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       # taz.de -- Depp gegen Heard vor Gericht: Hunger nach Happy End
       
       > Der Prozess zwischen den Ex-Eheleuten Johnny Depp und Amber Heard erregt
       > auf Social Media viel Aufmerksamkeit. Warum eigentlich?
       
   IMG Bild: Amber Heards Auftritte vor Gericht werden kritisch kommentiert
       
       Fairfax im US-amerikanischen Staat Virginia gilt normalerweise nicht als
       instagramable. Doch seit April 2022 liegt der Fokus von User*innen auf
       Instagram, aber auch TikTok, Twitter und YouTube auf dieser Stadt. Sie
       verfolgen gebannt ein besonderes Gerichtsverfahren. Die Protagonist*innen:
       [1][Johnny Depp] und Amber Heard. An dieser Stelle ein kurzer Überblick.
       Depp und Heard haben nach etwa drei Jahren Beziehung im Jahr 2015
       geheiratet. Nur 15 Monate später reichte die Schauspielerin die Scheidung
       ein und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen Depp.
       
       Sie beschuldigte ihn, sie angegriffen und ihr ein Handy ins Gesicht
       geworfen zu haben. Zugleich warf sie ihm vor, sie in der Ehe mehrmals
       bedroht und misshandelt zu haben. Zu Gericht erschien sie damals mit blauen
       Flecken auf der Wange. Depp bestritt die Vorwürfe. Kurze Zeit später die
       vermeintliche Wendung: In einem gemeinsamen Statement erklärte das Ehepaar,
       dass es den Streit beigelegt hätte. Depp zahlte seiner Ex-Frau eine
       Abfindung in Höhe von 7 Millionen Dollar und es schien, als hätten sie
       abgeschlossen, seien weitergezogen.
       
       Doch dann zerbrach dieser fragile Frieden. Amber Heard schrieb Ende 2018
       einen Text für die Washington Post. Dort bezeichnete sie sich als „public
       figure representing domestic abuse“ (eine Person des öffentlichen Lebens,
       die häusliche Gewalt erlebt hat) und beschrieb, wie sie aus erster Hand
       erfahren musste, wie Institutionen Männer schützten. Den Namen ihres
       Ex-Mannes nannte sie in ihrem Artikel nicht. Dieser war sich aber sicher:
       Die Öffentlichkeit hat die Verbindung zu ihm trotzdem hergestellt. Darunter
       litt seine Reputation und er verklagte sie wegen Verleumdung auf 50
       Millionen Dollar. Seine Ex-Frau konterte, indem sie ihn auf 100 Millionen
       verklagte.
       
       ## Wer hat wem ins Bett geschissen?
       
       Am 12. April 2022 war es dann so weit – [2][die beiden trafen vor Gericht
       aufeinander.] Sieben Jurymitglieder müssen entscheiden, ob Johnny Depps
       Karriere unter Heards Artikel gelitten hat. Der Prozess schlägt medial hohe
       Wellen. Immerhin treffen hier zwei Prominente aufeinander, und mindestens
       an Johnny Depp kam man die letzten 30 Jahre nicht vorbei. Außerdem ist es
       eine Schlammschlacht erster Güte, in der peinliche, schmerzhafte und
       schockierende Details hochkommen. Plötzlich stellt sich die Frage, wer wem
       ins Bett geschissen, wer unter Drogeneinfluss wohin gepinkelt und wer
       welche Wunden wie verdeckt hat. Es wird schmutzige Wäsche gewaschen, und
       die ist wirklich schmutzig. Man erhält einen Einblick in eine tief toxische
       und dysfunktionale Beziehung, in der beide wahrscheinlich sowohl Opfer,
       aber auch Täter*innen waren.
       
       So ist es nicht verwunderlich, dass sich viele User*innen auf Social
       Media und auf YouTube mit diesem Prozess beschäftigen. Die Rezension ist
       erstaunlich. Eigentlich würde man erwarten, dass der grundsätzliche Ton der
       Kommentare gehässig und neugierig ist. Ganz nach dem Motto: „Hildegard,
       guck mal, wat die Reichen da wieder Perverses machen.“ Stattdessen findet
       eine extreme Identifikation statt – zugunsten von Johnny Depp.
       
       Der Hashtag „[3][#justiceforjohnnydepp]“ trendet immer wieder.
       Ausschnitte aus dem Prozess werden verbreitet und analysiert, Depp wird
       für seine teilweise frechen Antworten gefeiert. Beispielsweise, als Amber
       Heards Anwält*innen im Kreuzverhör immer wieder Einspruch erheben und
       Depp das lässig mit „Let’s give them something to object“ (Geben wir ihnen
       etwas zu widersprechen) kommentiert. Dieses Videoschnipsel macht auf
       Instagram die Runde mit dem Übertitel „Johnny Depp is a savage“, garniert
       mit einem weinenden Lachsmiley. Eine Aussage vor Gericht als Meme.
       Gleichzeitig werden immer wieder Videos geteilt, die vermeintlich zeigen,
       was für ein sanftes Lämmchen Depp ist, beispielsweise wenn er seiner
       Anwältin zur Hand geht.
       
       ## Er wird gelobt, sie zerrissen
       
       Auch Amber Heards Auftreten wird analysiert, doch während ihr Ex-Mann fast
       durchweg gelobt und geliebt wird, wird sie auf Instagram zerrissen. Als sie
       mit verzerrtem Gesicht von den Erfahrungen in ihrer Ehe spricht, verhöhnen
       sie die User*innen: „Was für eine schlechte Performance“ oder „Oh, da gibt
       sie sich so Mühe, Tränen zu produzieren, aber sie kommen nicht“. Dann gibt
       es noch eine Nahaufnahme von ihr von dem Moment, als sie eine Aufnahme
       hört, in der sie Depp warnt, niemand werde ihm glauben. Dieses Video wird
       kommentiert mit: „Sie hat verloren, sie sollte einfach aufgeben.“
       
       In den Kommentaren auf Nachrichtenseiten zu diesem Prozess findet sich die
       gesamte Klaviatur der misogynen Pathologisierung. Jede Mimik von Heard wird
       dahingehend gedeutet, dass sie eine Narzisstin ist, die Johnny Depp in den
       Abgrund treiben will. Die Rollen sind klar: Heard ist das Monster, er das
       Opfer. Dass das gar nicht so einfach ist, zeigt Depps Klage gegen die Sun.
       Nach der Veröffentlichung von Heards Artikel bezeichnete die englische
       Boulevardzeitung ihn als „Frauenschläger“. Dagegen wollte sich der
       Schauspieler gerichtlich wehren. Doch die Klage wurde 2020 abgewiesen. Der
       High Court in London begründete sein Urteil damit, dass sich 12 von 14
       Vorwürfen, die in dem Artikel erhoben wurden, als wahr erwiesen hätten.
       
       Zwar wird im aktuellen Prozess klar, dass Heard auch gelogen hat, trotzdem
       zeigt das Urteil aus London, dass man sie nicht einfach als Lügnerin
       abstempeln kann und Depp die Unschuld vom Lande ist. Von dieser
       Differenzierung ist in den Kommentarspalten nichts zu spüren. Jede noch so
       vorsichtige Stimme, die nicht hundertprozentig hinter dem Schauspieler
       steht, wird sofort zum Schweigen gebracht. Doch woher kommt diese
       emotionale Überidentifikation mit Johnny Depp?
       
       Die Verbissenheit der Verteidigung und das Aufsehen, das um den
       Schauspieler und sein Auftreten vor Gericht gemacht wird, zeigen, dass es
       sich nicht um eine „normale“ Auseinandersetzung mit dem Thema handelt. Es
       hat sich fast zu einer Art Kult entwickelt. Vor dem Gerichtsgebäude finden
       sich immer mehr Fans, die Johnny Depp anfeuern. Kommentare von
       Ex-Freundinnen und Kolleg*innen, die ihn über den grünen Klee loben, werden
       geteilt. Es ist eine Deppmania ausgebrochen.
       
       ## Das Gute soll endlich gewinnen
       
       Das lässt sich [4][nicht nur auf Misogynie zurückzuführen], wenngleich das
       ein wichtiger Faktor ist. Vielmehr kommt das Gefühl hoch, dass dieser
       Prozess für viele die Möglichkeit ist, endlich ein Happy End zu erleben. In
       einer Zeit, in der anscheinend immer die Bösen gewinnen, soll sich nun das
       Gute durchsetzen. Die User*innen auf Social Media scheinen sich ein
       besonderes Narrativ zurechtgelegt zu haben: Darin ist Johnny Depp der Held,
       dem nach langem Leiden endlich die Gerechtigkeit erfährt, die ihm so lange
       versagt blieb.
       
       Tatsächlich hat seine Karriere öffentlichkeitswirksam unter der
       Schlammschlacht gelitten. So wurde er als Gellert Grindelwald in
       „[5][Phantastische Tierwesen 3: Dumbledores Geheimnisse]“ durch Mads
       Mikkelsen ersetzt. Auch Disney hatte sich entschieden, den sechsten Teil
       der „Pirates of the Caribbean“-Reihe ohne den kultigen Jack Sparrow zu
       drehen. Amber Heards Karriere scheint dagegen einen solchen Knick noch
       nicht erlebt zu haben. Sie ist auch im zweiten Teil von „Aquaman“, der 2023
       erscheinen soll, dabei.
       
       Es herrscht ein großer Hunger nach einem Happy End und nach Gerechtigkeit,
       und der will gestillt werden. So werden die Fans weiter verbissen zu Johnny
       Depp stehen. In ihrer Vorstellung kommt er aus diesem Prozess raus und ist
       völlig rehabilitiert, die großen Studios, die ihn fallen ließen, kehren
       reumütig zu ihm zurück. Weil sie sich das für sich wünschen, weil sie
       einmal hoffen, dass das Gute gewinnt. Und wenn er nicht gut ist, wird er
       halt gut gemacht.
       
       9 May 2022
       
       ## LINKS
       
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