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       # taz.de -- Die Linkspartei in der Krise: Richtung Abgrund
       
       > Die Linkspartei befindet sich in einer Existenzkrise. Der neue
       > #Metoo-Skandal hat die Lage verschärft -, doch die Probleme reichen
       > weiter zurück.
       
   IMG Bild: Bei ihrer Wahl im Februar 2021 träumten Wissler und Hennig-Wellsow noch von einem Aufbruch
       
       Berlin taz | Nach dem [1][Rücktritt der Co-Vorsitzenden Susanne
       Hennig-Wellsow] wird die Linkspartei vorerst von Janine Wissler alleine
       weitergeführt. Dafür hat sich der Bundesvorstand [2][der
       krisengeschüttelten Partei] auf einer Sondersitzung am Mittwochabend ohne
       Gegenstimmen ausgesprochen. Wie lange die 40-jährige Hessin noch an der
       Spitze der Partei stehen wird, ist allerdings ungewiss.
       
       Bislang ungeklärt ist, wann es zu einer Neuwahl des Bundesvorstands kommen
       soll, auf die sich das Gremium verständigt hat. Darüber soll am Wochenende
       entschieden werden. Klar ist, dass die Wahl auf einem Parteitag stattfinden
       soll. Der Vorschlag, dem Beispiel [3][der griechischen Schwesterpartei
       Syriza] zu folgen und die neue Führungsspitze per Urabstimmung von den
       Mitgliedern wählen zu lassen, fand nur wenige Fürsprecher:innen.
       
       Wahrscheinlich ist, dass die Vorstandsneuwahl auf dem ohnehin für Juni
       geplanten Parteitag in Erfurt stattfinden wird. Als Alternative ist ein
       Sonderparteitag im Herbst im Gespräch. Ob Wissler dann erneut antreten
       wird, ist noch offen. Sie sieht sich derzeit aufgrund einer
       [4][#MeToo-Affäre in ihrem hessischen Landesverband] scharfen Angriffen
       ausgesetzt. Über ihren Ex-Partner ist Wissler in den Skandal auch
       persönlich involviert.
       
       Als Wissler und Hennig-Wellsow im Februar 2021 die Führung von dem Tandem
       Katja Kipping und Bernd Riexinger übernommen haben, galten die damaligen
       Landtagsfraktionsvorsitzenden von Hessen und Thüringen als die großen
       Hoffnungsträgerinnen, mit der die Linkspartei in eine bessere Zukunft
       aufbrechen könnte. Stattdessen ist ihre Malaise inzwischen so groß wie noch
       nie. Ohne Zweifel befindet sich die Linkspartei in einer Existenzkrise.
       
       ## Eine Partei im Kampf mit sich selbst
       
       Es brennt an allen Ecken und Enden. Nach der 2,6-Prozent-Pleite bei der
       Landtagswahl im Saarland drohen Mitte Mai in Schleswig-Holstein und in
       Nordrhein-Westfalen die nächsten Desaster. Auch für die Wahl in
       Niedersachsen im Herbst sieht es düster aus. Im Westen könnte die Linke
       bald wieder Splitterpartei sein. Das erinnert an alte PDS-Zeiten – von
       denen im Osten hingegen nur noch geträumt werden kann.
       
       Mit Ausnahme von Thüringen hat sie dort längst ihren Volksparteicharakter
       verloren. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt kam die Linkspartei
       schon bei der Bundestagswahl nicht mehr über zehn Prozent.
       
       „Das Versprechen, Teil eines Politikwechsels nach vorn zu sein, konnten wir
       aufgrund eigener Schwäche nicht einlösen“, schreibt Hennig-Wellsow in ihrer
       am Mittwoch veröffentlichten Rücktrittserklärung. „Wir haben zu wenig von
       dem geliefert, was wir versprochen haben.“ Ein wirklicher Neuanfang sei
       ausgeblieben. Dabei sei seit Jahren bekannt, dass eine programmatische,
       strategische und kulturelle Erneuerung nötig sei. Ihre
       Rücktrittsentscheidung traf Hennig-Wellsow dem Vernehmen nach ohne
       vorherige Rücksprache mit Wissler. Die beiden sollen sich zum Schluss nicht
       mehr viel zu sagen gehabt haben.
       
       Das Grundproblem: In allen zentralen gesellschaftlichen
       Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit schafft es die Linkspartei nicht
       mehr zu vermitteln, wofür sie eigentlich steht – egal ob es um Flucht und
       Migration, die Klimapolitik, Minderheitsschutzrechte, Corona oder nun den
       Ukrainekrieg geht.
       
       ## Die Linke: ein anscheinend sinkendes Schiff
       
       Angeführt von der prominenten Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht gab
       und gibt es stets einen höchst öffentlichkeitswirksamen Flügel, der
       Parteibeschlüsse konterkariert und damit de facto belanglos gemacht hat.
       Das korreliert mit abstoßenden Umgangsformen untereinander, die sich mit
       dem Anspruch, eine Partei der Solidarität zu sein, nur schwer vereinbaren
       lassen. Und jetzt kommt auch auch noch #MeToo hinzu
       
       Die Folgen sind nicht nur Wahlniederlagen, sondern auch ein personeller
       Aderlass. Nach allen Seiten verliert die Linkspartei derzeit Mitglieder.
       Aktuell gehen etliche wegen der Sexismusvorwürfe, die die Partei
       erschüttern.
       
       Aber das ist es nicht alleine: Die einen treten aus wegen des Umgangs mit
       dem Ukraine-Krieg – entweder weil sich die Partei gegen Waffenlieferungen
       ausspricht, oder im Gegenteil, weil man trotzdem die friedenspolitischen
       Positionen verraten sieht. Andere verabschieden sich wegen des Streits um
       Wagenknecht – die einen, weil sie sie von der Partei schlecht behandelt
       sehen; die anderen, weil die Bundestagshinterbänklerin immer noch in der
       Partei ist. Den einen vertritt die Linke zu viel Klimaschutz, den anderen
       zu wenig. Und manche wollen auch einfach nicht länger an Bord eines
       anscheinend sinkenden Schiffes sein.
       
       Neben persönlichen Motiven und unerfüllten Erwartungen bei der Erneuerung
       der Partei hat die bisherige Co-Vorsitzende Hennig-Wellsow den Umgang mit
       Sexismus in den eigenen Reihen als einen der Gründe für ihren Rücktritt
       benannt. Dieser habe „eklatante Defizite“ der Linkspartei offengelegt.
       
       Auch auf der knapp dreistündigen digitalen Krisenssitzung am Mittwoch nahm
       das Thema breiten Raum ein. Seit einer Spiegel-Veröffentlichung vor einer
       Woche über „mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine
       toxische Machokultur“ schüttelt der Skandal die Partei schwer durch. Es
       habe eine konstruktive, selbstkritische Debatte gegeben, berichten
       Teilnehmer:innen. Beschlossen wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket zum
       Umgang mit solchen Vorfällen.
       
       Dazu zählt die Einrichtung einer unabhängigen Beratungsstruktur, die aus
       erfahrenen Frauen aus feministischer Anti-Gewaltarbeit und
       Betroffenenunterstützung sowie erfahrenen Anwältinnen bestehen soll. Auch
       sollen Satzung, Geschäftsordnung und Bundesschiedsordnung geändert werden,
       um die Sanktionsmöglichkeiten für grenzüberschreitendes Verhalten von
       Mitgliedern zu erweitern.
       
       „Wir bedauern die sexuellen Übergriffe in unserer Partei zutiefst und
       entschuldigen uns bei den Opfern“, heißt es in dem Beschluss. „Es tut uns
       leid, dass wir nicht früher darauf reagiert haben.“ Der Bundesvorstand
       stehe „an der Seite der Opfer“ und werde „transparente und vorbehaltlose
       Aufklärung organisieren und vorantreiben“.
       
       Aktualisiert und ergänzt am 21.04.2022 um 16:15 Uhr. d. R.
       
       21 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hennig-Wellsow-gibt-Linken-Spitze-ab/!5849789
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   DIR [4] /Sexismus-und-Politik/!5846284
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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