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       # taz.de -- Corona-Pandemie in China: Staatlich geförderte Esoterik
       
       > Peking propagiert traditionelle Medizin gegen Covid. Wissenschaftlich
       > sind die Kräutermischungen umstritten, doch wirtschaftlich locken
       > Gewinne.
       
   IMG Bild: In einer Fabrik für traditionelle chinesische Medizin wird ein Mittel gegen Corona hergestellt
       
       Peking taz | Als die [1][Behörden Schanghai abriegelten], klagten die
       Menschen schon bald über die zusammengebrochene Lebensmittelversorgung.
       Während frisches Gemüse und Speiseöl nur noch sporadisch angeliefert
       wurden, erhielten die knapp 26 Millionen Einwohner eine Kräutermischung aus
       Süßholzwurzeln und Aprikosensamen. „Lianhua Qingwen“ heißt das
       kapselförmige Wundermittel. Es fällt unter das Sammelspektrum [2][TCM] –
       traditionelle chinesische Medizin.
       
       Auch Zoe Zong und ihre Mitbewohnerinnen haben sechs Packungen bekommen.
       „Wir haben sie nicht geschluckt, denn laut den sozialen Medien, denen ich
       folge, helfen sie weder dabei, Covidsymptome zu heilen, noch eine Infektion
       zu verhindern“, sagt die Mittzwanzigerin, die seit über drei Wochen in
       ihrer Wohnung eingesperrt ist. „Wir denken, dass die Regierung sich besser
       auf die wirklich wichtigen Bedürfnisse der Leute fokussieren sollte.“
       
       Mit ihrer Skepsis steht sie nicht allein dar. Lianhua Qingwen ist durchaus
       umstritten. Die Gesundheitsbehörden in Singapur haben das Mittel für die
       Behandlung von Covid nicht zugelassen, da es keine wissenschaftliche
       Evidenz für dessen Wirksamkeit gibt. „Wir raten der Öffentlichkeit
       dringend, nicht auf unbegründete Behauptungen hereinzufallen oder Gerüchte
       zu verbreiten, dass pflanzliche Produkte zur Vorbeugung oder Behandlung von
       Covid-19 verwendet werden können“, hieß es von der südasiatischen Behörde.
       
       Doch in China wird weiter an der umstrittenen Praxis festgehalten. Das hat
       nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe: Als im Zuge der Omikronwelle
       sämtliche Einwohner Hongkongs mit Lianhua Qingwen versorgt wurden, gingen
       die Aktienkurse des Unternehmens Yiling Pharmaceutical durch die Decke.
       Das Vermögen der Gründerfamilie rund um den 73-jährigen [3][Wu Yiling]
       stieg daraufhin um viereinhalb Milliarden Dollar an. Wu, der zu den 500
       reichsten Menschen weltweit zählt, hat Lanhua Qingwen im Zuge der
       Sars-Epidemie 2003 auf den Markt gebracht. 2009 wurde er Mitglied der
       Chinesischen Akademie der Ingenieurswissenschaften – die höchste Ehre, die
       man als Wissenschaftler in der Volksrepublik China überhaupt erreichen
       kann.
       
       ## Nebenwirkungen können unter anderem Schäden an Leber und Niere sein
       
       Seit der Coronapandemie hat die Regierung nun ihr Interesse an TCM
       wiederentdeckt. Bereits 2020 nutzten die Covidspitäler in Wuhan
       Kräutermischungen bei der Behandlung von Infizierten. Die
       englischsprachigen Staatsmedien Chinas preisen die Praxis auch
       international an und vermarkten sie insbesondere im globalen Süden als
       kostengünstige Alternative zu westlicher Medizin.
       
       Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO macht der Markt für
       traditionelle chinesische Medizin über 60 Milliarden Dollar aus. Die Idee
       hinter der Förderung dieses medizinischen Markts sei es, dass einige
       Medikamente schließlich zum Teil des Mainstreams für ärztliche Behandlung
       würden – im Inland, als auch international, sagt David Palmer, Soziologe an
       der Universität Hongkong.
       
       Doch im Fall von Lianhua Qingwen stößt dies auf Kritik, auch innerhalb
       Chinas. Zum einen werden die Nebeneffekte bemängelt – darunter Schäden an
       Leber und Nieren. Zudem wird angekreidet, dass die systematische
       Auslieferung der Kräutermischungen an Millionen Menschen im Lockdown die
       ohnehin angespannten Lieferkapazitäten zusätzlich belasten würden.
       
       Die umstrittene Kräutermischung hat aber den Segen von Chinas führendem
       Epidemiologen erhalten: [4][Zhong Nanshan] gilt als eine Art chinesischer
       Christian Drosten, von Staatspräsident Xi Jinping erhielt er zuletzt den
       „Orden der Republik“. Was der 85-jährige Wissenschaftler jedoch
       verschwiegen hat: dass seine Stiftung vom TCM-Produzenten Yiling
       Pharmaceutical Gelder in Höhe von umgerechnet über 200.000 Euro erhalten
       hat.
       
       28 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Coronalockdown-in-Shanghai/!5846953
   DIR [2] https://www.apotheken.de/gesundheit/gesund-leben/alternative-heilkunde/5862-was-ist-traditionelle-chinesische-medizin
   DIR [3] https://www.forbes.com/profile/wu-yiling/
   DIR [4] https://www.ft.com/content/fcac2cbc-4bff-44f5-81bf-66db32b99fca
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Kretschmer
       
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