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       # taz.de -- Forum Freies Theater in Düsseldorf: Landkarten der Aufstände
       
       > Das Forum Freies Theater in Düsseldorf feiert den Einzug in ein neues
       > Haus. Ein Festival widmet sich der Pariser Kommune und Ideen von
       > Gemeinschaft.
       
   IMG Bild: Lecture Performance zum Sturz der Vendômesäule in dem Festival „Place International“ im FFT
       
       Das neue FFT (Forum Freies Theater) ist ein einladendes Theater. Das
       Theater, das ähnlich wie Kampnagel in Hamburg oder der Mousonturm in
       Frankfurt [1][international mit freien Gruppen zusammenarbeitet], befindet
       sich jetzt im früheren Postverteilzentrum am Bahnhof Düsseldorf, direkt
       unter der ebenfalls groß dimensionierten Stadtbibliothek. Verlässt man den
       Aufzug im ersten Stock, gelangt man gleich in das Foyer.
       
       Das ist kein spartanischer Transitraum zwischen Kasse und Toilettentrakt.
       „Es ist eigentlich eine weitere Bühne“, erzählt stolz [2][Kathrin
       Tiedemann], künstlerische Leiterin des FFT seit 2004. Tiedemann sieht das
       neue Foyer als weitere Spielstätte und zentralen Ort des eigenen Programms.
       „Es ist für uns eine Art Fenster zur Stadt. Wir begreifen es als Ort der
       Versammlung, an dem wir viele unterschiedliche Akteure zusammenbringen
       wollen, durchaus im Sinne der Kommune, zu Themen wie Selbstorganisation
       und städtische Demokratie“, schlägt Tiedemann den Bogen zum aktuellen
       Festival.
       
       In „Place Internationale“ ist die [3][Pariser Kommune von 1871] stark
       präsent. Ins Foyer wird eine Zeichnung der Siegessäule Napoleons auf der
       Place Vendôme projiziert, die zersägt zum Symbol der Kommunarden geworden
       war. Vor ihr erläutern in einer Lecture Performance der Stadtsoziologe
       Klaus Ronneberger und der Performer Hauke Heumann die Dynamiken und
       Bildpolitik der Pariser Kommune. Sie verstehen die Ereignisse vom März bis
       Mai 1871 vor allem als eine städtisch geprägte Revolution von
       Proletarier*innen, die in die Randbezirke verdrängt wurden und dann erregt
       und erschüttert durch einen Hungerwinter und zusätzlich radikalisiert durch
       die deutsche Belagerung der Stadt ins Innere von Paris ziehen. Dort sagen
       sie dem Kaisertum den Kampf an.
       
       ## Die Stadt zurückerobern
       
       Ronneberger und Heumann machen die kommunale Dimension der Kommune
       deutlich. Selbst dessen Militär, die Nationalgarde, war städtisch
       verankert. Sie wendete sich gegen die Belagerung durch Preußens Heere, als
       die reguläre Armee des französischen Kaiserreichs schon längst auf
       Kapitulation aus war. In dieser Mobilisierung von unten stellen sich
       schnell Assoziationen zu den territorialen Verteidigungsverbänden in der
       Ukraine her.
       
       Das Programm des Festivals aber war länger geplant. „Ursprünglich wollten
       wir im November 2021 die Eröffnung unseres neuen Hauses mit einem Programm
       zum 150. Jubiläum der Pariser Kommune feiern“, erzählt Tiedemann. 73 Tage
       sollte „Place International“ andauern, so lange wie einstmals der Aufstand
       selbst. Dann aber kam Corona mit all seinen Versammlungseinschränkungen.
       Und „Place Internationale“ wurde in Segmente geteilt und zeitlich gedehnt.
       Einem kleinen Auftakt im November zur Eröffnung des Hauses folgt jetzt im
       Mai der Hauptteil des Festivals.
       
       Zentraler Aspekt dabei ist das Versammeln und das im Sammelmodus betriebene
       Erinnern an revolutionäre Praktiken. 40 Stunden lang mobilisierte die
       palästinensische Autorin Adania Shibli in „A Scenario for Togetherness“
       Künstler*innen und Aktivist*innen zu einem Diskussionsmarathon über
       die Revolutionen des Arabischen Frühlings und deren Verbindungen zur
       sozialen Revolte der Pariser Kommune.
       
       Ein kleines Auditorium schuf die bildende Künstlerin Bouchra Khalili mit
       ihrer Installation „Magic Lantern“. Darin erinnert sie an die
       Videopionierin Carole Roussopoulos, die die ersten tragbaren Videokameras
       zu Dokumentationen von Aktivitäten der Black Panther, aber auch vom Leben
       in palästinensischen Flüchtlingslagern nutzt. Roussopoulos’ Drehorte in
       Nordafrika und Nordamerika, im Herzen Afrikas und in Europa geraten in
       Khalilis Recherchen zu einer Landkarte der revolutionären Bewegungen der
       1970er Jahre.
       
       Kommende Programmpunkte sind eine Werkstatt über den Urbanisten und
       Kommune-Forscher Henri Lefebvre und eine Bustour zu Stätten der
       Märzrevolution von 1920 im Ruhrgebiet. Als Erweiterung des Stadtraums sehen
       Lea Richter & Leonie Wendel den Rhein, den sie mit der Intervention
       „Boule, Blumen und Boote“ bespielen.
       
       ## Bessere Arbeitsbedingungen
       
       Das FFT sieht sich in seinem neuen Haus also als ein in die Stadt wirkender
       Akteur. Dafür hat es neue infrastrukturelle Möglichkeiten gewonnen. Das FFT
       verfügt über zwei Bühnen – eine davon mit einfahrbaren Zuschauertribünen –
       und eine ausgeweitete Technikabteilung. Tiedemann und ihr Team konnten beim
       Umbau des alten Postverteilzentrums, den die Stadt Düsseldorf finanzierte,
       auch viele eigene Vorstellungen einbringen.
       
       Das neue Haus ist zudem Ergebnis und Seismograf für städtische
       Veränderungen. Zustande kam es nur, weil die Stadt Düsseldorf einen
       früheren Standort des FFT verkaufte. „Wir haben Jahre lang mit der Stadt
       darüber geredet, dass wir bessere Arbeitsbedingungen brauchen. Dabei haben
       wir mehr künstlerisch argumentiert. Diese Argumente haben aber nie so
       richtig verfangen. Erst mit der Suche nach einem neuen Standort wurde dies
       relevant“, konstatiert Tiedemann. Dabei zeigte sich aber auch, dass es kaum
       noch freie Flächen in der Stadt gibt.
       
       Immerhin ist dieser Standort mit einer Mietdauer von 30 Jahren
       verhältnismäßig sicher. Zu hoffen ist, dass in 30 Jahren die alten Themen
       von kommunaler Selbstorganisation nicht mehr im Theater verhandelt werden
       müssen, sondern stadtpolitischer Alltag sind.
       
       15 May 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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