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       # taz.de -- Streit um Russlandpolitik: AfD will ihre Reden kontrollieren
       
       > Der Streit in der AfD um die Russlandfrage sorgt jetzt für härtere Regeln
       > innerhalb der Bundestagsfraktion. Der Parteichef wird scharf angegriffen.
       
   IMG Bild: Wird mittlerweile offen in Frage gestellt: AfD-Partei- und Co-Fraktionschef Tino Chrupalla
       
       Berlin taz | Überspitzt könnte man es „Mut zur Zensur“ nennen: Die
       AfD-Fraktion will mehr Kontrolle über die Redeinhalte ihrer Abgeordneten
       haben. Künftig sollen die Bundestagsmitglieder der extrem rechten Partei
       ihre Reden im Plenum bei Kernthemen inhaltlich abstimmen, wie die
       AfD-Fraktion der taz bestätigte.
       
       Inhaltliche Linien sollten im Voraus mit zuständigen Fachpolitikern
       abgeklärt werden, hieß es aus Parteikreisen. Der Vorstoß soll aus der
       Fraktion selbst gekommen sein und soll wohl selbst für die AfD grenzwertige
       Redebeiträge verhindern, wie es sie zuletzt zum Ukraine-Krieg gegeben hat.
       Das ist insofern erstaunlich, weil die AfD sich selbst stets die Freiheit
       des Mandats auf die Fahnen geschrieben hat und gezielte parlamentarische
       Provokationen zum festen Repertoire der Partei gehören.
       
       Der Vorstoß, zu dem es allerdings noch keinen Beschluss gibt, dürfte auch
       eine Konsequenz aus dem heftigen Streit um die [1][widersprüchliche Haltung
       der AfD zu Russland sein]. Der angesichts vieler Putin-Versteher in der
       Partei andauernde Konflikt hat sich auch an einer Rede des Abgeordneten
       Steffen Kotré entladen, der kürzlich im Bundestag das Kreml-Märchen von
       amerikanischen Biowaffenlaboren in der Ukraine verbreitete, als es
       eigentlich um Gasreserven gehen sollte.
       
       Theoretisch wären mittlerweile in der AfD-Fraktion sogar härtere
       Ordnungsmaßnahmen möglich: Denn seit der Klausur in Oberhof Mitte März ist
       eine mehrheitlich beschlossene Sanktionsliste Teil der Geschäftsordnung der
       Fraktion. Der der taz vorliegende Katalog von Ordnungsmaßnahmen beinhaltet
       bei Rechtsverstößen oder bei „Verstößen gegen fraktionsinterne Normen oder
       Vereinbarungen“ eine Rüge, Geldstrafen von 500 bis 5.000 Euro,
       Auftrittsverbot bei Fraktionsveranstaltungen, Redeverbot im Plenum für bis
       zu sechs Sitzungswochen sowie eine Ämtersperre von bis zu zwei Jahren und
       letztlich den Ausschluss aus der Fraktion.
       
       Laut Fraktion könnten damit vom Thema abweichende Reden, aber auch
       grenzüberschreitende Social-Media-Posts oder andere öffentliche Äußerungen
       von AfD-Bundestagsabgeordneten theoretisch bestraft werden, wenn sie der
       Partei-Linie oder Positionspapieren widersprechen. Rügen und Geldstrafen
       kann der Fraktionsvorstand verhängen, schwerwiegendere Dinge brauchen einen
       Beschluss in der Fraktionsversammlung.
       
       ## Missbilligungen für Kotré und Kleinwächter
       
       Die Frage bleibt allerdings, wie hart tatsächlich durchgegriffen wird: Der
       Fraktionsvorstand um die Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel
       hat Kotré zwar für seine Propaganda-Rede formal missbilligt, aber abgesehen
       von einem verbalen Tadel hatte das für ihn offenbar ebensowenige Folgen wie
       für viele andere Putinversteher in der AfD, die sich derzeit Kreml-nah
       äußern und so die formal beschlossene Verurteilung Russlands verwässern.
       
       Ebenso lässt es tief blicken, dass zugleich der Fraktions-Vize Norbert
       Kleinwächter vom Vorstand eine Missbilligung bekam – denn dieser hatte es
       gewagt, die Kotré-Rede öffentlich als „widerliche Putin-Propaganda“ zu
       kritisieren. Kleinwächter ist zuständig in der Fraktion für Außenpolitik,
       ein Themenbereich, in dem Kotré mit seinen wilden Behauptungen also
       reingrätschte.
       
       Ob die aktuellen Konflikte aber mit etwaigen Redeverboten oder der
       Sanktionsliste eingefangen werden, darf bezweifelt werden. Auch Partei- und
       Fraktionschef Chrupalla scheint angeschlagen – weil er sich ebenso wie
       viele andere mit einer klaren Verurteilung Russlands jenseits der
       formelhaften Benennung des Krieges als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
       schwer tut. Teilweise verbreiten [2][AfD-Politiker auch gleich den direkten
       Kreml-Spin], etwa nach dem vielfach von unabhängigen Journalisten
       berichteten russischen Kriegsverbrechen von Butscha.
       
       Auch Parteichef Chrupalla lässt Resonanzraum für Desinformationen. Russland
       spricht etwa trotz zahlreicher Berichte und Fakten vom Massaker in Butscha
       von einer „ukrainischen Inszenierung“. Chrupalla lässt diese
       Deutungsmöglichkeit jedenfalls zu, wenn er vor der Fraktionssitzung am
       Dienstag behauptet, dass es eine unabhängige Untersuchung bezüglich der
       Verantwortlichen der Gräueltaten in Butscha brauche und gleichzeitig mit
       einen Hinweis auf „Kriegsverbrechen auf beiden Seiten“ relativiert oder
       wenn er [3][sich in einem Interview im Deutschlandfunk] aus seiner
       Verantwortung als Parteichef zieht, wenn er mit den Beiträgen der übrigen
       Putin-Versteher in der AfD konfrontiert wird.
       
       ## Parteichef Chrupalla wird angezählt
       
       Chrupallas lange Leine für Putin-Freunde sieht man angesichts schlechter
       Umfragewerte vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und
       Schleswig-Holstein vor allem in westlichen Bundesländern sehr kritisch.
       Selbst seine lange als gesetzt geltende Wiederwahl zum Parteichef im Juni
       stellen viele mittlerweile offen in Frage. Und dass sich Chrupalla noch im
       Dezember 2020 mit dem russischen Außenminister Lawrow traf und selbst nach
       dem russischen Überfall auf die Ukraine von seiner Dankbarkeit gegenüber
       Russland für die Wiedervereinigung sprach, lässt seinen Russlandkurs auch
       nicht gerade besser aussehen.
       
       Und so wird der Ton innerhalb der AfD zunehmend rauer. Aufgrund des laschen
       Umgangs mit Russland stellte der Abgeordnete Jürgen Braun, Sanktionskatalog
       hin oder her, seinen Partei- und Fraktionschef Chrupalla vor [4][laufender
       Kamera im ZDF] offen in Frage: „Die Frage muss er sich mal selber stellen,
       ob er noch der Richtige an der Spitze ist mit seinem Verhalten, was
       letztlich für viele Mitglieder sehr einseitig rüberkommt.“
       
       Für Chrupalla geht es nun wohl darum, Ruhe reinzubekommen. Ob ihm das auch
       nur im Ansatz gelingt, dürfte auch davon abhängen, wie Partei und Fraktion
       künftig mit Grenzüberscheitungen in der Russlandfrage umgehen. Offen ist
       derzeit etwa noch die Frage, ob dem Abgeordneten Eugen Schmidt
       Ordnungsmaßnahmen drohen. Schmidt war auch noch nach Kriegsbeginn mehrfach
       im russischen Fernsehen aufgetreten und hatte dort unter anderem behauptet,
       dass in Deutschland [5][keine Demokratie und kein Rechtsstaat existiere].
       Laut Fraktion wurde Schmidt vom Vorstand aufgefordert, zu seinen Interviews
       in russischen Medien Stellung zu nehmen.
       
       7 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-AfD-und-der-Krieg-in-der-Ukraine/!5844230
   DIR [2] /Nach-Massaker-in-Butscha/!5847874
   DIR [3] https://www.deutschlandfunk.de/wie-halten-sie-s-mit-putin-interview-mit-tino-chrupalla-vors-afd-dlf-66538402-100.html
   DIR [4] https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal-update/streit-ueber-den-russland-kurs-der-afd-100.html
   DIR [5] https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/afd-ukraine-russland-101.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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