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       # taz.de -- Protest für Abtreibungsrechte in den USA: Ausgehöhlt und umgangen
       
       > In den USA könnte womöglich die Abtreibungsfreiheit fallen. Mehrere
       > Bundesstaaten halten dafür schon drakonische Gesetze bereit.
       
   IMG Bild: Eine Frau demonstriert für die Beibehaltung des Rechts auf Abtreibung, Washington, 1. Dezember 2021
       
       New York taz | Merle Hoffman lässt den großen Kleiderbügel nach vorne auf
       die Demobühne bringen. Zwei Leute halten das Gestell an diesem
       Samstagnachmittag auf dem Union Square in New York, damit die Menschen ihn
       gut sehen können, die hier mit der Bewegung „Rise Up 4 Abortion Rights“ für
       das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch demonstrieren. „Ich will, dass
       sich das alle genau ansehen“, sagt die 76-Jährige. „Seht genau hin – denn
       Ihr seht eure Zukunft.“
       
       Und die Vergangenheit: Hoffman hat 1971 eine der ersten Abtreibungskliniken
       der USA gegründet, das Choices Women’s Medical Center im New Yorker
       Stadtteil Queens, und zwar zwei Jahre, bevor der Supreme Court Abtreibungen
       auf nationaler Ebene legalisierte.
       
       Schon vor Jahrzehnten demonstrierte sie mit einem großen Kleiderbügel als
       Mahnmal für die drohenden Gefahren, wenn ungewollt Schwangeren der Zugang
       auf sichere Abtreibungen genommen wird. „Der Kleiderbügel ist eines der
       Dinge, die Frauen seit langer Zeit benutzt haben, um eine Abtreibung selbst
       herbeizuführen“, erklärt Hoffman nun. „Denn wie Ihr wisst: Nichts wird
       Frauen davon abhalten, ihre eigene Fruchtbarkeit zu kontrollieren.“
       
       Ihre Warnung ist dringlich: Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten
       könnte bald das „Roe v. Wade“ genannte Grundsatzurteil von 1973 aufweichen
       oder gar kippen. Im Juni soll es zu einer Entscheidung kommen.
       
       ## Andere Mehrheitsverhältnisse am Supreme Court
       
       Nach dem Grundsatzurteil sind Abtreibungen so lange erlaubt, bis der Fötus
       außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre – etwa nach 22 bis 24 Wochen.
       Nun soll der Supreme Court aber ein Gesetz aus Mississippi prüfen, dass
       Abbrüche nach der 15. Woche verbietet. Der Staat im Süden der USA hat das
       Gericht ausdrücklich darum gebeten, „Roe v. Wade“ sowie ein Urteil aus
       1992, das es bestätigte, zu kippen.
       
       Schon zuvor hatten konservative Bundesstaaten immer wieder versucht, vor
       dem Supreme Court Gehör zu finden – doch die Richter:innen hatten es
       stets abgelehnt, sich solche Fälle strengerer Abtreibungsgesetze anzuhören.
       Das änderte sich mit den Mehrheitsverhältnissen im Obersten Gericht: Der
       frühere US-Präsident Donald Trump hatte bereits vor seiner Wahl erklärt, im
       Fall der Fälle solche Richter:innen zu nominieren, die „Roe v. Wade“
       kippen würden.
       
       Er hatte in seiner Amtszeit dreimal die Möglichkeit, sodass inzwischen
       sechs von neun Richter:innen als konservativ gelten – und
       Abtreibungsgegner:innen nun ihre Chance endlich gekommen sehen.
       
       ## In 26 Bundesstaaten droht ein Abtreibungsverbot
       
       Gleich mehrere republikanische Bundesstaaten schreiten nun schon mal mit
       teils drakonischen Gesetzen voran, da sie das Ende der Abtreibungsfreiheit
       erwarten. Die US-amerikanische Organisation Guttmacher Institute rechnet
       damit, dass [1][26 der US-Bundesstaaten höchstwahrscheinlich oder mit
       Sicherheit Schwangerschaftsabbrüche verbieten], sollte „Roe v. Wade“
       demnächst fallen.
       
       In Oklahoma beispielsweise harrt für diesen Fall ein Gesetz der
       Unterschrift des Gouverneurs, das ein fast komplettes Verbot von
       Schwangerschaftsabbrüchen bedeuten würde. Eine Abtreibung durchzuführen,
       wäre demnach strafbar und würde mit bis zu zehn Jahren Haft und/oder
       Geldstrafe von bis zu 100.000 US-Dollar geahndet. Die einzige: Ausnahme:
       Wenn die Abtreibung dazu diene, [2][„das Leben einer schwangeren Frau in
       einem medizinischen Notfall zu retten“].
       
       Das ist umso bitterer, da Oklahoma einer der Orte ist, in den Schwangere
       aus Texas zur Abtreibung fliehen, seit dort wiederum ein Weg gefunden
       wurde, „Roe v. Wade“ zu umgehen. In Texas gilt seit dem 1. September 2021
       das sogenannte Herzschlag-Gesetz. Es verbietet Schwangerschaftsabbrüche ab
       dem Zeitpunkt, da ein Herzschlag beim Embryo feststellbar sei – etwa ab der
       sechsten Woche, heißt es.
       
       Expert:innen sagen aber, dass bis dahin noch kein Herz beim Embryo,
       sondern nur ein Zellcluster ausgebildet sei und sich das Pochen im
       Ultraschallgerät nur aus elektrischer Aktivität des Zellclusters ergebe.
       
       ## Privatpersonen als zivilrechtliche Kläger
       
       Der rechtliche Kalkül in Texas: Privatpersonen dürfen demnach die Personen
       zivilrechtlich verklagen, die an einer Abtreibung mitwirken – vom
       Taxifahrer auf dem Weg zur Klinik bis zur dortigen Ärztin. Der Staat sei
       nicht beteiligt, so die Rechnung, und das macht es schwieriger, das Gesetz
       anzufechten.
       
       Ein ähnliches Gesetz soll bald auch in Idaho in Kraft treten. Bisher prüft
       es jedoch noch das Oberste Gericht des Bundesstaats auf seine
       Rechtmäßigkeit.
       
       „Wir müssen unseren Mut erneuern“, ruft Merle Hoffman in New York nun ins
       Mikro und fordert dazu auf, für die Abtreibungsfreiheit zu kämpfen. Die
       Demonstrierenden klatschen, viele von ihnen tragen grüne Jacken, Ketten
       sowie Bandanas wie auch schon die argentinische Bewegung für
       Abtreibungsrechte.
       
       ## Festnahme in Texas
       
       Große Massen sind allerdings nicht gekommen zum Protest, der nach Angaben
       von „Rise up 4 Abortion Rights“ auch in Atlanta, Chicago, Austin, Boston
       und anderen Städten stattfinden sollte.
       
       Dabei scheint Hoffmans Kleiderbügel-Warnung realistisch: Wie die
       Nachrichtenagentur ap berichtete, ist am Donnerstag erst eine 26-Jährige im
       Süden Texas festgenommen und wegen Mordes angeklagt worden, die laut den
       örtlichen Behörden selbst eine Abtreibung vorgenommen hatte.
       
       [3][Mehr Details dazu, ob die Frau bei sich selbst oder jemand anderem den
       Abbruch herbeigeführt haben soll, wurden bisher nicht bekannt]. Nach
       Angaben des texanischen Abtreibungshilfsfonds [4][„Frontera Fund“] ist sie
       am Samstag gegen Kaution freigelassen worden.
       
       10 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://states.guttmacher.org/
   DIR [2] http://webserver1.lsb.state.ok.us/cf_pdf/2021-22%20ENGR/SB/SB612%20ENGR.PDF
   DIR [3] https://www.washingtonpost.com/national/woman-faces-texas-murder-charge-after-self-induced-abortion/2022/04/09/7ea1b65e-b824-11ec-8358-20aa16355fb4_story.html
   DIR [4] https://twitter.com/LaFronteraFund
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva Oer
       
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