URI: 
       # taz.de -- Finnland, Schweden und die Allianz: Jetzt in die Nato?
       
       > Die skandinavischen Länder debattieren über einen Beitritt. In Finnland
       > scheint eine Entscheidung schon gefallen zu sein. Schweden agiert
       > zurückhaltender.
       
   IMG Bild: Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin ist für einen raschen Nato-Beitritt
       
       Stockholm taz | Das Tempo ist atemberaubend. Vor sechs Wochen waren es nur
       die „üblichen Verdächtigen“, die in [1][Finnland und Schweden für eine
       Nato-Mitgliedschaft] dieser Länder plädierten: vorwiegend PolitikerInnen
       des rechten Parteienspektrums, die sich für ihre Forderung nach einem
       Beitritt zu dem westlichen Militärbündnis aber nie auf eine nur annähernde
       Mehrheit in Bevölkerung oder Parlament stützen konnten.
       
       Das hat sich gründlich geändert. Zumindest in Finnland scheint die Frage
       eines Beitritts mittlerweile nahezu entschieden zu sein. Hatte die
       sozialdemokratische Ministerpräsidentin Sanna Marin noch am 1. März einen
       solchen jedenfalls in der bis Mitte 2023 laufenden Legislaturperiode
       ausgeschlossen, will ihre Regierung nun schon am Gründonnerstag einen
       sicherheitspolitischen Rapport vorlegen, mit dem vermutlich die Weichen für
       ein rasches Beitrittsgesuch schon im Mai gestellt werden. Das werde nicht
       lange auf sich warten lassen, kündigte Außenminister Pekka Haavisto vom
       grünen Koalitionspartner vergangene Woche an.
       
       Statt der von ihm und seiner Regierungschefin versprochenen „gründlichen
       Debatte“ gibt es vor allem pauschale Statements. Die Nato biete die besten
       Sicherheitsgarantien für Finnland, erklärte Ministerpräsidentin Marin am
       Montag. Und die Aufgabe der finnischen Regierung sei nun einmal, „in jeder
       Lage eine maximale Sicherheit für unser Land“ anzustreben. Im Parlament
       zeichnet sich eine klare Mehrheit für einen Nato-Beitritt ab.
       
       Es herrsche eine von den Medien befeuerte regelrechte „Kriegshysterie“,
       kritisierte am Wochenende Ex-Außenminister Erkki Tuomioja. Der
       Sozialdemokrat ist Vorsitzender des außen- und sicherheitspolitischen
       Arbeitskreises seiner Partei, Vize-Vorsitzender des außenpolitischen
       Parlamentsausschusses und eine der wenigen prominenten Stimmen der größten
       Regierungspartei, die öffentlich vor einer übereilten Entscheidung zu einer
       derart wichtigen Frage warnen.
       
       ## Zusätzliche Eskalation
       
       Die gegenwärtige Situation, in der große Teile der Bevölkerung „Angst haben
       und zu Recht empört sind über das, was in der Ukraine passiert“, mache es
       nämlich schwer „einen analytischen Beschluss zu fassen“ und „sich über die
       Konsequenzen unterschiedlicher Alternativen klar zu werden“. Der Regierung
       wirft er vor, sich ohne gründliche Analyse von einer aktuellen Stimmung
       treiben zu lassen.
       
       Tuomiojas Alternative: Man solle einer vertieften nordischen
       Verteidigungsallianz eine wirkliche Chance geben. Sowohl [2][Finnland als
       auch Schweden hätten ja enge Beziehungen zur Nato], „und es hindert uns
       niemand daran, später auch eine Nato-Mitgliedschaft zu suchen“, so
       Tuomioja. „Aber im Moment halte ich es für problematisch, es kann zu einer
       Eskalation beitragen und die internationale Lage zusätzlich belasten.“ Er
       befürchte allerdings, dass die Entscheidung in Helsinki bereits gefallen
       sei.
       
       In Schwedens sozialdemokratischer Regierung scheint man bislang eher die
       Ansicht Tuomiojas zu teilen, dass es nicht besonders klug ist, in einer
       Krise historische Richtungsentscheidungen zu treffen. Wobei allerdings
       sowohl die geografische Lage – man hat anders als Finnland keine gemeinsame
       Grenze mit Russland – als auch die unterschiedliche Geschichte der
       Allianzfreiheit beider Staaten eine Rolle spielt.
       
       War Finnlands Neutralität der Preis, den das Land nach dem Zweiten
       Weltkrieg wegen seines Krieges gegen die Sowjetunion an der Seite
       Hitlerdeutschlands zahlen musste, besteht Schwedens Neutralität –
       mittlerweile als „Allianzfreiheit“ definiert – seit 200 Jahren.
       
       Es ist eine Allianzfreiheit mit deutlich westlicher Schlagseite. Schon in
       den 1950er Jahren, als die Nato 15 Mitgliedsstaaten hatte, wurde Schweden
       oft „16. Nato-Mitglied“ genannt. Seither ist daraus eine enge Partnerschaft
       geworden. Aber auf die formale Allianzfreiheit legte die offizielle Politik
       bislang großen Wert.
       
       „Schweden soll keinen Antrag auf eine Nato-Mitgliedschaft stellen“, hatte
       Ministerpräsidentin Magdalena Andersson im November in der
       Regierungserklärung zu ihrem Amtsantritt gesagt: „Die militärische
       Bündnisfreiheit dient unserem Land gut, sie trägt zur Sicherheit und
       Stabilität in Nordeuropa bei.“ Mittlerweile will aber auch sie „nichts mehr
       ausschließen“. Wofür sie die Parteilinke heftig kritisiert.
       
       „Mich stört, wie nationalistisch diese Debatte ist“, sagt der Journalist
       Göran Greider, ein linker Sozialdemokrat: „Warum geht es nur um Schweden
       und man hört selten, dass Allianzfreiheit gut für die Welt ist?“ Ähnlich
       sieht das Malin Nilsson, Generalsekretärin des Internationalen
       Frauenverbands für Frieden und Freiheit (IKFF): „Statt Nato-Beitritt sollte
       Schweden seine Anstrengungen für Diplomatie, Dialog und Entspannung
       verstärken.“
       
       „Mit Aufrüstung schaffen wir keine friedlichere Welt“, sagt auch die
       Ex-Vorsitzende der Linkspartei, Gudrun Schyman: „Ich möchte gerne eine
       Diskussion, wie Schweden, Finnland, die Ukraine und vielleicht andere
       Staaten einen allianzfreien Korridor zwischen Ost und West bilden könnten.“
       
       12 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Finnland-und-Schweden-ueben-Ernstfall/!5835679
   DIR [2] /Finnland-und-Schweden-ueben-Ernstfall/!5835679
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Nato
   DIR Finnland
   DIR Schweden
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Antikapitalismus
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schweden lässt sich provozieren: Ostertour mit Gewalt
       
       Den Koran öffentlich anzünden, dann auf wütende Proteste von Muslimen und
       das Eingreifen der Polizei warten: Ein dänischer Neonazi sorgt für Unruhen.
       
   DIR Russlands Außenpolitik: Putins verquere Logik
       
       Mehr Nato-Präsenz in Osteuropa, Nato-Beitritte, Aufrüstung der Ukraine:
       Putins zerstörerische und brutale Außenpolitik wendet sich nun gegen
       Russland.
       
   DIR Bundespräsident Steinmeier in Finnland: „Wir stehen an Eurer Seite“
       
       Frank-Walter Steinmeier ist auf Staatsbesuch in Helsinki. Der Ukrainekrieg
       und die Kritik an seiner Russlandpolitik in der Vergangenheit reisen mit.
       
   DIR Linke Demo gegen Russland und die Nato: „Gegen jeden Imperialismus“
       
       Ein linkes Bündnis ruft am Samstag zur Demo gegen Russland und die Nato
       auf. Krieg nütze nur den Herrschenden, sagt Mitveranstalter Daniel Meta.
       
   DIR Krieg in der Ukraine: Putins Feind ist die Nato
       
       Die Außenpolitik des Westens verlässt sich auf die magische Funktion von
       Worten: etwas zu sagen ersetzt die Notwendigkeit, etwas zu tun.