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       # taz.de -- Serie über Polizeigewalt in Frankreich: Mit Knüppeln attackiert
       
       > Die Miniserie „Oussekine“ beschäftigt sich mit dem Tod von Malik
       > Oussekine im Jahr 1986 in Frankreich. Bis heute wurde kein Täter
       > festgenommen.
       
   IMG Bild: Der Familie Oussekine wird schnell klar, dass sie um Gerechtigkeit kämpfen muss
       
       Oussekine. Malik Oussekine. In Deutschland dürften die wenigsten auf Anhieb
       etwas mit diesem Namen anfangen können. Doch in Frankreich hat er sich,
       zumindest für gewisse Generationen, tief ins gesellschaftliche Gedächtnis
       eingebrannt. Am 6. Dezember 1986 wurde der 22-jährige französische Student
       mit algerischem Hintergrund in Paris Opfer von brutaler Polizeigewalt;
       [1][sein Tod ist untrennbar verbunden mit massiven, teilweise gewalttätigen
       Protesten], die in den Wochen danach Frankreich erschütterten. Mit der
       Miniserie, die seinen Namen trägt, rollt nun eine der ersten französischen
       Eigenproduktionen den Fall und seine Folgen auf.
       
       Malik Oussekine (Sayyid El Alami), dessen Vater im Zweiten Weltkrieg mit
       den Franzosen kämpfte und sich ab den 1950er Jahren dauerhaft mit seiner
       Familie in der Banlieue von Paris niederließ, interessiert sich für die
       Anliegen seiner Kommiliton*innen eher wenig. Sein Fokus liegt auf der
       Religion statt auf Politik: er plant, zum Christentum zu konvertieren,
       trägt immer eine Bibel bei sich und kann sich sogar vorstellen, Priester zu
       werden.
       
       Nach dem Besuch eines Clubkonzerts im Quartier Latin gerät er nachts in
       eine sich auflösende Demonstration und in das Visier einer motorisierten
       Polizeipatrouille, die ihn verfolgt und brutal mit Knüppeln und Fußtritten
       attackiert. Später wird sich herausstellen, dass Oussekine längst tot ist,
       als er ins Krankenhaus gebracht wird.
       
       Antoine Chevrollier, der als Regisseur an der Serie [2][„Büro der
       Legenden“] beteiligt war und erstmals als Showrunner und Autor
       verantwortlich ist, zeigt eindrücklich die Folgen, die Oussekines Tod nach
       sich zieht.
       
       Die Vertuschungen von offizieller Seite, bei denen Aufklärung aktiv
       verhindert wird und es lediglich um den Schutz der Täter (von denen
       übrigens keiner je ins Gefängnis kam) geht, finden in „Oussekine“ ebenso
       ihren Raum wie die [3][Vereinnahmung des Opfers als Märtyrer] durch eine
       aufgebrachte Öffentlichkeit und eine Bewegung, von der sich Oussekine
       selbst bewusst ferngehalten hat: Schon vor seinem Tod gab es Unruhen in
       Frankreich. Vor allem in Paris protestierten Tausende Studenten gegen eine
       geplante Universitätsreform, aber auch neue Einwanderungsrestriktionen.
       
       ## Vieles erinnert an die Gesellschaft von heute
       
       Vor allem aber geht es Chevrollier und seinem Mitstreiter Cédric Ido darum,
       den Titeln ihres Vierteilers gerecht zu werden. Statt Oussekine und sein
       Schicksal bloß als Aufhänger zu nehmen, um größere Kontexte herzustellen,
       macht „Oussekine“, auch mittels Rückblenden, ihn selbst zum emotionalen
       Zentrum der Geschichte.
       
       Und seine verzweifelte Familie gleich mit: auch seine Mutter Aicha (die
       stets famose Hiam Abbass) und die älteren Geschwister Sarah (Mouna
       Soualem), Mohamed (Tewfik Jallab) oder Benamar (Malek Lamraoui) sind
       Protagonist*innen, über die sich nicht nur verschiedene
       französisch-muslimische Alltagsrealitäten Mitte der achtziger Jahre,
       sondern auch historische Ereignisse wie das [4][Pariser Massaker während
       des Algerienkriegs 1961] oder der Aufstieg des Front National erzählen
       lassen.
       
       Dass der Fall Oussekine, der schon 1995 als Inspiration für den
       wegweisenden Film „Hass“ von Mathieu Kassovitz herhielt, auch heute noch
       relevant ist, macht die eindrucksvolle, emotional aufwühlende Serie
       unmissverständlich klar, ohne Bezüge mit dem Holzhammer herzustellen.
       Rassismus und Diskriminierung, Polizeigewalt und Justizmissbrauch und
       eskalierende Proteste – all das ist heute nicht nur in der französischen
       Gesellschaft genauso präsent wie vor 36 Jahren.
       
       11 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://fr.wikipedia.org/wiki/Affaire_Malik_Oussekine
   DIR [2] /Video-on-Demand-in-Europa/!5563484
   DIR [3] /Maertyrertod-in-der-Gesellschaft/!5847323
   DIR [4] /Massaker-von-Paris-vor-60-Jahren/!5788269
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patrick Heidmann
       
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