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       # taz.de -- (De-)Transition und Respekt: Die Veränderung
       
       > Ob Geschlechter- oder Gewichts(de)transition: Wir durchleben dabei
       > radikale Veränderung – und Missverständnisse.
       
   IMG Bild: Gewichts- oder Geschlechtstransitionen sind erstmal schlicht: Veränderungen
       
       Neulich sprach ich mit Torrey Peters über ihren Roman „Detransition, Baby“.
       In einer regressiven Detransition-Debatte, geprägt von Moral Panic, Body
       Policing und Fehlinformationen, ist sie eine Stimme der Vernunft. Mit ihrem
       universalistischen Anspruch verhandelt sie Geschlechter(de)transitionen als
       das, was sie wirklich sind: Veränderungen. Wie ein Umzug oder eine
       Scheidung. Oder, wie ich selbst erlebe, eine Gewichtsabnahme.
       
       Ich war immer dick, mal mehr, mal weniger. Obwohl die Maßregelung meines
       Essverhaltens mich seit dem Kindergarten begleitet, machte ich mit 11
       [1][meine erste Diät]. Es folgten unzählige weitere. Das Verhältnis zu
       meinem Körper ist meine längste On-off-Beziehung. Während meine Pubertät
       von obsessivem Kalorienzählen bestimmt war, verbrachte ich meine Zwanziger
       damit, kontinuierlich zuzunehmen. Bis ich mich mit 28 entschied, es nicht
       mehr zu tun. Mein Körper veränderte sich von ziemlich dick zu etwas dick –
       dachte ich, bis die Realitätsschelle der Krankenkasse kam, die mich
       weiterhin als „adipös“ kategorisiert. Meine Top Surgery, wegen der ich
       abnahm, zahlte ich trotzdem selbst. Die Veränderung bleibt:
       Gewichtstechnisch bin ich gut ein Jahrzehnt detransitioniert.
       
       Es gibt zahlreiche Parallelen zwischen einer Geschlechter- und einer
       Gewichts(de)transition: die pharmazeutischen bis operativen Katalysatoren,
       das Wechselverhältnis von gesellschaftlichem Druck, Überleben und
       Selbstbestimmung, die Auswirkungen auf mentale Gesundheit, die neuen
       Zugänge, die Kommentare und Blicke. Die größte Gemeinsamkeit dieser zwei
       dennoch unterschiedlichen Prozesse ist das Missverstandenwerden.
       
       Obwohl Reue nur für Einzelne und nicht für die Mehrheit eine Motivation
       ist, wird dieses Gefühl als Hauptantrieb propagiert. Das ist falsch. Wie
       bei vielen [2][transitionierten trans Personen] ging es mir nicht darum,
       auf einmal schlank sein zu wollen, sondern mir das Leben leichter zu machen
       und dafür ein paar Schritte zurückzugehen. Es war pragmatisch: Ich hatte
       keine Lust, alle ein, zwei Jahre meine halbe Garderobe auszusortieren und
       immer schwerer an nice Mode zu kommen. Ich habe die in meinen Zwanzigern
       dazugewonnenen Kilos nicht bereut. Statt Zeit und Energie in Diäten zu
       setzen, widmete ich mich dem Schreiben. Es rettete mich.
       
       Gravierender ist die Scham über das Abnehmen. Ich möchte dickenfeindlichen
       Hatern nicht vermitteln, sie hätten mit ihrer Hetze gewonnen. Ich möchte
       nicht, dass andere dicke Menschen denken, ich hintergehe sie mit meiner
       Entscheidung. Ich möchte nicht hören, dass ich meinen einst „ruinierten“
       Körper nun „geheilt“ hätte.
       
       Dieses Gefühl teile ich nicht nur mit (de)trans Personen, sondern mit fast
       allen, die eine radikale Veränderung durchgemacht und vielleicht rückgängig
       gemacht haben. Deshalb braucht es in der Debatte um Detransition Empathie
       und Respekt statt Instrumentalisierung und Beschämung.
       
       5 May 2022
       
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