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       # taz.de -- Neues Mixtape von Yung Lean: Musik zum Unterlegen von Videoclips
       
       > Durch Tiktok entstand um den schwedischen HipHop-Künstler ein Hype. Aber
       > reicht das für sein neues Mixtape-Album „Stardust“ auf die lange Distanz?
       
   IMG Bild: Yung Lean machte auch schon unter dem Namen jonatan leandoer127 Musik
       
       Den Zeitpunkt für die Veröffentlichung seines neuen Mixtapes „Stardust“ hat
       er sich gut ausgedacht, der 25-jährige Jonatan Leandoer, besser bekannt als
       Yung Lean.
       
       Denn sein Song „Ginseng Strip 2002“ von 2013 ist bereits seit Monaten ein
       „Viral Hit“, also ein Stück Musik, das sich bei der vor allem von
       Jugendlichen genutzten chinesischen Plattform Tiktok außerordentlicher
       Popularität erfreut. [1][Bei Tiktok werden nicht mehr vollständige Songs
       geschätzt, sondern kurze, eingängige Ausschnitte, sogenannte Snippets.]
       
       Fast 13 Millionen Videos wurden von Tiktok-Nutzer:innen mit dem Ausschnitt
       aus dem Refrain von „Ginseng Strip 2002“ unterlegt. Der Hype erinnert an
       Leandoers Durchbruch als Teenager, immerhin wurde der Rapper mit seinen
       ersten Youtube-Uploads zu einem Internet-Meme.
       
       Mit seiner Debüt-EP „Lavender“ und dem Album „Unknown Death 2002“ wurde der
       Stockholmer Künstler zum festen Bestandteil der ironischen Internetkultur
       der zehner Jahre, etablierte [2][Genres wie Cloud] und Emo Rap.
       Charakteristisch für Yung Leans Sound war sein monotoner Sprechgesang, den
       er mit atmosphärischen Trapbeats und einprägsamen Hooks unterlegte.
       
       ## Kometenhafter Aufstieg und Schattenseiten
       
       Die Dokumentation „Yung Lean: In My Head“ (2020) erzählt vom kometenhaften
       Aufstieg des schwedischen Rappers, zeigt dabei aber auch die Schattenseiten
       früher Erfolge. Eine drogeninduzierte Psychose und der tragische Tod seines
       Managers stellten eine Zäsur in der Karriere des Musikers dar.
       
       Je produktiver er trotz der Rückschläge wurde, desto düsterer und
       melancholischer geriet sein Stil. So gründete er die Postpunk-Band Död
       Mark, als jonatan leandoer127 (später jonatan leandoer96) veröffentlichte
       er fortan experimentelle Lo-Fi-Indiesongs. Unter dem Alias Yung Lean
       folgten weitere Alben und Mixtapes, auf denen er die stilistischen
       Beschränkungen von HipHop hinter sich ließ, wie zuletzt auf „Starz“ (2020).
       
       Das neue Mixtape „Stardust“ kommt deutlich elektronischer und weniger
       introvertiert daher. Für die Produktion hat Yung Lean prominente Gäste
       verpflichtet. Darunter etwa [3][US-Stadionravestar Skrillex] genauso wie
       das experimentelle Stockholmer Underground-Kollektiv Drain Gang, das Pop
       mit HipHop und Elektronik fusioniert. Um das Kollektiv gab es zuletzt
       ebenfalls einen Tiktok-Hype.
       
       Die Drain-Gang-Mitglieder Bladee, Ecco2K, Yung Sherman, Whitearmor und
       Thaiboy Digital begleiten Leondaer schon seit Beginn der Karriere, damals
       nannten sie sich noch „Sadboys“. Mit ihrer Unterstützung sowie der von
       experimentellen Produzenten wie Woesum oder Art Dealer versucht Yung Lean,
       seinen Sprechgesang auf den Dancefloor zu hieven. Jeder Song des Mixtapes
       besteht aus verschiedenen Soundschnipseln, die häufig von Eurodisco, Trance
       und Garage beeinflusst sind.
       
       ## Song mit FKA Twigs
       
       Der überraschendste Song auf „Stardust“ bedient sich aber nicht dieser
       Genres, sondern zeigt sich vom Postpunk und Elektropop beeinflusst. Für
       „Bliss“ lud Yung Lean [4][die Britin FKA Twigs ein, die jüngst mit ihrem
       Mixtape „Caprisongs“] auch auf den Dancefloor schielte. In der gemeinsamen
       Single sampelt Leandoer den sowjetischen Postpunk-Song „Na zare“ der Band
       Alyans aus dem Jahr 1987, und FKA Twigs klingt dank Autotune wie die
       [5][kanadische Sängerin Grimes während ihrer „Art-Angels“-Ära].
       
       In Kombination mit Leandoers verzerrtem und verfremdeten Gesang und dem
       zappeligen Basslauf des Samples wird ein rumorender Pop-Sound kreiert, den
       man so bislang weder von Leandoer noch von FKA Twigs gewohnt war. So
       vielfältig wie die Einflüsse der Single sind auch die weiteren Tracks des
       Albums.
       
       „Trip“ greift dank euphorischer Hyperpop-Beats und großer Übertreibung beim
       Gesang eine unbeschwerte Atmosphäre auf, die an den dilettantischen Beginn
       von Yung Lean erinnert. Das von Skrillex produzierte „Lips“ wird von
       UK-Garage-Beats dominiert, leider fällt der Song dank seines schmierigen
       Textes („Lick, lick, lick and a kiss, kiss, kiss / down from her neck to
       her legs, make it rain“) etwas einfältig aus.
       
       Am besten klingt Yung Lean bei „Bliss“, „Trip“ und „SummerTime Blood“,
       wobei letzterer Song eher von Bladees ikonischen Autotune-Vocals zehrt als
       von Leandoers Sprechgesang. Das kennzeichnet einen Großteil der zwölf
       Tracks. Gerade auf den melancholischen Songs „All the Things“, „Nobody
       Else“ und „Gold“ erinnert Leandoers lethargischer Gesang eher an jonatan
       leandoer96 als an Yung Lean.
       
       ## Wahllose Koppelung diverser Genres
       
       Während das Genöle gut zum Lo-Fi-Indie-Projekt passt, kann es dem enormen
       Dancefloor-Poppotenzial nicht gerecht werden, zu austauschbar klingen die
       Texte und der stimmliche Einsatz. Für den digitalen Dancefloor mag das
       reichen, für die tatsächliche Tanzfläche ist dieser Elektro-Rap-Mischmasch
       zu sperrig.
       
       Dank der amtlichen Produktion kommt das Mixtape ohnehin wie eine etwas
       wahllose Koppelung diverser Genres und Hypes daher. „Stardust“ passt sich
       damit deutlich den Hörgewohnheiten des Tiktok-Zeitalters an, so
       unterschiedlich sind die Stimmungen, so vielfältig die verschiedenen
       Samples und Soundfragmente, die Leandoer und seine Produzenten einbringen.
       
       Immerhin dürfte Yung Lean mit diesem Konzept seine neue Zielgruppe
       erreichen. Immer mehr Tiktok-User:innen posten seit der Veröffentlichung
       des Mixtapes Clips, die sie mit einem Snippet des Songs „Bliss“ unterlegen.
       
       21 Apr 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Louisa Zimmer
       
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