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       # taz.de -- Die Wahrheit: Endgegner Wüschtest
       
       > Tagebuch einer Reise-Phobikerin: So einiges sammelt sich im Gepäck, fängt
       > man bereits Wochen vorher an, den Koffer notfallmäßig zu befüllen.
       
       Kaum glaubte ich endlich die Reisetraumata meiner Vergangenheit überwunden,
       schlägt das digitale Universum zurück. Früher lösten wir Zugfahrkarten bei
       echten Bahnbeamten oder machten uns – ach, Tegel! – zu gemütlichen
       Provinzflughäfen auf. Dort legten wir von kompetenten Reisebüromitarbeitern
       vorgenommene Buchungen vor, lebendige Menschen druckten Bordkarten aus,
       wuchteten Gepäck aufs Laufband und wünschten einen guten Flug.
       
       Heute vergeuden wir kostbare Lebenszeit auf
       „billiger-genervt-sein.com“-Portalen und schlagen uns durch
       Foto-Lobeshymnen und Gemeckerwust der Vorgängerreisenden. War das jetzt die
       Unterkunft mit dem miesen Service oder den reichhaltigen Portionen? Oder
       doch die mit der Megabaustelle? Hat man sich endlich auf eine
       vertrauenerweckende Bleibe geeinigt, sind alle Züge unter vierzig Stunden
       Fahrtdauer ausgebucht, oder aber die erste Prüfung besteht darin, vom
       Pannenflughafen BER abzufliegen.
       
       Je weiter mein Leben fortschreitet, desto überzeugter bin ich,
       Transportmittel zu verpassen und Lebensnotwendiges zu vergessen, weshalb
       mein Koffer Wochen vor der Abfahrt aufgeklappt im Flur steht und beim
       ersten Gedanken an Unverzichtbares umgehend damit gefüttert wird. Kurz vor
       meinem letzten Trip beichtete ich meiner Mitreisenden von meiner vermutlich
       geriatrisch bedingten Reisenervosität.
       
       ## Wird am Ende immer alles gut?
       
       „Ha“, schnaufte A. unbeeindruckt und konterte mit Panikattacken und
       Horrorträumen. „Aber am Ende wird doch immer alles gut, oder?“, bettelte
       ich beschwörend. „Noch sind wir nicht da!“, orakelte A. düster.
       
       Unser Flug ging um acht. Morgens! Ich stellte drei Wecker und schaffte es
       bis zur Security, dort allerdings wurde ich jäh ausgebremst. Literweise
       quoll der Beamtin Kontaktlinsenreiniger entgegen, gefolgt von mehreren
       Wärmflaschen und einem Dutzend Brillenputztüchern. Was sich in der
       Kombination aus wochenlanger Vorsorge bei gleichzeitiger Gehirnschrumpfung
       halt so ansammelt. In diesem Moment erschien mir das Bild meiner Brille auf
       dem heimischen Waschbeckenrand.
       
       ## Konfiszieren inklusive
       
       Bis auf eine Notration konfiszierte Madame den Reiniger. „Ick mach jetz
       ma’n Wüschtest“, entschied sie und schrubbte an meinem Handgepäck herum.
       Nachdem klar war, dass ich den Flieger hätte überschwemmen aber nicht
       sprengen können, durfte ich zum Gate. Dort wartete A., die seltsam
       humpelte. Ihr war zu Hause noch schnell ein Bücherregal auf den Fuß
       gefallen, bevor sie vor ihrem verschlossenen U-Bahn-Eingang stand und zur
       nächsten Station rennen musste. „Hattest du auch ’nen Wüschtest?“, fragte
       ich, um abzulenken. „Na, denn kommse mal“, unterbrach die Flugbegleiterin
       unsere Bestandsaufnahme und winkte zum Boarding.
       
       Meine Brille harrt zu Hause meiner Rückkehr. Liebhabern von Abenteuerurlaub
       empfehle ich dringend, sich nachts blind in fremder Umgebung aufs Klo zu
       tasten. Was immer ihr sonst vergesst, packt Salbe gegen Blutergüsse ein!
       
       12 May 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pia Frankenberg
       
       ## TAGS
       
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