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       # taz.de -- Artenvielfalt in der Großstadt: Auf den Dächern kreucht es
       
       > Auf begrünten Dächern finden sich viele Arten, stellt ein Bericht für
       > Hamburg fest. Allerdings bleibt der Senat hinter seinen Zielen zurück.
       
   IMG Bild: Kann ein Lebensraum für seltene Arten sein: Gründach
       
       Hamburg taz | Das Hamburger Dachbegrünungsprogramm ist in puncto
       Artenviefalt ein Erfolg. Laut einem jetzt bekannt gewordenen
       Monitoringbericht sind auf sieben untersuchten Dächern allein 235
       verschiedene Käferarten gefangen worden. Allerdings kommt das Anfang 2015
       noch zur Zeit der SPD-Alleinregierung aufgelegte Programm nicht so voran
       wie geplant.
       
       [1][Begrünte Dächer haben eine Vielzahl positiver Effekte]. Zum einen
       lassen sich damit die [2][Folgen der ständig zunehmenden
       Flächenversiegelung mildern], zum anderen die Folgen des Klimawandels
       dämpfen. Die Vegetation auf dem Dach schützt die Dachabdeckung, sodass sie
       einer Faustregel nach doppelt so lange hält.
       
       Die Begrünung isoliert das Gebäude und senkt die Temperatur auf dem Dach,
       sodass Photovoltaik-Anlagen besser funktionieren. Sie kann das Wasser
       starker Niederschläge aufnehmen, verzögert wieder abgeben und das Dach als
       Erholungsort nutzbar machen. Und zu guter Letzt schafft sie eben
       zusätzlichen und zum Teil sehr besonderen Lebensraum für Tiere und
       Pflanzen.
       
       Laut einer ökofaunistischen Begleituntersuchung der Stadt, der Züricher
       Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Universität Hamburg haben
       begrünte Flachdächer in den vergangenen acht Jahren eine erstaunliche
       Artenvielfalt hervorgebracht. „Wir haben mehrere Käfer gefunden, die auf
       der Roten Liste stehen und sehr selten vorkommen – vor allem hier mitten in
       der Stadt“, sagte Hanna Bornholdt, die Projektleiterin für Hamburgs
       Gründachstrategie, der Deutschen Presseagentur (dpa).
       
       ## Brütende Möwen auf dem Behördendach
       
       Darunter seien viele Arten gewesen, die selbst Biologen nie so erwartet
       hätten, ergänzte Bornholdt. Neben den vielen Käferarten seien den Forschern
       innerhalb von zwei Jahren auch viele Wespen und Wildbienen in die
       Becherfallen gegangen. Damit werde gleichzeitig die Vogelwelt unterstützt.
       „Denn wo Insekten sind, gibt es auch mehr Vögel“, sagte Bornholdt. Wer
       beispielsweise bei der Umweltbehörde auf ein Gründach steigt, der kann dort
       brütende Möwen, Austernfischer und Enten finden.
       
       Das setzt allerdings eine gewisse Qualität der Dachbegrünung voraus. Ein
       Gründach mit Rasen und Buchsbäumen ist zwar der Erholung und dem Stadtklima
       dienlich, trägt aber kaum zur biologischen Vielfalt bei. „Es kommt darauf
       an, wie man es strukturiert“, sagt Franziska Schmidt-Lewerkühne vom
       Naturschutzbund (Nabu). Eine kleine Sandfläche und Totholz machten da schon
       viel aus. So nützen drei Viertel aller Wildbienenarten Kies- und
       Sandflächen zum Nisten.
       
       Die Umweltbehörde bietet daher Saatgutmischungen für eine Extensivbegrünung
       und eine einfache Intensivbegrünung an. Die extensive Mischung ist den
       extremen Standortbedingungen auf exponierten Dächern angepasst: Sonne, Wind
       und Trockenheit. Solche Pflanzen wachsen in der Natur in Trocken- und
       Halbtrockenrasen, Felsspalten und Zwergstrauchheiden. Moose, Sedumarten wie
       die Fetthenne, Kräuter und Gräser bildeten schnell geschlossene
       Pflanzenverbände, die sich ohne großen Aufwand selbst erhielten, verspricht
       die Umweltbehörde, die derartiges selbst auf dem Dach hat.
       
       Die Behörde bietet auch eine Mischung für moderat-intensive Begrünung an.
       Hier muss die Bodenschicht etwas dicker sein. Neben Gräsern und Stauden
       können dort auch kleine Büsche wachsen. So ein einfach intensiv begrüntes
       Dach könne als Garten genutzt werden und sich auch zu einem Biotop
       entwickeln.
       
       ## Bremen hat eine Gründachpflicht eingeführt
       
       Das funktioniert dann so: Die Nachtkerze, eine Staude, öffnet kurz nach
       Sonnenuntergang ihre Blüten. Die werden von Nachtfaltern ausgesogen, die
       wiederum von Fledermäusen gefressen werden. Und im Winter dienen die Halme
       vieler Stauden Insekten als Unterschlupf. Dass die biologische Vielfalt auf
       gut angelegten Gründächern groß sei, überrasche sie nicht, sagt die
       Nabu-Referentin Schmidt-Lewerkühne. „Doch das ist leider nicht die Regel.“
       
       Dazu kommt, dass das Gründachprogramm etwas lahmt. Bis zum Jahr 2020 hätten
       100 Hektar Dächer begrünt werden sollen. Stand jetzt sind es laut dpa 80
       Hektar – etwa halb soviel Fläche wie die Hamburger Außenalster. Die
       Umweltbehörde teilte auf Anfrage mit, die Summe sei unvollständig und
       enthalte nicht die sechs Hektar Autobahndeckel auf der A7 sowie die
       Begrünung der 8.000 Tiefgaragen.
       
       Der Hamburger Senat verfolgt eine Mischstrategie aus fördern, werben und
       vorschreiben, etwa mit Hilfe des Abwassergesetzes oder der Bauordnung. Die
       Hansestadt [3][Bremen hat dagegen vor zwei Jahren eine Gründachpflicht] für
       bestimmte Gebäude eingeführt.
       
       10 May 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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