URI: 
       # taz.de -- Internationale Boxverband wählt Chef: Russisches Roulette
       
       > Mit Hilfe von Gazprom hat der Russe Umar Kremlew den Internationalen
       > Boxsportverband in seiner Hand. Am Freitag könnte er wiedergewählt
       > werden.
       
   IMG Bild: Ein Mann der großen Versprechen: Umar Kremlew bei einer Veranstaltung in Polen
       
       Russinnen und Belarussinnen dürfen in diesen Tagen bei der
       Box-Weltmeisterschaft in Istanbul nicht in den Ring steigen. Wegen des
       Angriffskrieges in der Ukraine soll ihnen keine Bühne geboten werden.
       Paradoxerweise beherrscht die Bühne des olympischen Boxsports aber dennoch
       ein Russe mit besten Beziehungen zu Gazprom, einem russischen
       Staatsunternehmen. Am Rande der WM soll am Freitag in Istanbul nämlich der
       Präsident des Internationalen Boxsportverbandes (IBA) gewählt werden. Und
       Umar Kremlew, der 2020 den mit 16 Millionen US-Dollar hochverschuldeten und
       wegen anhaltender Schiedsrichterskandale völlig diskreditierten Verband
       übernahm, stellt sich zur Wiederwahl.
       
       Vor Beginn seiner Präsidentschaft versprach Kremlew binnen der ersten
       beiden Jahre Sponsoreinnahmen von 50 Millionen US-Dollar und gab wenig
       später die Partnerschaft mit dem Hauptsponsor Gazprom bekannt. Die Schulden
       der IBA, früher Aiba, wurden umgehend beglichen, den Verbänden jährliche
       Einnahmen von zwei Millionen US-Dollar in Aussicht gestellt. Und wie bei
       der Männer-WM zuvor werden auch die Frauen in Istanbul erstmals mit
       opulenten Preisgeldern bedacht. Die Siegerinnen in den zwölf
       Gewichtsklassen streichen 100.000 Dollar ein.
       
       Die einst bettelarme IBA schwimmt also momentan im russischen Geld. Erich
       Dreke, der Präsident des deutschen Boxsport-Verbandes, spricht von einer
       „unheimlichen Summe“, die auf dem Verbandskonto liege. Andererseits hat der
       Verband nach wie vor existenzielle Probleme. Bei den Olympischen Spielen in
       Tokio 2021 waren die Funktionäre wegen der tief verankerten
       Korruptionskultur im Schiedsrichterwesen ausgeschlossen, [1][das IOC
       richtete das Box-Turnier selbst aus.] Und in den Planungen für die
       Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 spielt das Boxen beim IOC vorerst
       keine Rolle. Die Sportart zählt zu den aussichtsreichsten Streichkandidaten
       im olympischen Programm, was wiederum etliche Geldströme zum Versiegen
       bringen würde.
       
       Eine Wiederwahl von Kremlew, der den internationalen Boxsport mittlerweile
       durch Putins Kriegskasse am Leben hält, würde dieses Szenario
       möglicherweise beschleunigen. Zu Beginn des heißen Wahlkampfes in Istanbul
       verschickte das IOC am Dienstag einen unmissverständlichen Brief an
       Kremlew, der wohlweislich auch an alle nationalen Verbände adressiert war.
       Eröffnet wurde das Schreiben mit dem süffisanten Hinweis, die Anerkennung
       des Internationalen Boxverbandes durch das IOC sei ja weiterhin ausgesetzt.
       Trotz aller Erklärungen der IBA habe man nach wie vor „erhebliche Bedenken“
       für die Schlüsselbereiche Governance, Kampfrichterwesen und bei der
       Bewertung der finanziellen Nachhaltigkeit.
       
       ## Deutsche Funktionäre vermeiden Positionierung
       
       Das IOC hatte schon vor dem Krieg in der Ukraine beanstandet, dass sich die
       IBA zu sehr von einem Sponsor abhängig mache. Offensiv kritisiert wurde
       aktuell, dass immer noch Entscheidungen zum Qualifizierungssystem für die
       Olympischen Spiele in Paris 2024 ausständen, obwohl diese für die Planungen
       der Sportler:innen längst hätten gefällt werden müssen. Kremlew hatte in
       den letzten Monaten gern den Eindruck erweckt, die IBA bereite sich im
       besten Einvernehmen mit dem IOC auf Paris 2024 vor. Das Schreiben bezeugt
       nun das Gegenteil. Als Empfehlung für eine Wiederwahl des 39-Jährigen
       konnte all das nicht gelesen werden.
       
       Dennoch ist Kremlew, der einst Mitglied [2][der russischen
       nationalistischen Motorrad-Rockerbande „Nachtwölfe“] war, keineswegs
       chancenlos. Im Deutschen Boxsport-Verband etwa mag man sich vorab nicht
       festlegen, ob man Kremlew wählt oder den niederländischen Kandidaten Boris
       van der Vorst, obwohl man 2020, als es dieses Duell bereits schon einmal
       gab, öffentlich noch für van der Vorst warb. Sportdirektor Michael Müller
       sagte der ARD, es bräuchte eine Alternative zum Gazprom-Vertrag, sonst
       könnte man den Sportbetrieb gleich einstellen. Spekuliert wird eventuell
       auf die Möglichkeit, dass van der Vorst die etwa 30 Millionen Euro
       TV-Einnahmen loseisen kann, die eigentlich der IBA noch zustehen, aber vom
       IOC nach den vielen Skandalen eingefroren wurden.
       
       Die Stimmungslage unter den Wahlberechtigten ist derzeit schwer
       einzuschätzen. Der deutsche Funktionär Dreke beklagt in Istanbul, dass man
       selbst drei Tage vor der Wahl noch viel zu wenig wisse. Die genauen
       Vertragsbestimmungen des Gazprom-Deals etwa kenne kaum einer. Ende Februar
       wenige Tage nach Kriegsbeginn in der Ukraine hatten zwölf Landesverbände
       unter Federführung der USA in einem Brief an Kremlew die Trennung von
       Gazprom gefordert. Von deutschen Funktionären wurde das Schreiben nicht
       unterzeichnet. Dreke erklärt, man sei nicht gefragt worden.
       
       Als Anfang März Kremlew bei einer Sitzung unter Druck gesetzt wurde
       zurückzutreten, soll er [3][nach Informationen des Portals inside the
       games] gewarnt haben: „Die Partnerschaft mit Gazprom zu beenden, würde die
       Zerstörung des Boxsports, unserer Organisation, unseres Verbandes
       bedeuten.“ In Istanbul kursiert indes das Gerücht, Gazprom würde sich
       zurückziehen und Kremlew ein neues Finanzierungsmodell präsentieren.
       
       Interessant ist auch, was Dreke über das veränderte Wahlrecht berichtet. Am
       Dienstag beschloss die IBA-Führung, dass am Freitag auch online abgestimmt
       werden kann, damit ärmere Verbände, die nicht in Istanbul präsent sein
       können, auch eine Stimme haben. Bekannt ist, dass Kremlew zuletzt gerade
       afrikanische Verbände großzügig unterstützt hat. Diese Investitionen
       könnten sich nun erst richtig auszahlen.
       
       12 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Boxerinnen-im-Aufschwung/!5787538
   DIR [2] /Russische-Motorradrocker/!5008826
   DIR [3] https://www.insidethegames.biz/articles/1122477/kremlev-survives-aatempt-to-force
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
       ## TAGS
       
   DIR Boxen
   DIR Gazprom
   DIR Wahl
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Boxen
   DIR Boxen
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Kolumne Frühsport
   DIR Boxen
   DIR Boxen
   DIR Boxen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Alternativer deutscher Boxverband: Eine sehr besondere Familie
       
       Der auf Initiative des russischen IBA-Chefs entstandene Verband German
       National Boxing Association ist ein kryptisches Gebilde – mit ungewisser
       Zukunft.
       
   DIR Spaltung im internationalen Boxsport: Ein Putsch als Rettungsversuch
       
       Mit deutscher Hilfe wird ein neuer Boxweltverband aufgebaut. Die fürs
       olympische Boxen zuständige IBA führt der Putin-Freund Umar Kremlew an.
       
   DIR Präsidentenwahl im Weltboxen: Russischer Triumph
       
       Der Internationale Boxverband IBA wählt den Russen Umar Kremlew erneut zum
       Präsidenten. Er setzt damit seinen olympischen Status aufs Spiel.
       
   DIR Russischer Wahlkampf im Boxverband: Spiel mit der Moral
       
       Im Internationalen Boxverband betreibt Präsident Umar Kremlew dunkle
       Geschäfte. Dass sein Gegner von der Wahl ausgeschlossen wird, ist nur
       logisch.
       
   DIR Kampf um die Zukunft des Frauenboxens: Schwerwiegende Leichtgewichte
       
       Im New Yorker Madison Square Garden kämpfen Katie Taylor aus Irland und
       Amanda Serrano aus Puerto Rico um den WM-Titel im Leichtgewicht.
       
   DIR WM im Schwergewichtsboxen: Der „Gipsy King“ tritt ab
       
       Tyson Fury schlägt Dillian Whyte in der sechsten Runde k.o. Nun will sich
       der umstrittene Schwergewichtler aus dem Boxsport zurückziehen.
       
   DIR Mögliche Ausgrenzung einer Boxerin: Schlag auf Schlag
       
       Sarah Scheurich soll nicht mehr für Deutschland boxen. Sie sagt: weil sie
       kritisch ist. Der Verband entgegnet, Grund sei die stagnierende Leistung.