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       # taz.de -- EU-Beitritt der Ukraine: Symbolpolitik aus Brüssel
       
       > Anfang April überreichte EU-Chefin Von der Leyen dem ukrainischen
       > Präsidenten Selenskyj einen Fragebogen zum EU-Beitritt. Darf sein Land
       > jetzt hoffen?
       
   IMG Bild: Von der Leyen überreichte den Fragebogen an Selenskyi persönlich bei ihrem Blitzbesuch in Kiew
       
       Brüssel taz | Die Ukraine kommt beim erhofften EU-Beitritt nicht so schnell
       voran wie erhofft. Bisher fehlten noch einige Antworten aus dem
       Beitritts-Fragebogen, sagte der Sprecher von EU-Kommissionspräsidentin
       Ursula von der Leyen am Dienstag in Brüssel. Erst wenn alle Fragen
       beantwortet seien, könne die EU-Kommission mit der Prüfung des Antrags
       beginnen.
       
       [1][Damit dämpfte der Sprecher die großen Erwartungen, die Präsident
       Wolodymyr Selenskyj in die EU setzt.] Geweckt hatte sie von der Leyen
       persönlich – bei einem Blitzbesuch in Kiew Anfang April. Dabei überreichte
       sie Selenskyj einen Fragebogen, der als Startschuss für die üblicherweise
       jahrelange Beitritts-Prozedur gilt.
       
       Nun hat Selenskyj den Fragenkatalog ausgefüllt und an den EU-Botschafter in
       Kiew weitergeleitet. Das sei ein „historisches Ereignis“, erklärte er. Sein
       Land habe für den Antrag nur etwas mehr als eine Woche gebraucht – und
       damit wesentlich weniger als andere Beitrittskandidaten, die sich meist
       jahrelang vorbereiten mußten.
       
       Doch der Fragebogen hat zwei Teile. Der zweite, entscheidende Teil sei
       bisher noch nicht beantwortet worden, heißt es in Brüssel. Dabei geht es um
       Fragen zum sogenannten „Acquis“, also dem Besitzstand der EU. Damit wird
       die Annäherung an das EU-Recht geprüft. Der Besitzstand muss von einem
       Beitrittskandidaten komplett übernommen werden.
       
       ## Wirtschaft im freiem Fall
       
       Davon ist die Ukraine noch meilenweit entfernt. Auch die wirtschaftlichen
       und politischen Kriterien, die im ersten Teil des Beitritts-Fragebogens
       erfasst werden, dürfte Kiew noch nicht annäherungsweise erfüllen. Die
       Wirtschaft befindet in freiem Fall, die Politik entspricht nicht den
       demokratischen und rechtsstaatlichen Standards der EU.
       
       Dass von der Leyen dennoch einer schnellen Prüfung und Zusage noch vor der
       Sommerpause zugesagt hat, halten viele Beobachter in Brüssel für
       Symbolpolitik. Die deutsche Behördenchefin wolle der Ukraine zeigen, dass
       die EU hinter dem Land stehe. Außerdem wolle sie Widerstände in mehreren
       EU-Ländern überwinden helfen.
       
       Viele Mitgliedsstaaten stehen einem EU-Beitritt skeptisch gegenüber. Beim
       EU-Sondergipfel Anfang März in Versailles wäre es deshalb fast zum Eklat
       gekommen. Es werde „Monate, vielleicht Jahre“ dauern, bevor das ukrainische
       Beitrittsgesuch zu einem Ergebnis führen werde, sagte der niederländische
       Premier Mark Rutte.
       
       Einem Blitzbeitritt erteilte Rutte eine Absage, auch Deutschland und
       Frankreich hatten Vorbehalte. In der Gipfelerklärung war von einem Beitritt
       am Ende gar keine Rede mehr. „Die Ukraine gehört zu unserer europäischen
       Familie“, hieß es. Man wolle die Partnerschaft mit Kiew vertiefen, um den
       „europäischen Weg“ zu unterstützen.
       
       ## Nur Empfehlung aussprechen
       
       Ein Beitrittsversprechen ist das nicht. Vor dem Hintergrund des Kriegs ist
       ein solches auch kaum zu erwarten. Nur stabile Länder mit international
       anerkannten Grenzen können der EU beitreten. Selenskyj scheint derzeit
       jedoch nicht einmal an einem Waffenstillstand mit Russland interessiert.
       
       Er sucht eine Abkürzung – und setzt dabei auf die EU-Kommission. [2][Doch
       selbst wenn Selenskyj in den nächsten Tagen den fehlenden zweiten Teil des
       Fragebogens nachreicht], ist er längst nicht am Ziel. Auf Grundlage der
       Antworten kann die EU-Kommission lediglich empfehlen, der Ukraine den
       Status eines Beitrittskandidaten zu erteilen.
       
       Danach erst beginnen die eigentlichen Beitritts-Verhandlungen – und die
       können Jahre dauern. Die Türkei wartet schon seit fast zwei Jahrzehnten auf
       das begehrte EU-Ticket, bisher vergebens. Erst wenn alle 27 EU-Staaten
       zustimmen, öffnet sich die Tür zum europäischen Club.
       
       20 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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