unbedachten Momente hat Franz Beckenbauer den
       Uefa-Cup mal den „Verlierer-Cup“ genannt. Heute würden Frankfurt wie
       Leipzig mächtig feiern, wenn sie als erster deutscher Klub den Pokal im
       Nachfolgewettbewerb gewännen. Dort schieden Bundesligisten häufig gegen
       finanzschwächere Gegner aus.
       
       So stehen bislang lediglich drei spanische Teams (FC Sevilla, Atlético
       Madrid und FC Villareal), zwei englische Mannschaften (FC Chelsea,
       Manchester United) und ein portugiesischer Vertreter (FC Porto) in der
       Siegerliste der Europa League. Eintracht Frankfurt stand 2019 vor dem
       Endspieleinzug, doch ein dramatisches Elfmeterschießen entschied damals der
       FC Chelsea für sich. Es dauerte an der Stamford Bridge lange, bis die
       Tränen des Fehlschützen Martin Hinteregger trockneten, der damals zentral
       auf die Tormitte gezielt hatte. Hellmann ist überzeugt, dass das nicht
       wieder passieren würde: „Hinti schießt das nächste Mal eben ins linke oder
       rechte Eck.
       
       28 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Frankfurts-Sieg-gegen-FC-Barcelona/!5846118
   DIR [2] /Eintracht-Frankfurt-besiegt-Barcelona/!5846119
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Hellmann
       
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