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       # taz.de -- Häusliche Gewalt und Umgangsrecht: Auf schmalem Grat
       
       > Väterverbände kritisieren einen Report und eine Studie, die eine
       > Rechtlosigkeit alleinerziehender Mütter gegenüber den Behörden beklagen.
       > Und Experten?
       
   IMG Bild: Steiniger Weg
       
       Berlin taz | Gegen die Journalistin Marie von Kuck entlud sich Hass und
       Wut. Vor ein paar Wochen hat sie in einem Feature für den Deutschlandfunk
       das Thema Gewalt gegen Frauen aufgegriffen und dabei kritisch auch über die
       Rolle von Behörden berichtet. Nun hat sie kaum noch Ruhe vor empörten
       Väterrechtlern. „Geschichten von Frauen zwischen Gewalttätern,
       Familiengerichten und Jugendamt“, hieß es in der Ankündigung des
       Hörfunkbeitrags, „von Frauen, gefangen zwischen der Angst vor Gewalt und
       der Sorge um ihre Kinder“. Titel der Sendung, die [1][nach wie vor in der
       Mediathek] verfügbar ist: „Ihre Angst spielt hier keine Rolle.“
       
       Es ist ein heißes Eisen, erst recht seit sich SPD, Grüne und FDP im
       Koalitionsvertrag auf einen wichtigen Satz verständigt haben: „Wenn
       häusliche Gewalt festgestellt wird, ist dies in einem Umgangsverfahren
       zwingend zu berücksichtigen.“
       
       Väterverbände hier, alleinerziehende Mütter dort – der Streit tobt. Er
       erreicht auch Journalist:innen, die sich wie Marie von Kuck intensiv mit
       dem Konflikt befassen. Ein Väterrechtler, laut „Wikimannia“ der ehemalige
       Geschäftsführer der inzwischen aufgelösten [2][Männerpartei Deutschlands,]
       schrieb von Kuck in drohendem Ton: „Wann verstehen Medienleute, dass dieses
       System sich gegen sie wenden wird, wenn es mal soweit sein wird?“
       
       Auch der [3][Väteraufbruch (VAfK)], einer der wichtigsten Lobbyverbände der
       Väterrechtler, kritisierte in einer mehrseitigen Stellungnahme das Feature
       von Marie von Kuck in scharfen Worten. Autorisierte Zitate von
       Bundesvorstandsmitglied Markus Witt seien „dem ursprünglichen Kontext
       entrissen“ und „gezielt missbraucht“ worden, um einem Report des Hamburger
       Soziologen Wolfgang Hammer den Weg zu ebnen, erklärte der Verband. Witt
       spricht von einer „seit Monaten geführten Desinformationskampagne“.
       
       ## Verweis auf genetische Elternschaft
       
       Auch die [4][taz hatte Anfang April über Hammers] Studie berichtet, laut
       der ideologische Vorstellungen unter Richtern, Anwälten und Jugendämtern
       dazu führen, dass man Kinder zu Unrecht von ihren Müttern trennt.
       Alleinerziehende Mütter, so Hammers Fazit, wären im Umgang mit dem
       Jugendamt „erheblichen Risiken“ ausgesetzt.
       
       VAfK-Vorstand Witt war in dem DLF-Feature mit folgenden Sätzen zur Sicht
       von Kindern auf ihre Eltern zitiert worden, in denen es auch um häusliche
       Gewalt ging: „Das Kind hat keine anderen und es wird diese in der Regel
       dann auch lieben. Und selbst in Fällen, wo vielleicht tatsächlich Dinge
       passiert sind mit Gewalt, Missbrauch oder Ähnliches … Man weiß, dass auch
       diese Kinder diesen Elternteil immer noch lieben. Da merkt man, wie tief
       auch das drinne ist. Wenn Kinder sich entwickeln, brauchen sie Antworten.
       Nicht nur verbal. Und diese genetischen Antworten können tatsächlich auch
       nur die genetischen Eltern liefern.“
       
       Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich der Väteraufbruch und seine
       Mitstreiter bewegen. Einerseits versichert VAfK-Vorstand Witt, häusliche
       Gewalt dürfe „unter keinen Umständen“ als tolerierbar angesehen werden.
       Andererseits sagt er, dass die Türen des Vereins „für jeden offen“ stünden:
       „Selbst wenn in Einzelfällen tatsächlich gewalttätig gewordene Elternteile
       uns hinzuziehen, lässt dies keinen inhaltlichen Rückschluss auf die Haltung
       unseres Vereins zu.“ Es sei „zu begrüßen, wenn Elternteile ihr Verhalten
       reflektieren und unter Umständen auch Initiative zeigen, ihr Verhalten
       zukünftig zu verändern“.
       
       Wo der Väteraufbruch die Grenzen zieht, wenn sich gewalttätig gewordene
       Männer an ihn wenden, ist nicht ganz klar. In den Beratungsrichtlinien des
       Vereins wird Verständnis bekundet für Väter, die „durch eine Scheidung
       alles verlieren: ihre Familie, die Partnerin, die Kinder“. Dies sei eine
       „besondere psychische Belastungssituation“, heißt es. Der VAfK gibt zu:
       „Äußerlich reagieren Männer auf diese Gefühle vereinzelt aktionistisch und
       aggressiv, teilweise mit Wut und Gewalt oder auch depressiv, bis hin […]
       zum Suizid.“
       
       ## Studie als „Geschwurbel“ kritisiert
       
       Hilft der Väteraufbruch in solchen Fällen, dass Männer ihr Gewaltproblem in
       den Griff bekommen? Oder bietet er auch Strategieberatung, um Väter, die
       ihre Frauen verprügelt haben, bei der Durchsetzung von Umgangsrechten zu
       unterstützen? Relativiert er so Partnerschaftsgewalt?
       
       Sicher ist: Die Väterverbände munitionieren sich – auch für ihre
       Lobbyarbeit bei der neuen Bundesregierung. Die Studie von Wolfgang Hammer
       sei „Geschwurbel“, moniert etwa „Eltern für Kinder im Revier“. Es ist eine
       Initiative, die auch der Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne)
       vorwirft, „Eltern-Kind-Entfremdung“ – so das Schlagwort – als „Form
       psychischen Kindesmissbrauchs“ zu leugnen oder sogar zu fördern.
       
       Von Expertenseite gibt es unterschiedliche Reaktionen auf die Debatten. Die
       Neue Richtervereinigung erklärte, Hammers Analyse zum Familienrecht sei
       „kein seriöser Beitrag zur Diskussion“. Der Präsident des Deutschen
       Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, sagte hingegen der Schwäbischen Zeitung,
       die Studie liefere wichtige Hinweise auf Schwachstellen bei
       Familiengerichten und Jugendämtern.
       
       In diesem Bereich erfahrene Rechtsanwältinnen kennen zahlreiche Fälle, in
       denen erlittene Gewalt bei der Lösung von familiären Konflikten
       ausgeblendet wird, sowohl von der Justiz als auch von den Jugendämtern. Die
       Rechtsanwältin Christina Clemm twitterte vor ein paar Tagen:
       „Väterrechtler, die sich nicht explizit gegen #GewaltGegenFrauen und
       patriarchale Strukturen einsetzen, interessieren sich nicht für das Wohl
       der Kinder, sondern für ihre eigenen Rechte.“ Die Rechtsanwältin Asha
       Hedayati empfahl die Reportage von Marie von Kuck als „wirklich gutes und
       starkes Feature zu Partnerschaftsgewalt und wie schwer es Frauen gemacht
       wird, sich und ihre Kinder zu schützen“. Sie warb: „Das sollten alle
       Familienrichter:innen und Jugendämter in Deutschland hören.“
       
       16 May 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.hoerspielundfeature.de/ihre-angst-spielt-hier-keine-rolle-100.html
   DIR [2] /Experte-ueber-Maennerrechtler/!5737741/
   DIR [3] https://vaeteraufbruch.de/index.php?id=erste-hilfe
   DIR [4] /Studie-ueber-Trennungspolitik/!5843117/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Meisner
       
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