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       # taz.de -- EuGH-Urteil betrifft auch Deutschland: Grenzkontrollen wohl rechtswidrig
       
       > Kontrollen an Österreichs Grenzen sind europarechtswidrig. Gleiches
       > dürfte für Deutschland gelten. Verlängert wurden die Kontrollen hier
       > trotzdem.
       
   IMG Bild: Slowenisch-österreichischer Grenzübergang
       
       Luxemburg/Berlin dpa | Die während der großen Flüchtlingsbewegung 2015
       zwischen Österreich und Slowenien eingeführten Grenzkontrollen dürften
       europarechtswidrig sein. Der Europäische Gerichtshof wies in einem Urteil
       vom Dienstag darauf hin, dass Staaten solche Kontrollen nur im Fall „einer
       neuen ernsthaften Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung oder seiner inneren
       Sicherheit“ verlängern dürfen.
       
       „Im vorliegenden Fall scheint Österreich (…) nicht nachgewiesen zu haben,
       dass eine neue Bedrohung vorliegt.“ Eine abschließende Entscheidung liegt
       jedoch beim zuständigen Gericht in Österreich (Rechtssachen C-368/20 und
       C-369/20).
       
       Die deutsche Bundesregierung habe das Urteil zur Kenntnis genommen, teilte
       ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage mit. „Die Auswertung
       und Prüfung etwaiger Auswirkungen auf die von Deutschland angeordneten
       vorübergehenden Binnengrenzkontrollen an der deutsch-österreichischen
       Landgrenze dauert an.“
       
       Eigentlich gibt es im Schengen-Raum, dem 26 europäische Länder angehören,
       keine stationären Personenkontrollen an den Grenzen. In den vergangenen
       Jahren hatten aber mehrere Staaten eine Ausnahmeregelung genutzt und wieder
       teilweise Grenzkontrollen eingeführt. Deutschland kontrolliert seit Herbst
       2015 an der Grenze zu Österreich, nachdem sich Zehntausende Flüchtlinge und
       andere Migranten von Griechenland über die Balkan-Route [1][auf den Weg
       nach Westeuropa gemacht hatten.]
       
       ## Bundesregierung verlängerte Kontrollen
       
       „Seit letztem Jahr steigt der Migrationsdruck auf Deutschland deutlich an,
       daher wäre es fahrlässig, die Kontrollen auslaufen zu lassen“, sagte die
       stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU).
       Zudem finde in Bayern dieses Jahr der G7-Gipfel in Elmau statt.
       
       Der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich sprach sich hingegen dafür aus,
       die Kontrollen, die ohne eine Verlängerung auslaufen würden, zu beenden.
       Der Bundestagsabgeordnete sagte: „Reflexhaft immer wieder neue
       Grenzkontrollen einzufordern und bestehende willkürlich zu verlängern, löst
       nicht nur keine Probleme, sondern verstößt auch gegen europäisches Recht.“
       
       Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilte mit, Bundesinnenministerin
       Nancy Faeser (SPD) habe bereits am 14. April „die vorübergehende
       Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen an der deutsch-österreichischen
       Landgrenze zum 12. Mai 2022 für einen sechsmonatigen Zeitraum notifiziert“.
       
       Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) begrüßte die Verlängerung der
       Grenzkontrollen am Mittwoch ausdrücklich. Diese seien aus migrations- und
       sicherheitspolitischen Gründen „zwingend notwendig“, sagte Herrmann, und
       bezeichnete den Schutz der EU-Außengrenzen als „noch nicht ausreichend“.
       
       Nach Ansicht des Juristen und Abgeordneten der Grünen im bayerischen
       Landtag, Toni Schuberl, bricht die Bundesregierung mit der Verlängerung
       dagegen europäisches Recht. Schuberl klagt derzeit am Bayerischen
       Verwaltungsgerichtshof im wohl einzigen deutschen Prozess gegen die seit
       2015 gängigen Kontrollen an der Grenze zu Österreich. „Die Kontrollen
       bestehen nun seit 2.416 Tagen, sie sind also seit 2.235 Tagen rechtswidrig
       und dürfen keinen Tag länger bestehen bleiben“, sagte Schuberl der
       Deutschen Presse-Agentur in München.
       
       Das Verfahren von Schuberl ist seit Längerem an dem Verwaltungsgerichtshof
       anhängig. Wann hier mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ist unklar.
       Schuberls Mandantin hatte gegen die Grenzkontrollen geklagt, nachdem sie
       seit 2018 bereits mindestens acht Mal bei Fahrten zwischen Deutschland und
       Österreich kontrolliert wurde. Ihrer Meinung nach sind die Kontrollen
       „rechtswidrige Akte der Polizei“, weil die Rechtsgrundlage gegen EU-Recht
       verstößt.
       
       Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist ein
       Verfahren, bei dem sich ein Slowene nach Einführung der Kontrollen an der
       Grenze zu Österreich zweimal geweigert hatte, seinen Pass zu zeigen. Er
       erhielt dafür eine Geldstrafe von 36 Euro. Der Kläger war jedoch der
       Meinung, dass die Kontrollen gegen EU-Recht verstießen und klagte vor einem
       Gericht in Österreich.
       
       In seinem Urteil weist der Gerichtshof nun darauf hin, dass der
       Schengenraum [2][eine der größten Errungenschaften der EU] sei. „Die
       Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen muss daher eine
       Ausnahme bleiben und sollte nur als letztes Mittel eingesetzt werden.“
       
       27 Apr 2022
       
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