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       # taz.de -- Ausschlussverfahren gegen Tübingens OB: Palmer parteilos
       
       > Tübingens umstrittener Bürgermeister will seine Grünen-Mitgliedschaft
       > vorerst ruhen lassen. Der Landesvorstand bewertet das Ergebnis als
       > „konstruktiv“.
       
   IMG Bild: Bis Ende 2023 kein Grünen-Mitglied mehr: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer
       
       Stuttgart taz | Das [1][Parteiausschlussverfahren gegen Boris Palmer],
       grüner Oberbürgermeister Tübingens, endet mit einem Kompromiss. Palmer
       erklärte am Sonntag, einem Vergleich zustimmen und seine Mitgliedschaft bis
       Ende 2023 ruhen lassen zu wollen. Auch der grüne Landesvorstand stimmte dem
       Vergleich am Sonntag zu und sprach von einem „konstruktiven Ergebnis“.
       
       Am Samstagnachmittag hatte das dreiköpfige Landesschiedsgericht der Grünen
       eben diesen Vergleich vorgeschlagen: Palmer solle seine Mitgliedschaft bis
       zum 31. Dezember 2023 ruhen lassen. Bis zu diesem Zeitpunkt solle die
       Partei mit ihrem prominenten Mitglied Gespräche darüber führen, wie der
       Kommunalpolitiker „innerparteilich kontroverse Meinungen äußern könne, ohne
       gegen die Ordnung der Partei zu verstoßen“.
       
       Palmer und die Grünen hatten bis zum 16. Mai Zeit bekommen, zu entscheiden,
       ob sie den Vergleich annehmen. Hätte nur eine Seite abgelehnt, wäre das
       Ausschlussverfahren weitergegangen.
       
       Palmer verkündete aber bereits am Sonntag, den Vorschlag akzeptieren zu
       wollen. „Das Wesen eines Vergleichs ist, dass man sich nicht in vollem
       Umfang durchsetzt“, erklärte er. „Den Streit auf diese Weise zu beenden,
       scheint mir folglich sinnvoll.“ Zwar dürfe er nun nicht mehr Parteiämter
       bekleiden – die habe er aber ohnehin nicht. Und sollte er im Herbst als –
       vorerst parteiloser – [2][Oberbürgermeister von Tübingen wiedergewählt
       werden], wäre er ab 2024 wieder „einer der wenigen grünen Oberbürgermeister
       im Ländle, auf die sich die Partei uneingeschränkt stützen kann“.
       
       Laut Palmer erklärte sein Anwalt Rezzo Schlauch deshalb für ihn, dass er
       dem Vergleich zustimme. „Wenn der Landesvorstand das auch tut, ist die
       Ausschlussforderung vom Tisch.“
       
       ## Landesvorstand sieht „aufreibende Debatte“ beendet
       
       Und der Landesvorstand folgte am Sonntag. Mit einstimmigem Beschluss wurde
       auch dort der Vergleich angenommen. Damit wurde ein „komplexer Fall
       zielführend und gut bearbeitet“, gaben sich die Landesvorsitzenden Lena
       Schwelling und Pascal Haggenmüller zufrieden. Es sei festgestellt worden,
       dass Palmer gegen Grundsätze der Partei verstoßen habe. Dies sei ein
       wichtiges Zeichen, auch für all diejenigen in der Partei, die in den
       vergangenen Jahren „immer wieder durch diese Debatten aufgerieben“ wurden.
       
       „Gleichzeitig zeigt der Vergleich einen Weg auf, künftig wieder in
       geordneten innerparteilichen Verfahren zusammenzuarbeiten“, betonten
       Schwelling und Haggenmüller. Mit den gemeinsamen Gesprächen mit Palmer
       würden künftig Konflikte mit den Grundsätzen der Partei vorgebeugt. Mit dem
       Vergleich könne man nun die „aufreibende Debatte“ hinter sich lassen.
       
       Der Vergleich ist eine Zäsur in der [3][langjährigen Entfremdung] zwischen
       Palmer und seiner Partei, die in dem Parteiausschlussverfahren ihren
       Höhepunkt fand. Die baden-württembergischen Grünen hatten nach einer Reihe
       verbaler Entgleisungen Palmers auf ihrem Landesparteitag im Mai 2021 ein
       Parteiausschlussverfahren gegen den Tübinger Oberbürgermeister beschlossen.
       
       ## Reihenweise verbale Ausfälle
       
       Damaliger Anlass war ein rassistischer Post über den früheren
       Fußballnationalspieler Dennis Aogo auf Facebook. Nach Palmers Angaben war
       sein Eintrag satirisch gemeint. Bereits zuvor hatte der Politiker mit
       Äußerungen zur Flüchtlingspolitik und zu Coronamaßnahmen mit seiner Partei
       über Kreuz gelegen. Die damaligen Landesvorsitzenden Sandra Detzer und
       Oliver Hildenbrandt hatten den Antrag mit der „langen Liste von
       kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen“ begründet.
       
       Darunter fiel Palmers Unwort des Jahres vom
       „Menschenrechtsfundamentalismus“, die Veröffentlichung von Fotos von
       mutmaßlichen Asylbewerbern, von denen er annahm, dass sie schwarz fahren.
       Oder seine Äußerungen, mit den Coronamaßnahmen würden womöglich die
       Falschen gerettet. Auch seine Wahlkampfunterstützung für eine
       CDU-Kandidatin in Aalen fand sich im Antrag der Partei. Eine der
       anfechtbarsten Forderungen Palmers, Asylbewerber bei
       Vergewaltigungsvorwürfen zu DNA-Tests zu zwingen, fehlte merkwürdigerweise.
       
       Palmers Verteidiger, der Altgrüne Rezzo Schlauch, nannte den
       Ausschlussantrag „politisch und rechtlich eine grobe Fehlleistung“. Und 500
       – allerdings fast ausschließlich ältere – Parteimitglieder von Antje
       Vollmer bis Ludger Volmer sprachen sich in einer [4][Unterschriftenaktion
       für den Verbleib Palmers in der Partei] aus. Palmer sei unabhängig von
       seinen teils provokanten Äußerungen ein erfolgreicher grüner
       Oberbürgermeister und wichtiger Stichwortgeber zur innerparteilichen
       Debatte, argumentierten sie.
       
       Der Schlichtungsspruch ist nun der Versuch, die Situation auch für die
       Partei zu entschärfen. Denn Beobachter gaben einem Ausschluss Palmers wenig
       Chancen. Zudem hatte die Parteispitze um Schwelling und Haggenmüller jüngst
       erst einen Masterplan ausgerufen, die Grünen besser in den Kommunen zu
       verankern. Zuletzt hatte die Partei in Großstädten wie Konstanz, Freiburg
       und der Landeshauptstadt Stuttgart die Oberbürgermeister-Sessel oft
       fahrlässig verloren. Manchmal herrscht aber auch einfach nur Konfusion: In
       Baden-Baden war ausgerechnet die Bürgerbeauftragte des Landes, Beate
       Böhlen, unabgesprochen gegen einen grünen Kandidaten ins Rennen gegangen,
       bevor man sie dann doch noch zum Rückzug bewegen konnte.
       
       Das Verfahren aber hat die Tübinger Grünen gespalten. Palmer hatte, mit
       Verweis aus das Ausschlussverfahren, entschieden, sich nicht einem
       Mitglieder-Votum der Grünen zu stellen, sondern als unabhängiger Kandidat
       anzutreten. Die Grünen haben inzwischen eine eigene Kandidatin nominiert,
       [5][Ulrike Baumgärtner]. Nun unterstützen Teile der Partei Palmer, andere
       Teile Baumgärtner. Dieses Dilemma löst auch der Schlichterspruch nicht. Und
       Palmers Chancen, als unabhängiger Kandidat wiedergewählt zu werden, stehen
       nicht schlecht.
       
       24 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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   DIR Konrad Litschko
       
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