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       # taz.de -- Norwegische Sanktionen gegen Russland: Hier ist Propaganda noch erlaubt
       
       > Die EU verhängte gegen RT und Sputnik Sanktionen. Die norwegische
       > Regierung sieht nach Kritik von Medienschaffenden davon ab.
       
   IMG Bild: Russlands Staatssender RT – in Norwegen nicht zensiert
       
       Stockholm taz | Das Nicht-EU-Land Norwegen hat sich in den vergangenen
       Monaten im Großen und Ganzen alle von Brüssel verhängten EU-Sanktionen
       gegen Russland zu eigen gemacht. Mit einer wichtigen Ausnahme: Oslo lehnt
       die Blockade russischer Propaganda-Kanäle ab. [1][Sendungen von RT] oder
       Sputnik können weiterhin frei empfangen werden.
       
       Die norwegische Kulturministerin Anette Trettebergstuen begründete Ende
       April einen entsprechenden Regierungsbeschluss im Parlament: Zwar teile die
       Regierung die Einschätzung der EU-Kommission, dass diese Medien „zentrale
       Instrumente in Russlands Desinformations- und Destabilisierungskampagne
       gegen den Westen“ seien. Doch könne für ein demokratisches Land wie
       Norwegen eine Vorabzensur durch ein generelles Verbot von Medienkanälen
       nicht infrage kommen.
       
       Der sozialdemokratische Regierungschef Jonas Gahr Støre ergänzte: „Man
       sollte Desinformation möglichst mit Quellenkritik begegnen, nicht mit
       Zensur. Eine Blockade könnte auch vom Putin-Regime und anderen genutzt
       werden, um ihre Zensur der freien Medien zu legitimieren.“
       
       Die spontane Reaktion des Ministerpräsidenten gleich nach Bekanntgabe der
       EU-Blockade hatte allerdings noch anders gelautet: Es sei „ja wohl
       natürlich“, dass Norwegen diese Sanktion übernehmen werde. Womit er Protest
       bei den Organisationen der Medienschaffenden auslöste.
       
       In einer gemeinsamen Erklärung warnten diese die Regierung dringend vor
       einem solchen Schritt. Nicht nur aus formaljuristischen Gründen – eine
       derartiges Vorgehen wäre vermutlich mit der norwegischen Verfassung
       unvereinbar –, sondern auch, weil eine solche Maßnahme kontraproduktiv sein
       würde.
       
       ## Nur wenig Gegenstimmen unter den Medienmachenden
       
       „An dem Tag, an dem wir uns vom Staat per Gesetz vorschreiben lassen, was
       Desinformation ist und verboten werden soll und was wahr ist und zulässig
       sein soll, sind wir selbst Putins Russland einen Schritt näher gekommen“,
       argumentierte der Medienrechtsspezialist Jon Wessel-Aas: „Und gleichzeitig
       legitimieren wir Putins eigene Medienzensur.“ Der russischen Bevölkerung
       helfe man damit bestimmt nicht. Das Gegenteil sei der Fall.
       
       Gahr Støre machte schnell einen Rückzieher und versprach weitere
       Überlegungen: „Natürlich müsse es gute Gründe geben, die Meinungsfreiheit
       einzuschränken.“
       
       Trygve Hegnar, Chefredakteur der Finanzmedien Kapital und Finansavisen, ist
       einer der wenigen Gegenstimmen, die die Verhängung einer Kanalblockade von
       RT und Sputnik verteidigen. „Ist denn das, was in der Ukraine geschehe,
       nicht wirklich genug guter Grund?“, fragte er. Wenn Millionen Menschen vor
       dem Krieg auf der Flucht seien und „diese Medien behaupten, Russland selbst
       werde von der Ukraine angegriffen, es gebe keine Invasion und zivile Ziele
       würden nicht mit Raketen beschossen, dann ist das Maß an Lügen doch
       wirklich übervoll“.
       
       Noch bevor [2][Ursula von der Leyen] am Mittwoch angekündigt hatte, die
       Kommission wolle drei weitere russische Staatssender blockieren, hatte
       Johan Taubert, der Chef der schwedischen Verlegervereinigung, an die EU
       appelliert, solche Zensur zu überdenken.
       
       Sie demonstriere damit nicht Stärke, sondern Schwäche: „Demokratie muss mit
       demokratischen Mitteln verteidigt werden. Wir können nicht die Presse- und
       Meinungsfreiheit durch ein Verbot von Medienkanälen verteidigen. Selbst
       wenn das, was die verbreiten, gegen die Presse- und Meinungsfreiheit
       gerichtet ist. Wir geraten sonst auf eine ganz abschüssige Bahn: Was wird
       denn dann als Nächstes verboten?“
       
       Die Folgen der EU-Verordnung musste der schwedische Journalist Emanuel
       Karlsten erfahren. Ein Posting zu den EU-Sanktionen darüber, dass es
       jedenfalls in Schweden ein historisch einmaliger Vorgang sei, dass man die
       Bevölkerung daran hindern wolle, bestimmte Informationen zur Kenntnis zu
       nehmen, wurde von Facebook mit dem Warnhinweis versehen, dieses Posting sei
       „offenbar unter redaktioneller Kontrolle des russischen Staats“ erfolgt.
       „Skandalös“, empört sich Karlsten. Auch dies sei „einer Dimension der
       EU-Verordnung geschuldet, über die kaum gesprochen wird“.
       
       8 May 2022
       
       ## LINKS
       
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