# taz.de -- Verhandlung um Habersaathstraße: Spekulation soll sich auch lohnen
> Berlin-Mitte kommt den Eigentümern der von Obdachlosen bewohnten Häuser
> in der Habersaathstraße entgegen. Wohl aus Angst vor den Gerichten.
IMG Bild: Leerstand, Wohnung, Spekulationsobjekt: Habersaathstraße in Berlin-Mitte
Berlin taz | Der Bezirk Mitte ist ein Eldorado für Spekulanten. Im Herzen
Berlins haben viele seit dem Fall der Mauer mit Immobilien ihren Reibach
gemacht, viele versuchen es weiterhin.
Einer von ihnen ist die „Arcadia Estates Habersaathstraße 40–48“, die den
Gebäudekomplex an selbiger Adresse, ein ehemaliges Schwesternwohnheim,
abreißen und neu bauen lassen möchte. Schließlich sind Mieten in Neubauten
deutlich höher als in Bestandsgebäuden. Wer könnte da widerstehen?
Politik hat es da nicht leicht, keine Frage. Zwar gibt es Gesetze, in
Berlin zum Beispiel das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz, das spekulativen
Leerstand von Wohnraum verbietet und das Abreißen von Wohnhäusern nur unter
der Maßgabe erlaubt, dass man neuen Wohnraum schafft zu „sozialen“ Preisen
– aktuell maximal 7,92 Euro pro Quadratmeter (kalt).
Aber was, wenn ein Eigentümer wie jener der [1][Habersaathstraße 40]–48
trotzdem entmietet und Dutzende Wohnungen leer stehen lässt? Was, wenn der
Eigentümer den Bezirk mit Gerichtsprozessen überzieht, um seinen Abriss zu
bekommen?
In Mitte hat man den Verhandlungsweg gesucht, offenbar aus der – angesichts
von Gerichtsurteilen durchaus berechtigten – Angst heraus, juristisch zu
verlieren. Der grüne Bezirksbürgermeister hat dem Eigentümer einen
Vergleich vorgeschlagen, wie zu Wochenbeginn bekannt wurde: Er bekommt die
Abrissgenehmigung, wenn dafür 30 Prozent der neuen Wohnungen für weniger
als 8,50 Euro/Quadratmeter kalt vermietet werden und der Bezirk die Mieter
für diese „Sozialwohnungen“ vorschlagen darf.
## Spekulativer Leerstand wird mit hohen Gewinnen belohnt
Wer hier gewinnt, ist offenkundig: Im Tausch für ein paar Wohnungen zu
einem Preis, der nicht gerade ein Schnäppchen ist, bekommt der Eigentümer
carte blanche für wesentlich mehr Wohnungen. Der [2][spekulative Leerstand]
wird belohnt mit hohen Gewinnen, 120 bezahlbare Wohnungen gehen verloren.
Andere Hausbesitzer werden solche „Kompromisse“ mit großem Interesse zur
Kenntnis nehmen. Offenbar, so die Lehre, muss man als Spekulant nur hart
genug bleiben, dann bekommt man schon, was man will.
Oder doch nicht? Vielleicht ist der Eigentümer der Habersaath nun aus
Freude über die handzahme Politik ein Stück zu weit gegangen. Am Donnerstag
wurde bekannt, dass er noch bis Ende dieser Woche die 50 Obdachlosen
rauswerfen will, die seit Jahreswechsel in einigen der Wohnungen leben. Sie
hatten den Leerstand besetzt und der Bezirk hatte überraschend
durchgesetzt, dass sie vorläufig – bis zum voraussichtlichen Abriss –
bleiben können.
## Bezirk zieht die Reißleine
Jetzt sagt der Besitzer, sie müssten sofort ausziehen, und behauptet, dies
sei mit dem Bezirk abgesprochen. Das Ganze sei ja nur eine „Winterhilfe“
gewesen, er würde jetzt gerne [3][Ukraineflüchtlinge unterbringen]. Der
Hintergrund ist klar: Flüchtlinge bringen mehr Kohle, der Staat zahlt für
sie bis zu 25 Euro pro Tag und Person. Für die Obdachlosen hat er angeblich
nur 3,50 Euro bekommen.
An diesem Punkt musste der Bezirk die Reißleine ziehen – sonst wäre er
endgültig zum „Büttel des Kapitals“ geworden. Eine Sprecherin erklärte der
taz: Ein „erzwungener Auszug“ der Obdachlosen „würde den Abschluss des
Vergleichs sehr deutlich erschweren“.
Ein Machtwort, immerhin. Noch besser wäre vielleicht, auf den krummen Deal
gleich ganz zu verzichten.
2 May 2022
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## AUTOREN
DIR Susanne Memarnia
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