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       # taz.de -- Immobilienkonzern mit Digitalisierung: Angst vor Orwell
       
       > Mieter kritisieren den Wohnungskonzern Heimstaden. Sie haben Angst vor
       > Überwachungsmöglichkeiten etwa durch digitale Schlüsselsysteme.
       
   IMG Bild: Daten sammeln: Sich so durchs Guckloch Einblick zu verschaffen ist eher oldschool
       
       Berlin taz | Heimstaden ist mit 20.000 Wohnungen nach der Fusion von
       Vonovia und Deutsche Wohnen mittlerweile Berlins zweitgrößtes privates
       Wohnungsunternehmen. Die schwedische Firma eines norwegischen Milliardärs
       hat seinen Wohnungsbestand in den vergangenen Jahren europaweit
       beträchtlich ausgebaut auf insgesamt 150.000 Wohnungen, davon 25.000 in
       Deutschland.
       
       Vorbesitzer eines großen Teils der Wohnungen von Heimstaden war Akelius,
       das börsennotierte und gleichfalls schwedische Wohnungsunternehmen, das
       sich kürzlich seine aggressive Aufwertungsstrategie mit Dividenden in Höhe
       von insgesamt 6 Milliarden Euro vergolden ließ.
       
       Heimstaden betont demgegenüber, ein Vermieter zu sein, der auf langfristige
       Mietverhältnisse bedacht ist – „ein Zuhause, auf das Sie sich verlassen
       können“ heißt ihr Werbeclaim. Nun hat Heimstaden die Gelegenheit,
       tatsächlich zu beweisen, wie viel dahintersteckt.
       
       Denn an dem Wohnungsunternehmen wird erste Kritik laut: Mieter*innen
       haben Angst vor Datenschutzverstößen und befürchten unter anderem die
       Einführung eines digitalen Schließsystems mit elektronischen
       Schlüsselkarten.
       
       Das [1][Mieter*innenbündnis] kritisiert, dass Heimstaden „mit diversen
       Digitalisierungsplänen plane, tief in unsere intimsten Lebensbereiche“
       einzugreifen. Die Mieter*innen beunruhige „die Aussicht, dass unser
       Vermieter mehr und mehr Daten von uns sammelt“. Sie befürchteten zudem,
       dass Digitalisierungsprojekte zu Mietpreissteigerungen beitragen könnten.
       
       Mit dem von Heimstaden verwendeten Schlüsselsystem der Firma iLOQ ist es
       laut Mieter*innen dem Unternehmen unter Umständen sogar möglich, Türen
       per Mausklick zu öffnen oder zu schließen. Ebenso wäre es möglich,
       Türöffnungen zu protokollieren, und dass mutmaßlich anhand von den Daten
       nachvollziehbar wäre, wer wann und wo zu Hause ist.
       
       ## Mieter sollen profitieren
       
       Tatsächlich heißt es von Heimstaden auf taz-Anfrage, dass der Mutterkonzern
       in Schweden mit der Firma iLOQ-Schlüsselsysteme einen Rahmenvertrag
       abgeschlossen haben. Solche Systeme sollen allerdings vor allem bei
       Neubauprojekten eingesetzt werden, heißt es. Ob sie überhaupt in
       Deutschland eingesetzt werden sollen, sei derzeit noch nicht entschieden
       und in der Prüfung mit Datenschutzbeauftragten von Heimstaden. Der
       Heimstaden-Sprecher Michael Lippitsch versuchte zugleich, die
       Mieter*innen zu beruhigen: „Für uns ist klar, dass wir nur eine Lösung
       umsetzen können, bei denen Mieter*innendaten bestmöglich geschützt
       sind und von denen Mieter*innen auch wirklich profitieren.“
       
       Dennoch: Falls die Prüfung der iLOQ-Schlüsselsysteme positiv ausfiele,
       würde man es in Deutschland probeweise in einem Objekt einsetzen und eine
       Testphase mit Mieter*innen eng begleiten, heißt es von Heimstaden. Aber
       ein flächendeckender Einsatz sei ohnehin nicht zu erwarten, so Lippitsch:
       „Was sicherlich nicht stattfinden wird, ist eine Ausrollung auf den
       gesamten Bestand – da muss sich niemand von unserer Mieterschaft Sorgen
       machen.“
       
       Was die Mieter*innen allerdings nicht gerade versöhnlich stimmt: Erst im
       Februar 2022 kam es bei einem Softwaredienstleister von Heimstaden in den
       Niederlanden zu einem Datenleck. Laut Heimstaden hat es einen Cyber-Angriff
       auf einen Cloud-Dienstleister gegeben. In Folge habe das Risiko bestanden,
       dass personenbezogene Daten von Bewohner*innen abgeschöpft werden
       konnten, [2][wie das Unternehmen einräumte]. Laut Antwort auf taz-Anfrage
       von Heimstaden gibt aber keine Hinweise darauf, dass tatsächlich Daten von
       niederländischen Kund*innen ausgelesen worden seien. Mittlerweile seien
       weitere Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden – und in Deutschland komme
       diese Software nicht zum Einsatz, versicherte Heimstaden der taz.
       
       Das Misstrauen ist insofern nicht ganz unberechtigt, weil die
       Mieter*innen von ihrem Vormieter, dem Heimstaden-Vorgänger Akelius,
       digitalen Kummer gewohnt sind: So musste erst Berlins Datenschutzbehörde
       einschreiten, um unrechtmäßige 3-D-Laserscans von Wohnungen zu unterbinden
       und Auskunftsersuchen nach Datenschutzgrundverordnungen durchzusetzen.
       
       ## Jährliche Kundenbefragungen
       
       Was weiter aufhorchen lässt: Heimstaden führt jährlich „Kundenbefragungen“
       durch, um nach eigenen Angaben die Mieter*innenzufriedenheit zu
       erfassen. Insbesondere hat dabei für Irritationen gesorgt, dass die
       Fragebögen mitnichten anonym sind, sondern durchnummeriert, wie Heimstaden
       auf taz-Anfrage bestätigt. Der Prozess werde aber datenschutzkonform
       durchgeführt, heißt es. Es erfolge keine Identifikation, Heimstaden erhalte
       nur anonymisierte Informationen von einem beauftragten Dienstleister.
       Dieser wolle durch die Nummerierung sicherstellen, dass jeder Mietende nur
       einen Antwortfragebogen übermittle – zudem würden sämtliche
       personenbezogenen Daten nach dem Auftrag gelöscht, versichert der Konzern.
       
       Weiter gibt es Sorge vor einem bereits in Schweden existenten
       E-Auto-Projekt. Dort bietet Heimstaden einen Care-Sharing-Fuhrpark für
       Mieter*innen mit dem Dienstleister „OurGreenCar“ in Neubauten an, auch
       hier würden Daten anfallen. Die Mieter*innen fürchten angesichts
       digitaler Schlüsselsysteme und sogar digital überwachbarer
       Fortbewegungsmittel auf lange Sicht die Rundumüberwachung durch den
       Vermieter und Orwell’sche Verhältnisse, sprechen von einer
       „Digitalisierungswut“ und „Greenwashing“. Heimstaden hingegen verspricht,
       sich an geltende Regelungen halten zu wollen.
       
       In einem Bereich aber will Heimstaden vollends auf Digitalisierung setzen:
       beim Ankauf von Wohnraum. [3][So kooperiert Heimstaden seit Ende Februar
       mit dem Berliner Digitaldienstleister Assetbird], der
       Immobilienankaufsprozesse effizienter und standardisiert durchführen will,
       um „so im engen Wettbewerb um Grundstücke und Immobilien schneller zum Zuge
       zu kommen“. Zusammen mit Assetbird wolle man neue Standards in der Branche
       setzen, heißt es von David O’Brien, Head of Investment Heimstaden. Nico
       Kramp, Gründer von Assetbird, hoffte, dass Heimstaden durch die Kooperation
       „renditestarke Ergebnisse für Anleger generieren kann“.
       
       Interessant vor diesem Hintergrund auch: Ob Heimstaden bei Immobilien-Deals
       ordnungsgemäß Grunderwerbsteuer abführt, darf bestritten werden. Denn auch
       strukturell scheint man vom berüchtigten Immobilienkonzern Akelius nicht
       sonderlich weit weg zu sein: So verfügt Akelius über ein Firmengeflecht in
       diversen Steuerparadiesen. Auch bei Heimstaden gibt es Hinweise darauf,
       dass mit Briefkastenfirmen auf den Jungferninseln agiert wird. So
       recherchierte [4][der Tagesspiegel etwa], dass möglicherweise beim Erwerb
       von Berliner Immobilien eine dort sitzende Gesellschaft auf dem Papier
       Eigentümer geworden ist, sich aber Heimstaden als neuer Vermieter
       vorgestellt habe – wohl um unter anderem Grunderwerbsteuer zu sparen.
       Ebenso soll das Vorkaufsrecht ausgehebelt worden sein.
       
       Die vernetzten Mieter*innen von Heimstaden jedenfalls wollen alle
       Schritte der Digitalisierung bei ihrem Vermieter genau und kritisch
       begleiten. Die Initiative fordert alle Heimstaden-Mieter*innen dazu auf,
       „eine DSGVO-Abfrage bei Heimstaden zu machen und die Antwort von der
       jeweiligen Datenschutzbehörde prüfen zu lassen“.
       
       10 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://stopheimstaden.org/
   DIR [2] https://heimstaden.com/nl/blog/nieuws/wees-alert-op-pogingen-tot-fraude-na-cyberaanval-op-softwareleverancier/
   DIR [3] http://www.deal-magazin.com/news/111330/Heimstaden-setzt-fuer-Immobilienankauf-und-Expansion-auf-assetbird
   DIR [4] https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/wohnungskonzern-heimstaden-der-naechste-berliner-wohnungsriese/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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