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       # taz.de -- Roman von Djaïli Amadou Amal: Gottgewollte Zwangsheirat
       
       > In Frankreich wurde sie zur Autorin des Jahres gewählt: „Die ungeduldigen
       > Frauen“ ist das erste Werk Amals, das auf Deutsch vorliegt.
       
   IMG Bild: Die kamerunische Autorin Djaili Amadou Amal
       
       Es gibt Passagen in diesem Buch, die klingen wie Prosagedichte, die
       Anrufungen der Eltern durch die Braut etwa, in Teil eins. Und es gibt Sätze
       darin, die sind wie Schläge, hart und direkt: „Als ich neben ihm im Bett
       liege“, heißt es im Roman „Die ungeduldigen Frauen“ von Djaïli Amadou Amal,
       „vergewaltigt er mich zum Trost.“
       
       Es ist bereits der dritte Roman der kamerunischen Autorin, aber der erste,
       der auf Deutsch vorliegt. Die Urfassung, „Munyal oder die Tränen der
       Geduld“, war 2017 auf Französisch in Yaoundé erschienen, erhielt in der
       Folge den [1][panafrikanischen Literaturpreis „Prix Orange du Livre“] und
       avancierte zur Pflichtlektüre in Kameruns Baccalauréat-Klassen.
       
       Vor diesem Hintergrund befremdet, dass das Werk, um in Frankreich
       vermarktet zu werden, einer auf die dortigen Lesegewohnheiten
       zurechtgestutzten Fassung bedurft hatte.
       
       Diese, mit dem „Prix Goncourt des Lycéens“ und kürzlich noch mit der
       „[2][trophée spéciale“ des Buchhandels „für die Autorin des Jahres“
       ausgezeichnet], liegt auch der deutschen Ausgabe zugrunde. In einer Prosa,
       die alle sprachlichen Register von brutaler Direktheit bis zu poetischer
       Zartheit ausschöpft, erzählt Amal darin die Ehehöllen dreier
       zwangsverheirateter Frauen – jeweils aus deren Perspektive: Jede der drei
       Geschichten steht für sich, macht einen eigenen Teil des Buchs aus – und
       zugleich sind sie kunstvoll miteinander verwoben.
       
       ## Als Teenager wurde die Autorin zwangsverheiratet
       
       Die Verdreifachung des Ich verhindert klug eine plump autobiografische
       Lesart, wahrt aber die Unmittelbarkeit des Erlebens. Beides ist wichtig.
       Denn Amadou Amal war als Teenagerin zwangsverheiratet worden, durch ihre
       Onkel an einen alten, stinkreichen Knacker regelrecht verkauft. Als sie
       sich nach sechs Jahren aus dieser Ehe hat befreien können, schließt sie,
       möglicherweise zur Ehrenrettung, eine zweite mit einem brutalen
       Alkoholiker. Dem entflieht sie 2008.
       
       Was die Protagonistinnen ihres Buchs erleben, also die gebildete Ramla mit
       den ehrgeizigen Zielen, und ihre kindliche Schwester, die zarte Hindou,
       aber auch Saifa, die alternde Erstfrau, darüber sagt die Autorin: „Alles,
       was diese Frauen erleben, habe auch ich erlebt.“ Zugleich aber zielt sie
       aufs Überpersönliche: „Das Ich der drei Frauen ist die Stimme aller Frauen
       der Sahel-Zone.“
       
       Und ihr Ohr. „Munyal!“, also Gedulde dich!, [3][auf Fulfulde, Amals
       Muttersprache], dieser Spruch strukturiert als ein Kehrvers den Roman: Die
       Frauen bekommen diesen Rat nach jeder Misshandlung von Neuem zu hören.
       Quälend lässt Amal miterleben, wie diese Aufforderung zur Unterwerfung jede
       Möglichkeit vernichtet, das eigene Leid auch nur zu artikulieren. Sich zu
       beklagen, erscheint ein schuldhafter Verstoß gegen die gottgewollte
       Ordnung.
       
       ## Polygamie als Gegenstück zur Zwangsheirat
       
       Das System der Polygamie als korrespondierendes Gegenstück zur Zwangsheirat
       untergräbt dabei jeden Gedanken an Solidarität. So sieht Saifa sich durch
       die Zweitheirat ihres Mannes, mit dem sie seit 20 Jahren zusammenlebt,
       bedroht. Sie erblickt in Ramla eine Konkurrentin. Deren Verzweiflung will
       sie nicht wahrnehmen.
       
       Sie spinnt Intrigen, streut Gerüchte. Mit Magie – in Kamerun ist Hexerei
       ein anerkannter Straftatbestand – erobert sie ihren Mann zurück. Auf
       Empfehlung einer zentralafrikanischen Marabout mischt sie ihm einen
       Cocktail aus Scheidensekret und Sperma „in alles, was er in den Mund
       nimmt“. Viagra nutzt sie auch.
       
       Gut lesbar ist Ela zum Winkel die Übersetzung geraten, auch wenn sie mal
       hintertrieben schreibt, wo durchtrieben gemeint ist. Feinnervig hat sie die
       Lyrismen des Texts und die Stimmungslagen der drei Frauen in ihren
       Schattierungen ins Deutsche transferiert – bis hin zum aufblitzenden
       Sarkasmus: „Und wenn ein unglücklicher Schlag mich umbringen sollte, dann
       wird es eben Allahs Wille gewesen sein“, heißt es in einer seltsamen
       Mischung aus Aufmüpfigkeit und Resignation, die Hindou charakterisiert.
       Denn Widerstand ist Blasphemie.
       
       2 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://actualitte.com/article/13260/prix-litteraires/djaili-amadou-amal-laureate-du-1ere-prix-orange-du-livre-en-afrique
   DIR [2] https://www.livreshebdo.fr/article/le-palmares-des-trophees-de-ledition-2021
   DIR [3] https://homepage.univie.ac.at/martina.gajdos/fulfulde.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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