URI: 
       # taz.de -- Ukrainische Fußball-Elf im Test: Es wurde geweint
       
       > 2:1 gegen Gladbach: Die ukrainische Fußballnationalmannschaft versucht,
       > in Form zu kommen für ein entscheidendes Spiel.
       
   IMG Bild: Ballkontrolle im Borussen-Park: Ukraines Mykola Shaparenko in Aktion
       
       Im Fußball ist der Mai traditionell der Monat der Tränen, die nach
       Abstiegen, Titeln oder verlorenen Finals fließen. Dass Testspiele ein
       Publikum derart tief berühren, ist hingegen eher selten. Doch als die
       ukrainische Nationalmannschaft am Mittwochabend mit 2:1 gegen Borussia
       Mönchengladbach gewann, wurde auf allen Tribünen geweint. Die Mehrzahl der
       20.223 Zuschauer waren Menschen aus der Ukraine, viele wurden von ihren
       Gefühlen überwältigt.
       
       „Beim Singen der Nationalhymne hatte auch ich Tränen in den Augen“,
       erzählte Nationaltrainer [1][Oleksandr Petrakow], der sich über die
       Rückkehr in eine Art Spielbetrieb mit viel Solidarität freuen konnte. „Auch
       wir standen mit Gänsehaut am Spielfeldrand, wir sind allen Ukrainern und
       Ukrainerinnen und auch den Deutschen sehr dankbar für diese Atmosphäre“,
       sagte er. Immer wieder war im Borussia-Park aber auch eine Traurigkeit über
       die furchtbare Situation spürbar, in die die Ukrainer hineingeraten sind.
       
       Mit dem Reinerlös und Spenden, die während einer aufwendig produzierten
       TV-Übertragung des Senders Pro7 gesammelt wurden, soll den vom Krieg
       betroffenen Menschen geholfen werden. Die Ukrainer spielten in Trikots, auf
       denen die Rückennummern aus den Namen von angegriffenen Städten geformt
       waren. Auch viele Deutsche hatten sich mit ukrainischen Farben geschmückt,
       und der ehemalige Profiboxer Wladimir Klitschko sendete eine Grußbotschaft
       aus Kiew.
       
       „Diese Aktionen, die geben den Menschen Mut und Kraft in meinem Land“,
       hatte Iryna Shum, die ukrainische Generalkonsulin in Düsseldorf, vorm Spiel
       gesagt, und Gladbachs Angreifer Patrick Herrmann erzählte, er wolle
       eigentlich jedes Spiel gewinnen, „aber hier war es auch mal okay zu
       verlieren“. Wobei es sich bei dem Spiel keinesfalls um einen sportlich
       wertlosen Benefiz-Kick handelte.
       
       ## Top-Profis fehlen noch
       
       Am 1. Juni wird die Ukraine in [2][einer wichtigen Playoffpartie gegen
       Schottland] antreten, um im Falle eines Siegs vier Tage später gegen Wales
       ein Finale um die WM-Teilnahme zu bestreiten. „Nach einem halben Jahr, in
       dem wir kaum arbeiten konnten, hat das Spiel begonnen“, sagte Trainer
       Petrakow, dessen Mannschaft Anfang des Monats ein Trainingslager in der
       slowenischen Hauptstadt Ljubljana bezogen hat – allerdings nur mit Spielern
       von ukrainischen Klubs, vorwiegend von Dynamo Kiew und Schachtar Donezk.
       Stars wie Oleksandr Zinchenko (Manchester City), Andrij Jarmolenko (West
       Ham United), Witalij Mykolenko (FC Everton) oder Ruslan Malinovskyi
       (Atalanta Bergamo) werden erst hinzustoßen, wenn die Saison ihrer Klubs zu
       Ende geht.
       
       Aber auch ohne diese Profis und trotz der langen Wettkampfpause spielte die
       Ukraine in Mönchengladbach stark. „Natürlich haben sie Chancen, zur WM zu
       fahren, das ist ein gutes Team mit guten Einzelspielern und viel Qualität,
       ich traue ihnen viel zu“, sagte der Mönchengladbacher Torhüter Yann Sommer.
       Die weitere Vorbereitung auf die Playoffpartien bleibt aber herausfordernd
       für die Ukrainer.
       
       „Aktuell ist es sehr schwer, Gegner zu finden“, berichtete Petrakow, „mit
       großer Wahrscheinlichkeit werden wir gegen Empoli und gegen Rijeka
       spielen.“ Auch Tests gegen afrikanische Mannschaften werden in Erwägung
       gezogen, denn eine WM-Teilnahme würde für die Ukraine in diesem Jahr
       besonders viel bedeuten. Schließlich geht es mehr noch als bei früheren
       Turnieren darum, von der Welt wahrgenommen zu werden.
       
       Für viele der ukrainischen Spieler sind die Tests auch deshalb wichtig,
       weil sie bei Klubs aus den großen Ligen auf sich aufmerksam machen können.
       Es ist schließlich nicht zu erwarten, dass in der kommenden Saison
       nationale Wettbewerbe in dem vom Krieg erschütterten Land ausgetragen
       werden können. Zwar heißt es aus dem Verband, man hoffe noch auf ein
       baldiges Kriegsende und die Wiederaufnahme des nationalen Spielbetriebs
       nach der Sommerpause, konkrete Alternativpläne gibt es nicht. Weil dieses
       Szenario aber eher unwahrscheinlich ist, könnten Vereinswechsel oder
       Leihgeschäfte für viele Nationalspieler, die womöglich in WM-Form gebracht
       werden müssen, ein probater Ausweg aus ihrer schwierigen Lage sein.
       
       Besonders auffällig war in Mönchengladbach der 21 Jahre alte Rechtsaußen
       Mykhailo Mudruk von Schachtar, der das 1:0 schoss und mehrere andere gute
       Momente hatte – umjubelt von sehr vielen, sehr hohen Stimmen auf den
       Tribünen. „Das war ein ganz anderer Sound als bei einem normalen Spiel“,
       sagte Hendrik Wüst, der Ministerpräsident von NRW, denn es waren viele
       Kinder und Frauen im Stadion, deren Männer zu Hause ein Land verteidigen
       müssen.
       
       12 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Oleksandr_Petrakov
   DIR [2] https://www.uefa.com/european-qualifiers/match/2033887--scotland-vs-ukraine/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Theweleit
       
       ## TAGS
       
   DIR Ukraine
   DIR Fußball und Politik
   DIR Borussia Mönchengladbach
   DIR Fußball
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Finnland
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR 1:1 im Spitzenspiel: Sommer lässt Münchner zweifeln
       
       Beim 1:1 von Mönchengladbach beim FC Bayern überragt Borussen-Torwart Yann
       Sommer. In München erklären es sich einige mit dem Schiri.
       
   DIR Zukunft des ukrainischen Fußballs: Fußball auf der Flucht
       
       Soll die ukrainische Fußballmeisterschaft ab September im Ausland
       ausgespielt werden? Nicht alle im Land halten das für eine gute Idee.
       
   DIR Experte über Entwicklungspolitik: „Stimmung international verändert“
       
       Der Ukraine-Krieg erschwert die Entwicklungszusammenarbeit. Aber in dem
       Feld ändert sich ohnehin vieles, sagt Politikwissenschaftler Jörn
       Grävingholt.
       
   DIR Nato-Beitritte im Ukraine-Krieg: Finnland will Nato-Mitgliedschaft
       
       Präsident Sauli Niinistö und Regierungschefin Sanna Marin haben sich für
       einen Antrag auf Aufnahme ausgesprochen. Und zwar „unverzüglich“.
       
   DIR Blamable DFB-Entscheidung: Auflaufen verboten!
       
       Der Deutsche Fußball-Bund schickt aus der Ukraine geflüchtete Fußballer in
       die Warteschleife. Das ist bezeichnend.