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       # taz.de -- Streit um Solaranlagen auf Baudenkmälern: Klimawandel im Denkmalschutz
       
       > Solaranlagen auf Baudenkmälern? Das gibt oft Ärger, wie auch in diesem
       > Fall in Hannover. Die Energiekrise verschärft den Konflikt.
       
   IMG Bild: Solaranlage auf denkmalgeschütztem Gebäude: Die Dorfkirche von Zernin im Jahr 2002
       
       Hannover taz | Der [1][„Döhrener Jammer“] in Hannover ist etwas Besonderes.
       Ab 1869 zog hier die Wollwäscherei eine Arbeitersiedlung hoch, also in der
       Frühphase der Industrialisierung. Davon gibt es nicht mehr viele.
       
       Die roten Backsteinhäuser, oft eher Häuschen, boten den Arbeitern und ihren
       kinderreichen Familien Unterschlupf. Die Arbeiter hat man eigens aus dem
       verarmten katholischen Eichsfeld angeworben. Sie hausten hier oft mit fünf
       bis sieben Personen auf 30 Quadratmeter.
       
       „Jammer“ hießen diese Arbeitersiedlungen auch anderswo, und das nicht ohne
       Grund: Die Zusammenballung von Enge, Dreck und Armut wurde schon von
       Zeitgenossen als besorgniserregend wahrgenommen.
       
       Was heute noch von dieser Siedlung steht, sieht natürlich längst ganz
       anders aus. Hübsch zurecht gemachte, pittoreske „Tiny Houses“ mit
       verwunschenen Gärten in optimal erschlossener, zentrumsnaher Lage.
       
       Wer hier Anfang der 80er-Jahre gekauft hat, hatte einen guten Riecher.
       Damals verhökerte der berüchtigte Wohnungsbaukonzern Neue Heimat die
       Häuser, nachdem die Proteste einer Bürgerinitiative dafür gesorgt hatten,
       dass [2][die heruntergekommene, alte Arbeitersiedlung nicht abgerissen
       werden durfte.]
       
       ## Einst „Jammer“, heute begehrte Wohnlage
       
       Einer, der damals ein glückliches Händchen hatte, ist Klaus Dieter Jürgens.
       Er kaufte keines der ganz kleinen Reihenhäuschen, sondern eine
       Doppelhaushälfte und verbrachte die nächsten Jahre mit der Entkernung,
       Sanierung und Renovierung.
       
       Grundsätzlich kennt und schätzt er die Geschichte des Ortes, wie er sagt.
       Er hat sich große Mühe gegeben, alle Anpassungen und Modernisierungen
       optisch behutsam einzupassen. Umso unverständlicher fand er es, dass die
       Stadt als untere Denkmalbehörde 2019 seinen Antrag ablehnte, eine kleine
       Solarthermie-Anlage auf dem Dach montieren zu dürfen.
       
       „Das sind vier Quadratmeter auf einer Dachfläche von 64 Quadratmetern, nur
       zur Warmwassergewinnung“, argumentiert er. Und das Dach sei ja nicht einmal
       original. Als er das Gebäude 1981 kaufte, war da noch das ursprüngliche
       Flachdach mit Teerpappe drauf. Das ziegelgedeckte Satteldach kam erst
       später dazu, aus wirtschaftlichen Gründen und optisch orientiert an den
       übrigen Dächern.
       
       Gegen den ablehnenden Bescheid der Stadt zog Jürgens also vor das
       Verwaltungsgericht. Das ist der vorgesehene Weg, eine andere
       Widerspruchsmöglichkeit als die Klage gibt es nicht. Dann schlug auch noch
       Corona zu und so kam es, dass die Klage erst jetzt, drei Jahre später,
       verhandelt werden konnte.
       
       In der Zwischenzeit, sagt der Vorsitzende Richter Ingo Behrens gleich zu
       Beginn der Verhandlung, haben sich die politischen Rahmenbedingungen
       allerdings dramatisch geändert.
       
       ## Die Konfliktfälle häufen sich
       
       Das, sagt Katrin Strube, die als Fachaufsicht für das niedersächsische
       Landesamt für Denkmalpflege hinzugezogen wurde, mache sich auch in der
       wachsenden Anzahl solcher Streitfälle bemerkbar. „Ich kann es nicht
       beziffern, weil nicht jeder Fall bei uns landet, aber von den unteren
       Denkmalbehörden höre ich schon, dass seit Kriegsbeginn wieder deutlich mehr
       Anträge, vor allem [3][für Kleinanlagen auf den Dächern] eingehen“, sagt
       die Oberkonservatorin.
       
       Das stelle die Behörden jedes Mal vor schwierige Abwägungsfragen: „So wie
       es das Gesetz im Moment vorsieht, muss in jedem Einzelfall geprüft werden,
       wie groß der Eingriff ins Erscheinungsbild ist, ob es vielleicht technisch
       bessere Möglichkeiten gibt, ob sich das wirtschaftlich darstellen lässt und
       so weiter.“
       
       Die Hersteller hätten da mittlerweile durchaus nachgezogen, es gebe etwa
       Solardachziegel, die optisch weniger auffällig seien – aber natürlich auch
       erheblich teurer.
       
       ## Eine gesetzliche Regelung lässt auf sich warten
       
       Auch in Jürgens’ Fall hatte die Behörde erst einmal erwogen, ob eine
       Montage auf dem Nebengebäude besser wäre. Das ist aber bei Solarthermie
       nicht sinnvoll, weil die Kollektoren nah an der Abgabestelle sein müssen.
       
       Am Ende fand man doch einen Kompromiss: Jürgens wird einen Röhrenkollektor
       anstelle eines Flachkollektors einsetzen und eines der Veluxfenster im Dach
       damit verdecken. Dieses „Opfer“ soll verhindern, dass die Nachbarn
       nachziehen und dass aus dem schönen Backstein-Ensemble eine zerstückelte
       Dachlandschaft mit x kleinteiligen Aufbauten wird.
       
       Damit ist zwar Klaus Dieter Jürgens’ Problem gelöst, [4][der Grundkonflikt
       aber noch lange nicht]. Möglicherweise, sagt der Richter, werde ja das
       niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur seinen
       entsprechenden Erlass noch einmal überarbeiten. Der letzte stammt aus dem
       Jahr 2003. Doch dort wartet man erst einmal [5][die Beratungen zum
       Klimagesetz ab].
       
       25 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%B6hrener_Jammer
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=Qqjkggg7Da4
   DIR [3] /Solardach-in-Zehlendorf/!5134505
   DIR [4] /Rechtsstreit-um-Sonnenenergie/!5174654
   DIR [5] /Solardachpflicht-in-Niedersachsen/!5840531
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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