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       # taz.de -- EU-Kommission plant Ölembargo: Koalition der Willigen
       
       > Zeit ist bei den Sanktionen von großer Wichtigkeit. Die Staaten, die das
       > Ölembargo befürworten, sollten sich von den Gegnern nicht aufhalten
       > lassen.
       
   IMG Bild: Eine Ölpumpe am Rande der russischen Stadt Surgut
       
       Dass die Europäische Union langsam aber sicher zum eigentlichen Kern der
       Sanktionen vorstößt, dorthin, wo es wirklich wehtut – nicht nur Moskau,
       sondern den EU-Staaten selbst – zeigt sich derzeit bei der Diskussion um
       [1][das geplante Ölembargo]. Geht es nach der EU-Kommission, soll in sechs
       Monaten kein russisches Öl mehr nach Europa fließen. Bis Ende des Jahres
       will sie auch Ölprodukte verbieten.
       
       Alle 27 Mitgliedsländer müssen dem zustimmen, doch wie erwartet sträuben
       sich [2][Ungarn und die Slowakei – beide Staaten beziehen ohnehin wenig Öl
       aus Russland]. Auch Tschechien und Bulgarien wollen sich dem Embargo nicht
       anschließen. Zu groß sei die Abhängigkeit von Moskau. Nun wird um
       Ausnahmeregelungen gefeilscht. Die Einigkeit der EU steht auf dem Spiel.
       Doch ist das wirklich so schlimm?
       
       Fakt ist: Das Ölembargo ist der richtige Schritt, denn es zielt auf den
       Kern der Macht in Russland ab, es schädigt das engste Umfeld Wladimir
       Putins. Der russische Staatshaushalt hängt maßgeblich vom Erdöl ab – und
       damit auch Moskaus Kriegsmaschinerie in der Ukraine. Im vergangenen Jahr
       machten [3][Erlöse aus Öl und Gas rund 36 Prozent des russischen Etats]
       aus, der Großteil lag dabei mit 180 Milliarden US-Dollar beim Geschäft mit
       dem Erdöl.
       
       Einige Kritiker:innen des Embargos sehen genau hier das Problem. Das
       europäische Verbot würde die internationalen Preise für Erdöl in die Höhe
       treiben. Neue Käufer, allen voran in China und Indien, würde Moskau schon
       irgendwie finden. Doch so einfach ist das nicht. Denn die Pipelines in
       Richtung Süden und Osten sind schon jetzt am Limit. Damit Russland nicht
       noch schnell neue Wege und Abnehmer erschließen kann, ist beim
       Sanktionspaket Nummer 6 der Faktor Zeit also entscheidend.
       
       Die EU muss ihr Embargo in Windeseile auf den Weg bringen. Das aktuelle
       Gefeilsche in Brüssel um Ausnahmeregelungen gibt wenig Anlass zur Hoffnung,
       dass das auch geschieht. Doch eines ist diesmal anders: Deutschland,
       bislang der ewige Zauderer, was Energiesanktionen angeht, tritt nun aufs
       Gaspedal und hat das Ölembargo sogar selbst vorgeschlagen. Seit dem
       russischen Angriff auf die Ukraine hat [4][Deutschland satte 9 Milliarden
       Euro für Kohle, Öl und Gas an Russland überwiesen].
       
       ## Sanktionen, die Putin wehtun
       
       Doch jüngst hat Wirtschaftsminister Robert Habeck verkündet, man habe die
       [5][Abhängigkeit vom russischen Öl von 35 auf 12 Prozent verringern]
       können. Der Verzicht auf diese Energie scheint nicht mehr utopisch. Warum
       also nicht genau das auf eigene Faust tun? Verbündete in Europa ließen sich
       sicher finden. Den Polen und Balten geht das Embargo sowieso nicht schnell
       genug, sie fordern schon lange den sofortigen Ölstopp.
       
       Die anderen größten Abnehmer, darunter die Niederlande, Italien und
       Finnland, könnten ebenso überzeugt werden, eine „Koalition der Willigen“ zu
       bilden und den russischen Ölhahn in ihre Länder kurzerhand abzudrehen. Ein
       solches schnelles Handeln würde Russland empfindlich schaden. Zwar ist es
       eine Schwäche von Sanktionen, dass sie erst langfristig wirken. Trotzdem
       steigen schon jetzt die Preise, vor allem in der Industrie und Logistik.
       
       Versuche einer „Koalition der Willigen“ gab es in der Vergangenheit bereits
       in Asylfragen. Weil die Reform des EU-Asylsystems seit Jahren hakt, hatte
       sich eine Gruppe von Staaten – darunter Deutschland – bereiterklärt,
       Flüchtende etwa nach dem Brand auf der griechischen Insel Moria bei sich
       aufzunehmen. Der Erfolg war zugegebenermaßen überschaubar. Aber das
       Beispiel zeigt, dass Einzelwege und Kooperationen in der EU möglich, laut
       den EU-Verträgen sogar gewünscht sind, vor allem, wenn die Zeit drängt – so
       wie es im Ukrainekrieg der Fall ist.
       
       Wenn Länder wie Deutschland den noch „Unwilligen“ vorleben, wie sie ohne
       russisches Öl klarkommen, wie sie Erneuerbare fördern und Energie sparen,
       könnten Wackelkandidaten wie die Slowakei nachziehen und sich dem Embargo
       anschließen. Ein Versuch wäre es allemal wert. Den Menschen in der Ukraine,
       die tagtäglich unter Beschuss und Kriegsverbrechen leiden, ist es die EU
       schuldig.
       
       6 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neue-Sanktionen-gegen-Russland/!5851777
   DIR [2] https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-04/energieabhaengigkeit-russland-deutschland-gas-oel
   DIR [3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/russland-oelembargo-reaktionen-101.html
   DIR [4] https://energyandcleanair.org/publication/russian-fossil-exports-first-two-months/
   DIR [5] https://twitter.com/BMWK/status/1519198468383850496?s=20&&t=k_62-JYRou6RZg4EIMHkPw
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jana Lapper
       
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